# taz.de -- Neues Amt für Franziska Giffey: Der graut vor nix | |
> Familienministerin Franziska Giffey will Landeschefin der Berliner SPD | |
> werden. Aber passt sie überhaupt zur Hauptstadt? | |
Bild: Sie packt mit an: Noch-Bundesfamilienministerin Giffey (SPD) begleitet di… | |
Berlin taz | Und schon hat sie ihm die Show gestohlen. Es ist | |
Samstagnachmittag, fernab vom Berliner Alltag haben sich die 38 Mitglieder | |
der SPD-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses im Grand Hotel Méridien in | |
Nürnberg zur Klausur zurückgezogen. Gerade hat der SPD-Landeschef und | |
Regierende Bürgermeister Michael Müller seine Rede beendet, da tritt | |
Franziska Giffey auf. „Ich war gerade in der Gegend, um die Nürnberger SPD | |
im Kommunalwahlkampf zu unterstützen“, sagt sie und lächelt unschuldig. | |
Dann wickelt sie die Berliner Abgeordneten um den Finger. Sie hält die | |
SPD-Broschüre [1][„Eine Stadt für alle“] hoch und fragt, als ob sie eine | |
Gruppe SchülerInnen vor sich hätte, entzückt: „Wer hat das denn gemacht? | |
Etwa ihr alle?“ Während ihr die GenossInnen allen Ernstes zujubeln, sucht | |
Müller das Weite. Vor dem Saal unterhält er sich an den Kaffeetischen mit | |
einem Staatssekretär. | |
Eine Szene, die symbolischer nicht sein könnte: Giffey kommt, Müller geht. | |
Seit Mittwoch ist das nun offiziell. Beim SPD-Landesparteitag im Mai wird | |
die Bundesfamilienministerin und ehemalige Neuköllner | |
Bezirksbürgermeisterin zusammen mit Fraktionschef Raed Saleh als | |
Doppelspitze für den Landesvorsitz kandidieren. | |
Eine Kampfkandidatur wird es nicht geben: Müller räumt das Feld. Damit | |
dürfte Giffey [2][auch als Spitzenkandidatin der Berliner SPD] für die Wahl | |
zum Abgeordnetenhaus im Herbst 2021 gesetzt sein. Es sei denn, sie | |
übernimmt das Amt schon früher, wofür sie als Bundesministerin zurücktreten | |
müsste. Und die Perspektive? Die zielt nach ganz oben. Der Schritt in die | |
Landespolitik könnte ihr am Ende sogar die Kandidatur als Kanzlerin | |
einbringen. | |
## Passen Berlin und Franziska Giffey zusammen? | |
Giffeys fast schon kometenhafter Aufstieg vollzieht sich parallel zum | |
Niedergang der SPD. Viele HoffnungsträgerInnen hat die Partei derzeit | |
nicht. Giffey aber hat gezeigt, wie der Weg nach oben geht. Mit 29 tritt | |
die heute 41-Jährige in die SPD ein, das erste Amt: Kassiererin im | |
Neuköllner Kreisvorstand. Als Heinz Buschkowsky – damals Deutschlands | |
bekanntester Kommunalpolitiker in Deutschlands skandalträchtigstem Bezirk – | |
2015 abtritt, folgt ihm Giffey als Bezirksbürgermeisterin. „Deutschlands | |
Bürgermeisterin“, wird die Süddeutsche Zeitung sie später nennen. | |
Drei Jahre später holt die SPD sie als Familien- und Frauenministerin ins | |
Kabinett, ein Überraschungscoup. Und nun der Griff nach der Macht im Roten | |
Rathaus. Giffey weiß genau, dass ihre Partei nach der nächsten | |
Bundestagswahl wohl nicht mehr an der Regierung sein wird. Wenn sie es aber | |
schafft, die Berliner SPD bei der gleichzeitig stattfindenden Landtagswahl | |
zur stärksten Kraft zu machen, hätte sie den Nimbus der Gewinnerin. Derzeit | |
liegen die Berliner GenossInnen bei 15, die Koalitionspartner Grüne und | |
Linke bei 23 bzw. 19 Prozent. Die CDU kommt auf 18, die AfD auf 13 Prozent. | |
Ein Selbstläufer, das muss auch Giffey klar sein, wird das nicht. Und: | |
