# taz.de -- Korruption in Ungarn: Orbáns härtester Gegner | |
> Daniel Freund hat eine Mission: Der Europa-Abgeordnete will die | |
> Korruption unter Ungarns Premier bekämpfen. Eine Erkundungsfahrt nach | |
> Budapest. | |
Bild: Kommt er durch? Viktor Orbán, EU-Vertreterin von der Leyen und Macron | |
BUDAPEST taz | An diesem Morgen im November steht zum ersten Mal in der | |
Zeitung, was Daniel Freund schon seit Wochen befürchtet hat. „Ungarn und | |
die EU nähern sich einer Einigung“, titelt das Magazin [1][Politico]. Es | |
geht um 7,5 Milliarden Euro, die die Brüsseler Kommission einzufrieren | |
angedroht hat. Zudem hat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán | |
weitere Milliarden aus dem Corona-Wiederaufbaufonds bisher nicht bekommen. | |
Denn seit Langem sieht Brüssel die Demokratie in Ungarn bedroht. Und | |
trotzdem könnten die Milliarden bald wie geplant nach Ungarn fließen – in | |
ein Land mit „einem Grad an Korruption, den es nirgendwo sonst in der EU | |
gibt“, so sieht Daniel Freund das. | |
Korruption ist sein großes Thema. Wohl niemand in Brüssel hat sich so für | |
Sanktionen gegen Orbán eingesetzt wie der 38-jährige Grünen-Abgeordnete aus | |
Aachen. 2019 kam er ins EU-Parlament, 2020 strahlt Arte die Doku | |
[2][„Hallo, Diktator“] aus. Freund kämpft darin für Strafen gegen | |
EU-Staaten, die die Rechtsstaatlichkeit verletzen – so wie Ungarn. | |
Mittlerweile läuft das Verfahren gegen den Autokraten Orbán. Bis zum 19. | |
November hat der Zeit, Brüssel zu erklären, warum Sanktionen gegen seine | |
Regierung falsch wären. | |
Und so hat auch Daniel Freund an diesem Morgen noch nur noch ein paar Tage | |
Zeit, um dafür zu sorgen, dass die EU die womöglich einzige Chance nicht | |
verpasst, Orbán unter Kontrolle zu bekommen. Denn letztlich sei die Frage | |
ja: „Wie verhindere ich, dass er die EU von innen kaputt macht?“, sagt | |
Freund. | |
## Frühstück beim Journalisten | |
Also ist er nach Budapest gereist und sitzt jetzt im hellblauen Anzug | |
frühstückend in einem Café im 6. Bezirk mit einem in Ungarn lebenden | |
Journalisten. Der schildert ihm Orbáns prekäre Finanzlage: eine | |
Rekordinflation von über 20 Prozent trotz staatlicher Preisbremsen, | |
sündhaft teure Wahlgeschenke, eine leere Staatskasse. Würde Brüssel das | |
Geld tatsächlich einfrieren, wäre Orbán wohl schlichtweg pleite. | |
Freund weiß das alles schon längst. Und er versteht nicht, warum die | |
Kommission diese Situation nicht ausnutzt, um Orbán zumindest ein Stück | |
weit wieder auf EU-Standards zu verpflichten. | |
„Wenn die EU das Geld zurückhält, würden die Leute Orbán glauben, dass ich | |
schuld bin?“, will Freund von dem Journalisten wissen. Richtet sich die Wut | |
also gegen den Ministerpräsidenten, der mit seinem autoritären Umbau des | |
Staats immer weiter voranschreitet? Oder gelänge es diesem, den Ärger auf | |
Brüssel zu lenken und so seine Position womöglich gar noch zu festigen? | |
Eine wirkliche Antwort darauf hat der Journalist nicht. | |
Später sagt Freund: „Ich meinte nicht mich persönlich, sondern eher das | |
Parlament als Ganzes.“ Das hatte schließlich 2021 beschlossen, dass die | |
Kommission das Verfahren gegen Ungarn starten solle. | |
Aber vielleicht würde sich die Wut doch gegen ihn, gegen Freund richten. | |
[3][Tamás Deutsch] von der regierenden Fidesz-Partei hat im ungarischen | |
Fernsehen über Freund gesagt: „Früher kamen sie mit braunen, jetzt mit | |
grünen Hemden.“ Auf einem Fidesz-Parteiblog erscheinen bis zu zwei Artikel | |
