# taz.de -- Franziska Giffey und die Berliner SPD: Sie guckt, was noch geht | |
> Auf der SPD-Fraktionsklausur hält Familienministerin Giffey eine | |
> schwungvolle Rede: Ein Fingerzeig auf den Posten als Regierende | |
> Bürgermeisterin? | |
Bild: Bundespolitik oder Landespolitik? Franziska Giffey (SPD), hier im Kanzler… | |
Sie hat es getan. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey nutzte die | |
Bühne der Klausurtagung der SPD-Fraktion in Nürnberg für einen | |
überraschenden Auftritt. „Ich war gerade in der Gegend, um die SPD im | |
Kommunalwahlkampf zu unterstützen“, erklärt Giffey ihre Stippvisite ins | |
Fränkische, die auch ein Statement in eigener Sache war. Bislang hat Giffey | |
offiziell noch nicht erklärt, ob sie beim Parteitag im Mai | |
Landesvorsitzende und danach Spitzenkandidatin der SPD für die Wahl zum | |
Abgeordnetenhaus im kommenden Jahr werden will. Seit dem Wochenende ist die | |
Wahrscheinlichkeit größer geworden. | |
Die Stippvisite bei der SPD-Fraktion war auch ein Seismograf dafür, wie die | |
dem rechten SPD-Flügel zugerechnete ehemalige Neuköllner | |
Bezirksbürgermeisterin bei der eher linken Berliner SPD ankommen würde. | |
Giffey versuchte es mit viel guter Laune. „Wisst ihr, wenn ich im | |
Bundesgebiet unterwegs bin, dann sagen die Leute, wie toll sich Berlin | |
entwickelt“, sagte sie, nicht ohne dabei auch den Regierenden Bürgermeister | |
Michael Müller zu loben. „Das fällt ja nicht vom Himmel.“ | |
Und dann hält sie eine Werbebroschüre in der Hand, die bis dahin noch | |
keinen im Konferenzsaal des Grand Hotel Meridian interessiert hat. „Eine | |
Stadt für alle“, zitiert sie den Titel der Broschüre und fragt entzückt: | |
„Wer hat das denn gemacht? Etwa ihr alle?“ Einen Moment fühlte man sich wie | |
beim Kindergeburtstag, aber dann reibt man sich die Augen. Nein, das ist | |
die Berliner SPD, und Franziska Giffey ist ihre Hoffnungsträgerin, und wenn | |
sie die Geschichte mit ihrem Ehemann übersteht, wird sie wohl auch die | |
Spitzenkandidatin der Berliner Sozialdemokraten für die Wahl zum | |
Abgeordnetenhaus im Herbst nächsten Jahres. | |
## Müller ist noch nicht bereit | |
Noch allerdings ist Michael Müller, der zugleich auch Landeschef der | |
Berliner SPD ist, nicht bereit, seinen Platz ohne Weiteres zu räumen. Wenn | |
Giffey Spitzenkandidatin werden wolle, müsse sie zwingend auch Landeschefin | |
werden wollen, so der Spin seiner Unterstützer. Dann werde man schon sehen, | |
wie das zusammenpasst: ein linker SPD-Landesverband und eine eher rechte | |
Sozialdemokratin ohne wirkliche Hausmacht. | |
Dass sich die in Frankfurt (Oder) geborene Giffey keineswegs einen | |
schlanken Fuß machen möchte, zeigt ihr Auftritt in Nürnberg. Wo wenn nicht | |
bei der SPD-Fraktion könnte ein Werbefeldzug für neue Mehrheiten für den | |
Landesvorsitz beginnen. Fraktionschef Raed Saleh jedenfalls genoss den | |
Besuch der Hoffnungsträgerin sichtlich. Gut möglich, dass er sein | |
einflussreiches Netzwerk nutzt, um künftig für sie zu werben. | |
Während in Nürnberg also womöglich neue Bündnisse geschlossen werden, gab | |
sich SPD-Fraktionschef Raed Saleh alle Mühe, die existierenden auf eine | |
harte Probe zu stellen. Heftig attackierte er die Grünen, weil sie sich zum | |
Beispiel gegen den Ausbau der U-Bahn ins Märkische Viertel ausgesprochen | |
haben. Auch die ablehnende Haltung der Grünen gegen die Bewerbung Berlins | |
um die Internationale Automobilausstellung IAA griff er auf. „Wo sollen die | |
Arbeitsplätze in Zukunft entstehen“, fragte Saleh. „Im Pippi- | |
Langstrumpf-Haus in der Villa Kunterbunt?“ Saleh forderte die „liebe Ramona | |
Pop“ auf: „Bekenn dich endlich zum Wirtschaftsstandort Berlin mit der IAA!�… | |
Es war wohl kein Zufall, dass die SPD-Fraktion für ihre dreitägige Klausur | |
das Thema Klimaschutz aufgerufen hatte. Denn in den Umfragen liegt die SPD | |
derzeit weit hinter den Grünen zurück. Klimaschutz ja, sagt deshalb | |
Fraktionschef Saleh, „aber er muss auch bezahlbar bleiben.“ Kernstück | |
dieser SPD-Strategie eines „sozialen Klimaschutzes“ ist das | |