Passt das zusammen? Berlin und Franziska Giffey? | |
Was der letzte Regierende mit Strahlkraft – Klaus Wowereit – mit Berlin | |
verband, ist zumindest nicht das, was Giffey damit verbindet. Links und | |
liberal, arm, aber sexy: bei diesem Markenkern dürften Giffey, die als | |
SPD-Rechte gilt, die ordentlich zurechtgemachten Haare zu Berge stehen. | |
Armut ist für Giffey nicht sexy, sondern etwas, was bekämpft werden muss – | |
vor allem, wenn es um Kinder geht. | |
Als Bezirksbürgermeisterin in einem der ärmsten Stadtteile der Republik | |
packte sie an. Sie machte sich für kostenlose Mittagessen stark und dafür, | |
die Ganztagsbetreuung auszubauen. Sie verstärkte die Polizeipräsenz im | |
Bezirk und installierte Wachschutz an Schulen. Sie befürwortete aber auch | |
Burkinis, damit Mädchen schwimmen lernen konnten – fern von Ideologie, | |
geprägt von Pragmatismus. „Allen Kindern eine Zukunft bieten“ steht auch | |
heute auf ihrer Website. | |
## Durch das Amt als Bundesministerin geadelt | |
Das ist, was auch ihre Politik als Bundesministerin prägt: Familienpolitik. | |
Feminismus? Ist nicht so ihr Ding. Positionen, die als radikal gelten | |
könnten, sind es schon gar nicht. Giffey setzt nicht auf Maximalforderungen | |
und Konfrontation, sie setzt auf Kompromiss und Zusammenarbeit. Die Quote | |
in der Wirtschaft vertritt sie zwar, doch ein Gefühl für diejenigen, die | |
diese schon lange fordern, musste sie sich erst erarbeiten. Bei einem ihrer | |
ersten Auftritte als Ministerin etwa sprach sie vor vollem Haus vor der | |
„Initiative für mehr Frauen in die Aufsichtsräte“. „Frauen können alle… | |
spornte sie die Wirtschaftsfrauen an. Als müsste man denen das sagen. | |
Auch mit der Abschaffung des Paragrafen 219a, der es ÄrztInnen verbietet, | |
auf ihren Websites über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, fremdelt | |
sie. Verständnis dafür, dass ein Thema wie dieses die Koalition zum Wackeln | |
bringen kann, wie kurzzeitig geschehen, hat sie keines. Sie will etwas | |
schaffen, sie will an dem arbeiten, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist | |
– und sie legt den Schwerpunkt auf Themen, die sie aus Neukölln gut kennt: | |
das Gute-Kita-Gesetz, das Starke-Familien-Gesetz, den Rechtsanspruch auf | |
Ganztagsbetreuung. Giffey ist Familienministerin. Die Frauen schwingen eher | |
mit. | |
Doch dass sie ihre bisherige politische Biografie durch das Amt als | |
Bundesministerin geadelt hat, wird sie im Berliner Wahlkampf nutzen können. | |
Eine fast zarte Stimme, ein freundlich-bestimmtes Auftreten, immer | |
beschwingt, immer adrett – „blass“ wie Müller, dem dieses Etikett seit | |
Amtsantritt anhaftet, wird Giffey nicht bleiben. Müller vergräbt sich in | |
Akten, sie geht offen auf Menschen zu. Müller ist misstrauisch und verlässt | |
sich nur auf seinen engsten Zirkel. Giffey kann auf Bundesebene auch mit | |
Unionsleuten wie Spahn – und verbündet sich auf Landesebene nun mit | |
SPD-Fraktionschef Raed Saleh, der ihr en passant die nötige Mehrheit beim | |
Parteitag beschaffen soll. | |
Aber für welches Berlin steht die Politikerin, die in Frankfurt (Oder) | |
geboren wurde? Für das Berlin, das sich gerne als Labor einer neuen | |
Mobilität versteht, die Verkehrswende voranbringen und die | |
Verbrennungsmotoren aus der Innenstadt verbannen will? Für das Berlin der | |