pro Tag, die sich an Freund abarbeiten. Zuletzt wurde er dort „besessener | |
Inquisitor“ genannt. | |
Im Sommer hatte [4][Zsolt Bayer], ein Fidesz-Propagandist, Freund als | |
„unnötige Existenz“ und als „Unfall, eine versehentliche Entgleisung, ein | |
Stoß auf den kranken Körper des beginnenden 21. Jahrhunderts“ geschmäht. | |
Als Bayer erfuhr, dass Freund auf einem Festival in Budapest als | |
Podiumsgast eingeladen war, postete er dies auf dem Regierungspartei-Blog. | |
„Da war ich das erste Mal mit Securities unterwegs“, sagt Freund. | |
Heute sind nur zwei seiner Referenten aus Brüssel mitgekommen. Die drei | |
machen sich auf den Weg, vorbei an der Synagoge, durch die Budapester | |
Innenstadt, Rollkoffer hinter sich, einen Kameramann vor sich. Der dreht | |
schon für die nächste Fernsehdokumentation über Freunds Kampf gegen Orbán. | |
Freund schimpft über die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. | |
„Sie hat es, so lange es irgendwie ging, verschleppt“, sagt er. | |
Anfang 2021 trat der europäische Rechtsstaatsmechanismus in Kraft. Im | |
Oktober 2021 verklagte das EU-Parlament von der Leyen, weil sie das | |
Instrument nicht gegen Orbán einsetzte. Doch erst zwei Tage nach der von | |
der Fidesz [5][gewonnenen Parlamentswahl] im April 2022 kündigte die | |
Kommission schließlich an, den Rechtsstaatsmechanismus gegenüber Ungarn | |
anzuwenden – eine überaus freundliche Rücksichtnahme auf Orbáns Wahlkampf. | |
Es war nicht das einzige Entgegenkommen. Eigentlich sollen erst die | |
Sanktionen greifen und der Mitgliedstaat dann Abhilfe schaffen, so ist es | |
gedacht. „Die Kommission hat das nun eigenmächtig so konstruiert, dass | |
Ungarn vorab reagieren kann und Gesetze dafür erlässt.“ | |
Eine „Einigung“ mit Orbán hieße, dass dieser seinen Kurs fortsetzen kann, | |
befürchtet [6][Daniel Freund]. Die ungarische Opposition ist zerfallen, die | |
Medien sind weitgehend unter staatlicher Kontrolle, die Rechte von | |
Nichtregierungsorganisationen sind eingeschränkt, die Gewaltenteilung ist | |
es ebenso. Ungarn wird zum Gegenteil einer offenen Gesellschaft. Für | |
Korruption sind das ideale Bedingungen. Und so ist das öffentliche | |
Beschaffungswesen in Ungarn zu einem Selbstbedienungsladen verkommen. | |
## Die teuren Laternen | |
Freund erzählt die Geschichte mit den LED-Laternen. 2010, Orbán war gerade | |
wieder ins Amt gewählt worden, wurde der Auftrag für die moderne | |
Beleuchtung erstmals in Ungarn ausgeschrieben. Den ersten Zuschlag bekam | |
Elios, ein Unternehmen, das damals Orbáns Schwiegersohn István Tiborcz | |
gehörte. „In die nächste Ausschreibung haben sie dann einfach | |
reingeschrieben, dass der Auftragnehmer Erfahrung mit LED-Straßenlaternen | |
in Ungarn haben muss“, sagt Freund. „Da war er dann natürlich der Einzige.… | |
Die folgenden 42 Aufträge habe Tiborcz dann konkurrenzlos gewonnen. „Und er | |
konnte verlangen, was er wollte.“ | |
Orbáns Familie und seine engsten Freunde stammen aus der Mittelschicht. | |
Seit er im Amt ist, haben sie Schätzungen zufolge ein Milliardenvermögen | |
angehäuft. | |
Die [7][EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf] monierte später, dass Elios | |
minderwertige Laternen zu überhöhten Preisen für insgesamt 40 Millionen | |
Euro aufstellen durfte. „Es laufen zu jeder Zeit etwa 40.000 von der EU | |
geförderte Projekte in Ungarn“, sagt Freund. „Und wissen Sie, wie viele | |
Leute bei der EU-Betrugsbehörde Olaf für Ungarn zuständig sind? Vier!“ | |
Dann erzählt Freund von einem Besuch in Orbáns Heimatort Felcsút. Dort | |
