| # taz.de -- Künstlerin über Feminismus und Politik: „Grundsätzlich das Abs… | |
| > Das Münchner Haus der Kunst zeigt eine Werkschau der 86-jährigen Joan | |
| > Jonas. Ein Gespräch über ihre Anfangszeit in New York. | |
| Bild: Joan Jonas während ihrer Performance „They Come to Us Withoug a Word I… | |
| taz: Joan Jonas, Sie sind gerade 86 Jahre alt geworden und machen seit 60 | |
| Jahren Performances. Als Sie damit begannen, waren Sie eine der Ersten, die | |
| mit verschiedenen Medien und Aufführungspraktiken experimentierten. Wie | |
| erinnern Sie sich an die Anfangszeit? | |
| Joan Jonas: Ich habe in den 1950er Jahren Kunst studiert und zuerst als | |
| Bildhauerin gearbeitet. Als ich Anfang der 1960er Jahre nach New York kam, | |
| suchte ich nach neuen Ausdrucksformen, einer eigenen Sprache. Wir lebten in | |
| SoHo, wo in dieser Zeit sehr viele kreative Persönlichkeiten zusammenkamen. | |
| Künstler*innen, Tänzer*innen, Komponist*innen, Filmschaffende. Wir waren | |
| befreundet und haben miteinander gearbeitet. Auch Richard Serra hat damals | |
| Performances gemacht, mit [1][der Musik von Philip Glass]. Steve Reich war | |
| dabei und die Minimalisten. Es gab da noch keinen Namen für das, was wir | |
| taten, wir probierten uns aus. | |
| Sie lebten vier Jahre mit Richard Serra zusammen, auch er hat sich mit | |
| Materialbeschaffenheit, Form, Klang und Bewegung beschäftigt. Gab es | |
| Konkurrenzgedanken? | |
| Es fiel mir am Anfang schwer, mich gleichberechtigt als Künstlerin zu | |
| sehen, dieses Selbstbewusstsein hatte ich nicht. Ich war sehr schüchtern. | |
| Es war ein Prozess, meine Rollenbilder zu hinterfragen. | |
| Sehen Sie sich als Feministin? | |
| Ja, unbedingt. Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, hört ja nicht auf. Bis | |
| heute arbeite ich viel mit Frauen, mit Tänzerinnen, Schauspielerinnen und | |
| zuerst auch mit einer Kamerafrau, bis ich meine eigene Kamera gekauft habe | |
| und so die Freiheit hatte, zu experimentieren. | |
| Sie sprechen von der Sony Portapak, die 1965 auf den Markt kam und auch von | |
| Video-Künstlern wie Nam June Paik verwendet wurde. | |
| Ja, diese neue Technik hat es mir ermöglicht, unabhängig zu sein. Ich bin | |
| durch New York gelaufen und habe gefilmt. Verlassene, leere Orte, die ich | |
| „Holes“ nannte. Diese Verlassenheit, so haben sich viele Künstler*innen | |
| gefühlt, die damals nach SoHo kamen. Das hatte auch mit der politischen | |
| Stimmung zu tun, dem Vietnamkrieg, Nixon im Weißen Haus und dem Kampf der | |
| Bürgerrechtsbewegung. | |
| War diese Politik für Sie präsent? | |
| Sehr präsent, aber nicht in meiner Arbeit. Wenn ich auf diese Zeit | |
| zurückblicke, waren viele von uns nach innen gerichtet. Ich war keine | |
| politische Aktivistin, aber ich hatte ein Bewusstsein und eine Haltung | |
| dazu. Auch heute noch. | |
| 2020 waren Sie in einem mitgebrachten Stuhl zu sehen, wie Sie stundenlang | |
| in der Schlange vor dem Wahllokal warteten, um gegen Trump zu stimmen. | |
| Trump ist ein Faschist und narzisstischer Dummkopf. Aber in meiner Arbeit | |
| spielt er keine Rolle. | |
| Wie haben Sie die achtziger Jahre erlebt, als sich plötzlich niemand mehr | |
| für Performance und Videokunst interessierte? | |
| Es war sehr schwer für mich, dass meine Arbeit plötzlich fallen gelassen | |
| wurde, als wäre sie wertlos. Aber ich habe weitergearbeitet, und in den | |
| letzten 20 Jahren war es wirklich wundervoll, auf einmal diese Anerkennung | |
| zu bekommen. | |
| Im äußeren Säulengang des Hauses der Kunst ist Ihre Videoarbeit „Wolf | |
| Lights“ von 2004 als Loop zu sehen, die im April 2022 einen Monat lang, | |