Initiativen, die große Wohnungsunternehmen enteignen wollen? Für das | |
diverse Berlin in Kreuzberg und Mitte? Für die Start-ups und Kreativen, die | |
der Berliner Wirtschaft derzeit einen ungeahnten Boom bescheren? | |
## So lässig wie Berlin ist Franziska Giffey nicht | |
„Ich bin Berlinerin, ich liebe meine Stadt“, sagte Giffey bei der | |
Pressekonferenz am Mittwoch, bei sie ihre Ambitionen deutlich machte. Dass | |
sie oft U-Bahn fährt, erzählt sie gern: „Ich muss ja mitkriegen, was in | |
Berlin passiert.“ Und auch Sätze wie diese sagt sie: „Berlin ist einfach | |
mal geil.“ Soll heißen: Ich bin auch kompatibel mit dem lässigen Berlin. | |
Lässigkeit aber ist nun wirklich nicht das, was die grundsolide | |
Verwaltungsfachfrau Giffey verkörpert, die manchmal leise aus der Zeit | |
gefallen wirkt. | |
Wahrscheinlicher ist, dass sie das Berlin der kleinen Leute anspricht – die | |
klassischen WählerInnenschichten der SPD. Wenn sie diese zurückgewinnen | |
kann für die SozialdemokratInnen, dann wäre Giffey womöglich nicht nur ein | |
paar Jahre Regierende Bürgermeisterin, sondern auch eine ernst zu nehmende | |
Kanzlerkandidatin. | |
Kann ihrem Weg nach oben noch etwas im Weg stehen? Ihre Krisen jedenfalls | |
übersteht sie mit Zurückhaltung und Redlichkeit: Für den SPD-Vorsitz | |
kandidierte sie nicht, weil unklar war, ob ihr der Doktortitel wegen | |
Plagiats aberkannt werden würde. Sie selbst hatte die Überprüfung | |
beantragt, als der Verdacht aufgekommen war – und kündigte an, ihr | |
Ministerinnenamt zurückzugeben, sollte er sich erhärten. Statt | |
SPD-Bundeschefin zu werden, unterstützte sie fortan Olaf Scholz. Die Freie | |
Universität war gnädig: Giffey wurde nur gerügt. Ihr Vorgehen aber | |
bescherte ihr letztlich Glaubwürdigkeit. Und auch die Affäre um ihren Mann, | |
der wegen mutmaßlichen Betrugs den Beamtenstatus aberkannt bekam, scheint | |
ihr zumindest bislang nicht zu schaden. Auch hier ist ihre Strategie | |
Zurückhaltung. Persönliche Angelegenheiten, heißt es nur, werde sie nicht | |
kommentieren. | |
## Weiter abschmieren mit der „Lame Duck“ | |
Schaden könnte Giffey nur, wenn sie nun ungeduldig werden sollte. Bislang | |
haben Müller, Giffey und Saleh nur verabredet, wer die beiden nächsten | |
SPD-Landesvorsitzenden werden sollen. Eine vorzeitige Wachablösung im Roten | |
Rathaus gehört zumindest nicht zum offiziellen Plan. Sollte Giffey sie | |
forcieren, müsste sie auch von Grünen und Linken gewählt werden. Die aber | |
haben sichtlich keine Lust, ihre Konkurrentin bei den Wahlen 2021 mit einem | |
Amtsbonus auszustatten. Am Ende könnte es sogar zu einem Bruch von | |
Rot-Rot-Grün und zu Neuwahlen kommen. Dann müsste die neue Landeschefin | |
auch als Spitzenkandidatin sofort ins kalte Wasser springen. | |
Wartet sie dagegen den regulären Wahltermin ab, könnte die SPD trotz der | |
erhofften Heilsbringerin mit der Lame Duck Michael Müller weiter | |
abschmieren. Wie egal der Berliner SPD die Landespolitik ist, zeigt | |
ausgerechnet die Bekanntgabe der Personalie Giffey. Sie erfolgte einen Tag | |
vor der Verabschiedung des Mietendeckels – des wichtigsten Projekts, das | |
Rot-Rot-Grün auf den Weg gebracht hat. | |
29 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
Uwe Rada | |
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