stehe „das schönste Fußballstadion, das ich je gesehen habe“. Außerdem g… | |
es eine Schmalspurbahn, bezahlt von der Europäischen Union. Sie fährt von | |
der Stadt in ein Maisfeld. „Der einzige Zwischenstopp ist ein Fischteich.“ | |
Die Zuschüsse seien mit der Behauptung beantragt worden, die | |
„Touristenattraktion“ würde 2.000 Menschen pro Tag anziehen. „Als wir da | |
waren, fuhr sie einmal am Tag, und wir waren allein“, sagt Freund. „Das | |
Bauen an sich, das ist der Zweck. Denn dabei kann man Geld abgreifen.“ | |
17 Maßnahmen hat Ungarn nun der Kommission angeboten, um der Korruption | |
entgegenzuwirken. In Rekordzeit hat Ungarn sechs Gesetze durch das | |
Parlament gebracht. Unter anderem soll eine „Integritätsbehörde“ entstehe… | |
Ein Problem: Die Maßnahmen berühren in erster Linie Vergabeverfahren für | |
öffentliche Gelder. Schritte, die die Durchsetzung des Rechtsstaats | |
betreffen, sind nicht enthalten. „Die Anforderung, dass sich mehr als eine | |
Firma auf eine öffentliche Ausschreibung bewerben muss, kann durch | |
Scheinangebote einfach umgangen werden“, klagt Freund. | |
## Treffen mit Antikorruptionsinitiativen | |
Auch die drei wichtigsten Antikorruptionsorganisationen des Landes – das | |
Helsinki-Komitee, Transparency International und K-Monitor – halten von den | |
Vorschlägen wenig. „Halbherzige Versprechen, enttäuschend eingelöst“, st… | |
in ihrer gemeinsamen Stellungnahme. Orbáns Vorschläge seien „ungeeignet“, | |
die Korruption einzudämmen. | |
In Ungarn haben sie es schwer, mit ihrer Kritik durchzudringen. Alle drei | |
Organisationen bekommen Geld von der [8][Open Society Foundation] des | |
ungarischen Millionärs George Soros. Er ist der Lieblingsfeind Orbáns, | |
seine Staatsmedien zeichnen ihn seit Jahren als eine der größten Gefahren | |
für die ungarische Nation. | |
Am Vormittag haben sich Vertreter der drei Gruppierungen in den Räumen des | |
Helsinki-Komitees in der Innenstadt versammelt, um mit Freund zu sprechen. | |
Sie sind aufgebracht, weil Orbán das Verfahren durchgezogen hat, ohne | |
irgendjemanden außerhalb der Regierung zu beteiligen. Am absurdesten sei | |
die Ernennung der Leiter der neuen „Integritätsbehörde“ gelaufen, sagen | |
sie. Am 28. Oktober, einem Freitag, schreibt die Regierung die Chefposten | |
für die neue Behörde aus. Dann kommt ein langes Wochenende. Nur drei | |
Werktage später bittet Orbán zum Fototermin und händigt den Direktoren ihre | |
Ernennungsurkunden aus. „Die Kriterien für die Einstellung wurden erst | |
nach Eingang der Bewerbungen festgelegt“, sagt einer der | |
Korruptionsbekämpfer. | |
Die Wahl fiel damals auf Ferenc Biro, einen auf sogenannte | |
Compliance-Fragen spezialisierten Consultant des | |
Wirtschaftsprüfungskonzerns Pricewaterhouse Coopers. Gegen den Mann | |
selbst sei nichts zu sagen, finden die NGO-Leute. Das Problem sei, dass | |
seine Behörde keine Befugnisse bekommen soll. | |
Eine Juristin des Helsinki-Komitees glaubt, dass ohne unabhängige | |
Verfolgungsinstanz die Korruption nicht eingedämmt werde. Allein in den | |
letzten Monaten seien in Ungarn die Verfahren in drei hochkarätigen | |
Korruptionsfällen eingestellt worden. Die Justiz sei fest in der Hand | |
zweier von Orbán ernannter Vertrauter. | |
Von der Leyen müsse die Vorschläge ablehnen, sagt der Transparency-Mann. | |
„Das ist ein Nebelschleier, um Korruption zu verdecken.“ | |
Nach einer Stunde bricht Freund wieder auf. „Das Schrägste war die Sache | |
mit der Ernennung des Behördenleiters“, sagt er im Auto. „Sie konnten also | |
einfach aussuchen, wen sie gewinnen lassen wollten.“ | |