365-Euro-Ticket, für das Michael Müller mit Verweis auf die Erfahrungen | |
damit in Wien schon im vergangenen Juli geworben hatte. Im Januar hat | |
Müller nun einen Brief an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) | |
geschrieben. Der Bund hatte zuvor angekündigt, zehn Städte bei | |
Pilotprojekten für die Einführung eines 1-Euro-Tagestickets für den | |
öffentlichen Nahverkehr unterstützen zu wollen. | |
## Politisches Überlebenszeichen | |
In Nürnberg stimmte nun auch die SPD-Fraktion [1][in ihrer | |
Abschlussresolution] für das verbilligte Ticket. [2][Ganz unumstritten ist | |
das Vorhaben allerdings nicht], auch nicht in der Berliner SPD. So hatte | |
sich bereits im Vorfeld der Klausur der verkehrspolitische Sprecher der | |
SPD, Tino Schopf, gegen das 365-Euro-Ticket ausgesprochen. „Wir können | |
nicht den dritten vor dem ersten Schritt machen“, hatte Schopf dem | |
Tagesspiegel erklärt. Vor einer Einführung müsse zunächst das Angebot | |
massiv ausgebaut werden. | |
Heftigen Widerspruch formulierte in Nürnberg auch der als Gast geladene | |
Geschäftsführer des Münchner Verkehrs- und Tarifverbundes, Bernd | |
Rosenbusch. „Die Erfahrungen aus Wien zeigen, dass es nach der Einführung | |
des Tickets keine Investitionen in die Infrastruktur mehr gab“, sagte | |
Rosenbusch. „Wenn sie es aus sozialen Gründen machen und Menschen an | |
Mobilität teilhaben wollen, dann machen sie Sozialtickets.“ Müller | |
versprach darauf in der Aussprache, dass die Einführung eines verbilligten | |
Tickets nicht auf Kosten der Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr | |
gehen würde. | |
Für den Regierenden Bürgermeister ist das Ticket auch ein politisches | |
Überlebenszeichen. „Die Mobilität der Zukunft muss für alle organisiert | |
werden, und sie muss bezahlbar sein“, sagte Müller unter großem Beifall. | |
Zumindest bei seinem wichtigsten Thema haben ihn die Genossen nicht im | |
Stich gelassen. | |
Doch vielleicht steht sich Müller im Kampf um Landesvorsitz und | |
Spitzenkandidatur mehr und mehr auch selbst im Wege. Während Giffey sich in | |
die Höhle des Löwen begibt, macht der Löwe, der bis dahin in der Höhle | |
brüllte, das Gegenteil. Klammheimlich verlässt Michael Müller den Saal und | |
verpasst so die prophetischen Sätze seiner möglichen Herausforderin Giffey. | |
„Lasst uns sehn, was geht. Lasst uns sehn, was noch geht!“ | |
26 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spdfraktion-berlin.de/system/files/fraktionsresolution_nuernber… | |
[2] /365-Euro-Jahresticket-fuer-Nahverkehr/!5659331/ | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
## TAGS | |
Franziska Giffey | |
Michael Müller | |
SPD Berlin | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Franziska Giffey | |
Franziska Giffey | |
BVG | |
Franziska Giffey | |
Michael Müller | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Machtwechsel in Berlins SPD: Müller eint die Koalition | |
Soll Franziska Giffey Michael Müller auch als Regierende Bürgermeisterin | |
folgen? Nein, sagen Grüne und Linke. Müller strotze doch vor Kraft und | |
Elan. | |
Neues Amt für Franziska Giffey: Der graut vor nix | |
Familienministerin Franziska Giffey will Landeschefin der Berliner SPD | |
werden. Aber passt sie überhaupt zur Hauptstadt? | |
Nachfolge in der Berliner SPD: Müller geht, Giffey kommt | |
Die Familienministerin soll zukünftig die Berliner SPD führen. Damit könnte | |
sie auch im Bürgermeisteramt nachfolgen. | |
365-Euro-Jahresticket für Nahverkehr: Berliner sollen auf SPD abfahren | |
Die Berliner SPD spricht sich für ein 365-Euro-Ticket aus – trotz Kritik | |
aus den eigenen Reihen. Zugleich greift sie die Grünen scharf an. | |
SPD-Fraktionsklausur in Nürnberg: Giffey macht den Aufschlag | |
Auf der SPD-Fraktionsklausur hält Familienministerin Giffey eine | |
mitreißende Rede – und bringt sich für den Landesvorsitz in Stellung. | |
2020: Müllers Zukunft entscheidet sich: Vor dem Führungswechsel | |
Im Mai ist Landesparteitag der SPD, der Vorstand wird neu gewählt. Es | |
scheint schon logisch, dass Michael Müller danach nicht mehr Landeschef | |
ist. |