| immer kurz vor Mitternacht, auf den Anzeigetafeln am New Yorker Times | |
| Square gezeigt wurde und in der die Darstellerin vor der Kulisse von Las | |
| Vegas eine Wolfsmaske trägt. [2][Die Arbeit ist auch ein Verweis auf Dürers | |
| Kupferstich] „Melencolia I“ von 1514. | |
| Die Arbeit bezieht sich auf die Wüstenwölfe, die dort lebten, wo heute die | |
| Glitzerwelt von Las Vegas steht. Es interessiert mich grundsätzlich, das | |
| Absurde zu sehen und mit Verweisen zu Kunst und Literatur Geschichten neu | |
| zu erzählen. | |
| Sie verwenden auch Musik und Klangcollagen. In „Wolf Lights“ ist es eine | |
| Komposition des Jazzpianisten Jason Moran, mit dem Sie seitdem | |
| zusammenarbeiten. Auch für Ihre Performance „Reanimation“ (2010–2012) ü… | |
| das Schmelzen der Gletscher, die jetzt als Video- und Klanginstallation das | |
| Herzstück der Ausstellung im Haus der Kunst bildet. Wie sind Sie sich | |
| begegnet? | |
| Musik war schon immer ein Teil meiner Arbeit und ich verwende verschiedene | |
| Formen von Musik und Klängen. Der Künstler Adam Pendleton ist ein guter | |
| Freund von mir und machte mich mit der Musik von Jason bekannt. Für ein | |
| Projekt mit dem Dia Beacon Museum suchte ich einen neuen musikalischen | |
| Zugang und Jason sagte sofort zu. | |
| Wo sehen Sie sich selbst im Vergleich zu anderen | |
| Performance-Künstlerinnen wie Ana Mendieta oder Valie Export, um nur | |
| einige zu nennen, deren Arbeiten auch physisch sehr viel provokanter sind, | |
| während Ihre Performances eher lyrisch sind? | |
| Ich bewundere deren Arbeiten sehr, aber ich glaube nicht, dass wir uns | |
| überschneiden. Ich wollte immer meine eigene Sprache entwickeln. Der größte | |
| Unterschied ist meine Distanz zum Publikum und dass ich nicht als ich | |
| selbst agiere. Ich habe das Gefühl, ich muss mich verwandeln, eine andere | |
| Person sein. Obwohl meine Arbeit persönlich ist und mit meinem eigenen | |
| Körper und meinem eigenen Empfinden zu tun hat. | |
| Sie überarbeiten viele Ihrer früheren Arbeiten, wie auch die „Mirror | |
| Pieces“ von 1969, die jetzt wieder als Performance zu sehen sind. | |
| Ja, aber irgendwann muss man aufhören und in der Gegenwart bleiben. Ich | |
| gehe nicht oft zurück, aber gelegentlich. Es interessiert mich, weil sich | |
| die Bedeutung der Arbeit ändert, wenn man sie in einen anderen Kontext | |
| stellt. | |
| Sie verwenden manchmal gewalttätige Märchen und Erzählungen, wie in Ihrer | |
| Installation „Juniper Tree“, die Sie ursprünglich für Kinder entwickelten. | |
| Kinder sind auch Teil Ihrer Arbeit „They Come to Us Without a Word“, zu | |
| sehen war sie 2015 im US-Pavillon der Venedig-Biennale. | |
| Märchen zeigen, dass man Brutalität besiegen kann, Märchen stärken Kinder. | |
| In Venedig sollte ich die USA repräsentieren, doch wie geht das überhaupt? | |
| [3][Die USA sind ein sehr vielschichtiges, zerrissenes und auch | |
| gewalttätiges Land] und ich wollte über meine unmittelbaren Bezugspunkte | |
| hinausgehen. Auch hier habe ich mit Jason Moran gearbeitet. Es sind die | |
| Kinder, die mit dieser Welt weiterleben müssen. | |
| Trotzdem wirken Sie optimistisch. | |
| Nun, man muss überleben. Ich habe eine positive Einstellung zum Leben und | |
| zu anderen Menschen und tue noch immer das, woran ich glaube. Die Kunst | |
| hilft mir dabei. | |
| Wie ist es, als Performance-Künstlerin zu altern? | |
| Ich versuche, humorvoll zu sein und keine pathetische alte Dame. Natürlich | |
| denke ich oft darüber nach, wie lange ich noch weitermachen kann. Aber | |
| arbeiten und auftreten, das kann ich noch. | |
| 14 Sep 2022 | |
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