## Mittagessen beim EU-Vertreter | |
Zum Mittagessen trifft er Maksi Mátyás, den Statthalter der EU-Kommission | |
in Ungarn, in einem libanesischen Restaurant. Mátyás ist ein sanftmütiger | |
Ökonom, der sich zwölf Jahre in Brüssel um Klimapolitik gekümmert hat. | |
Kommissionsvertreter ist er erst seit fünf Monaten. Er bestellt Hühnerleber | |
mit Granatapfel und stochert darin herum. „Es ist eine sehr delikate | |
Situation“, sagt er dann. „Wir sind hier off the record, nehme ich an?“ | |
Freund isst einen Teller Humus und redet sich in Rage. „Wenn wir nicht mit | |
Ungarn klarkommen, wie wollen wir dann mit Polen oder Italien fertig | |
werden?“, fragt er. Blockiere man das Geld, bestehe ein Risiko, dass sich | |
der Unmut der Ungarn gegen Brüssel richtet. „Aber wenn wir nichts | |
einfrieren, ist das Risiko größer“, sagt Freund. „Was soll ich den Leuten | |
sagen, wieso es ein höheres EU-Budget braucht, wenn die dann sagen: ‚Ihr | |
gebt das Geld einem Diktator, damit der seine Diktatur ausbauen kann. Seine | |
Freunde werden Milliardäre, und ihr schaut zu.‘ “ | |
Mátyás sieht die Dinge nicht ganz so schwarz. | |
„Er war gut informiert, immerhin“, sagt Freund danach im Auto. Die | |
Kommission hätte im April nie gedacht, dass sie mit dem Verfahren so viel | |
erreichen könne, habe Mátyás gesagt. „Ich verstehe nicht, wie er das sagen | |
kann.“ | |
Wenn die Kommission nur so zersplittert vorgehe wie jetzt, „dann wird Orbán | |
uns schlagen“, sagt Freund. „Er ist zu klug, er hat zu viele gute Anwälte.… | |
## Orbáns Hebel gegen die Sanktionen | |
Orbáns Hebel, das seien die Russland-Sanktionen und die Ukraine-Hilfen | |
der EU. Beides kann er mit einem Veto blockieren. „Sein Glück ist, dass es | |
immer noch größere Probleme gibt, die wichtiger sind und für die man seine | |
Zustimmung braucht“, sagt Freund. | |
In der Ukraine-Frage hat Orbán sich längst offen auf die Seite Moskaus | |
geschlagen. Für die Inflation macht er die Russland-Sanktionen der EU | |
verantwortlich. Die „schieße“ mit den Sanktionen „auf hinterhältige Wei… | |
gegen Ungarn“, behauptete Orbán bei einer Rede am Nationalfeiertag Ende | |
Oktober. Ungarn werde in dieser Auseinandersetzung „siegreich“ bleiben, die | |
EU hingegen werde ein ähnliches Ende nehmen wie die Sowjetunion, die | |
bekanntlich 1991 aufgelöst wurde. Putin könnte kaum abfälliger über die EU | |
sprechen. | |
Damit die Ungarn ihm auch folgen, hat Viktor Orbán eine groß angelegte | |
Kampagne gestartet. Im ganzen Land hängen Plakate mit Fliegerbomben und dem | |
Slogan „Die Brüsseler Sanktionen richten uns zugrunde.“ Dazugehörige Spots | |
laufen in den Staatsmedien rauf und runter. Die Kampagne flankiert eine | |
„Nationale Konsultation“, in der jeder Erwachsene einen Brief von Viktor | |
Orbán bekommen hat. Darin erklärt er wortreich, warum die Sanktionen Ungarn | |
in den Ruin treiben und „größere Migrationswellen als je zuvor“ auslösen | |
werden. Unter diesen Ausführungen können die Ungarn dann mit „Ja“ oder | |
„Nein“ abstimmen, ob sie Brüssels oder seinen, Orbáns Kurs, unterstützen. | |
Das Ergebnis der bis Mitte Dezember angesetzten „Konsultation“ dürfte keine | |
Überraschung werden. | |
## Besuch bei protestierenden Pädagogen | |
Zu denen, die dabei nicht mitmachen, gehören derweil viele Lehrer. Seit | |
Anfang September demonstrieren sie gegen Orbán. Am Nationalfeiertag, dem | |
23. Oktober, brachten sie 65.000 Menschen auf die Straße – für ein Land mit | |
knapp 10 Millionen Einwohnern eine enorme Zahl. | |
„Mittlerweile sind sie systemkritisch“, sagt Palya Tamás, einer der | |
Organisatoren der Proteste, dessen ergrauter Bart seit langer Zeit | |
ungestört wachsen darf, über seine Kollegen. Tamás hat 29 Jahre lang Physik | |
und Mathematik am Budapester Kölcsey-Ferenc-Gymnasium unterrichtet. Bis vor | |
fünf Wochen. Da wurden er und vier weitere Kolleg:innen entlassen. Der | |
offizielle Grund: Sie hätten vier Tage gestreikt. Doch das hatten auch | |
andere getan. Vom Kölcsey-Ferenc-Gymnasium aber gingen die Proteste aus. | |
Und so statuierte die Regierung dort ein Exempel. | |
Am Nachmittag sitzt Tamás mit einer weiteren entlassenen Kollegin im | |
Hinterzimmer eines Cafés am Kalvinplatz. Freund hat einen Dolmetscher | |
bestellt und hört zu, wie Tamás berichtet, was sie auf die Straße getrieben | |
hat. | |
„Wir wissen nicht, wie wir zu einer Veränderung kommen können. Wir wissen | |
nur, dass die Lage so schlecht ist, dass sich etwas ändern muss.“ Tamás | |
zeigt ein Foto: „Das ist eines der besten Gymnasien in Budapest.“ Auf dem | |
Bild ist ein Verschlag aus Holz vor dem Eingang des Gebäudes zu sehen. „Den | |
haben sie dahin gebaut, damit der herunterfallende Putz den Schülern nicht | |
auf den Kopf fällt.“ | |
Die Schulen sind marode, die Löhne zu niedrig. Das war vor der Inflation | |
schon ein Thema, aber jetzt sei es „noch bedeutsamer geworden“. | |
„Hab ich das richtig verstanden, dass Orbán gesagt hat, dass er die Löhne | |
nicht erhöhen kann, solange das Geld aus Brüssel nicht kommt?“, fragt | |
Freund. „Wissen die Leute, dass das Quatsch ist?“ | |
„Die Fanatiker von der Fidesz glauben das. Und die Leute, die sich nur aus | |
Staatsmedien informieren.“ | |
Doch es geht nicht nur ums Geld. Orbán hat auch das Bildungssystem auf | |
Linie gebracht. Das Innenministerium hat schon damit begonnen, sich für die | |
Namen der Schüler:innen zu interessieren, die die Lehrer bei ihrem | |
Streik unterstützen, berichten die. | |
Und auch die Schulbücher zeigen die Welt so, wie Orbán sie verstanden | |
wissen will. Tamás Kollegin zeigt auf ihrem Handy eine Zeichnung: Eine | |
Uncle-Sam-Figur mit USA-Flagge auf dem Hut und ein EU-Männchen zerren an | |
einer Fahne der Ukraine. Auf der anderen Seite steht ein russischer Bär, | |
übermächtig groß, mit ausgefahrenen Krallen, der die Fahne festhält. | |
„Haargenau wie in der russischen Propaganda: Die Ukraine wird als nicht | |
souveräner Staat gezeigt“, sagt die Lehrerin. Es ist das verpflichtende | |
Geografiebuch für die 8. Klasse. „Man muss hier leben, um das alles glauben | |
zu können,“ sagt sie. | |
Die Lehrer wollen weitermachen. Allein bis Ende November haben sie vier | |
weitere Aktionstage geplant. | |
„Gibt es etwas, das ich tun kann?“, fragt Freund. | |
„Wir warten nicht auf ein Wunder von der EU“, sagt die Lehrerin. „Aber sie | |
soll verstehen, warum wir das alles machen. Es soll nicht nur die | |
Kommunikation der Regierung gehört werden.“ | |
## Konsequenzen für die europäische Demokratie | |
Im Auto, auf dem Weg zum Flughafen, lässt Freund sacken, was er gehört hat. | |
[9][„Ungarn braucht jetzt dringend Geld“], sagt er. Orbán tue deshalb | |
gerade jetzt alles, was von ihm verlangt werde. „Warum dann nicht etwas | |
länger warten? Warum nicht mehr herausholen? Warum in einer Woche | |
entscheiden?“ | |
Am Tag nach Freunds Besuch kündigt die Regierung in Budapest an, ein | |
18-Milliarden-Euro-Hilfspaket der EU für die Ukraine blockieren zu wollen. | |
Eine Woche vor Ablauf der Prüffrist für die Sanktionen gegen ihn selbst | |
treibt Orbán so den Preis in die Höhe. Offenbar mit Erfolg. Einen Tag | |
später meldet sich die EU-Kommission zu Wort. Ungarn habe „signifikante | |
Schritte“ unternommen, um die Unabhängigkeit der Justiz wiederherzustellen. | |
Freund ist entsetzt. „Sieht so aus, als würde von der Leyen bald nach | |
Budapest reisen und Ungarns Wiederaufbauplan annehmen“, twittert er. | |
„Milliarden von Euro werden Orbáns Korruption dann weiter am Laufen | |
halten. Das wird katastrophale Konsequenzen für die europäische Demokratie | |
haben.“ | |
14 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.politico.com/ | |
[2] https://www.arte.tv/de/videos/099755-000-A/hallo-diktator/ | |
[3] https://www.europarl.europa.eu/meps/de/96826/TAMAS_DEUTSCH/home | |
[4] https://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-verdienstorden-fuer-rechtsext… | |
[5] /Ausgang-der-Parlamentswahl-in-Ungarn/!5845904 | |
[6] https://danielfreund.eu/ | |
[7] https://anti-fraud.ec.europa.eu/index_de | |
[8] https://www.opensocietyfoundations.org/ | |
[9] /Konflikt-zwischen-Ungarn-und-EU/!5881847 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Korruption | |
Ungarn | |
Viktor Orbán | |
GNS | |
Konrad-Adenauer-Stiftung | |
Viktor Orbán | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Europaparlament | |
Europäische Union | |
Europäische Union | |
Viktor Orbán | |
Israel | |
Viktor Orbán | |
Viktor Orbán | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Partner der Konrad-Adenauer-Stiftung: Konservatives Dilemma mit Ungarn | |
Die CDU-nahe Stiftung hat enge Verbindungen zu Viktor Orbáns Kaderschmiede | |
in Ungarn. Das wird zunehmend zum Problem. | |
Angegriffene Pressefreiheit in Ungarn: Kämpfer an Orbáns Medienfront | |
Eine österreichische Journalistin wird tagelang in Ungarns TV-Nachrichten | |
diffamiert. Orbán-treue Medien sehen sich als Teil eines rechten | |
Kulturkampfes. | |
EU-Gipfel zum Ukraine-Krieg: Bröckelnde Solidarität | |
Europa vereint für die Ukraine? Der EU-Gipfel zeigt ein etwas anderes Bild. | |
Sanktionen und Waffenlieferungen werden nur unzureichend umgesetzt. | |
Streit über Korruption: EU und Ungarn schließen Deal | |
Wegen mutmaßlichen Missbrauchs von Fördermitteln geht die EU hart gegen | |
Ungarn vor. Trotzdem reagiert Premier Viktor Orbán gelassen. | |
Ungarn-Politik der EU: Orbán soll nur etwas Geld bekommen | |
Die EU-Staaten haben sich darauf geeinigt, Gelder für Ungarn einzubehalten. | |
Aber die EU will weniger einfrieren als von der Kommission vorgeschlagen. | |
Empfehlung der EU-Kommission: Kein Geld mehr für Orbán | |
Die EU-Kommission will rund 13 Milliarden Euro für Ungarn einfrieren. | |
Ministerpräsident Viktor Orbán wehrte sich bisher gegen den Druck aus | |
Brüssel. | |
EU-Parlament über EU-Mittel für Ungarn: Kein EU-Geldautomat für Orbán | |
Das Europäische Parlament fordert die Kommission und den Rat auf, 7,5 | |
Milliarden Euro nicht an Ungarn auszuzahlen. Es fehlen | |
Antikorruptionsmaßnahmen. | |
Krise der Demokratie: „Wir stehen vor einem Rätsel“ | |
Sorgenvoll blickt der israelische Philosoph Yuval Kremnitzer auf das | |
weltweite Erstarken des Autoritarismus. Schnelle Antworten gebe es nicht. | |
Demonstrationen in Ungarn: Orbán immer unglaubwürdiger | |
Die Proteste in Budapest richten sich nicht nur gegen die äußerlich maroden | |
Zustände im Bildungssystem. Orbáns Propaganda kommt immer weniger an. | |
Geplante EU-Mittelkürzung für Ungarn: Orbán knickt ein | |
Fördergelder einfrieren, damit Ungarn mit Korruption und Demokratieabbau | |
Schluss macht: Es ist immerhin ein Anfang – denn Orbán braucht das EU-Geld. |