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# taz.de -- Kolumne Cannes Cannes: Helmut Berger ist wieder da
> Bertrand Bonello hat eine Dekade von Yves Saint Laurents Leben verfilmt.
> Aber nicht alle wollen dem Couturier beim Cruisen zusehen.
Bild: Entfacht den Wirbelwind der Erinnerung: Regisseur Bonello
„Wie erzählt man das Leben von jemandem in zwei Stunden?“, fragt sich
Bertrand Bonello, kurz nachdem die Pressekonferenz zu seinem Film „Saint
Laurent“ begonnen hat. Es ist eine Frage, die sich in diesem Jahr noch
andere Regisseure gestellt haben werden, denn im Programm gibt es mehrere
Filmbiografien, etwa den glücklosen „Grace de Monaco“ von Olivier Dahan
oder „Mr. Turner“ von Mike Leigh, ein Film, in dem sich Timothy Spall so in
den englischen Maler hineingrummelt und -grantelt, dass alle Freunde
deftigen Schauspiels auf ihre Kosten kommen und alle anderen eher nicht.
Bonellos Antwort auf die selbst gestellte Frage lautet: „Man muss es“ –
also das Leben der betreffenden Person – „neu zentrieren“.
Das tut er mit seiner Filmbiografie des 2008 verstorbenen Yves Saint
Laurent auf elegante Weise. „Saint Laurent“ umfasst die Zeit von 1967 bis
1976. Man sieht den jungen französischen Couturier (Gaspard Ulliel) bei der
Arbeit und beim Vergnügen. Man sieht, wie er tagsüber zeichnet und nachts
Drogen nimmt, wie er wichtigen Gefährtinnen, etwa Loulou De La Falaise (Léa
Seydoux), begegnet oder wie er sich von seinem Geliebten und
Geschäftspartner Pierre Bergé (Jérémie Renier) in einen Schrank sperren
lässt, in einer Geste, die identitätspolitische Dogmen wie das Coming-out
als Glücksgarant jeder schwulen Biografie ad absurdum führen.
Ein paar Schlüsselmomente kommen auch vor, etwa das Posieren für die
Anzeige aus dem Jahr 1971, auf der der Modeschöpfer selbst zu sehen ist,
nackt, mit Brille und langem Haar. Hinreißend der Gastauftritt, in dem
Valeria Bruni Tedeschi einen der berühmten Damenanzüge anprobiert und darin
zunächst fremdelt, bevor sie sich in Stoff und Schnitt verliebt.
Hinreißend auch die Sequenz, in der Saint Laurent zum ersten Mal Jacques de
Bascher begegnet, einem Mann, der sein Geliebter wird (Louis Garrel): In
einem Nachtclub, unter einer blau, gelb und rot blinkenden Neonbeleuchtung,
bildet sich eine Blickachse zwischen den beiden, die Kamera schwenkt
langsam von einem zum anderen und fängt in einem Bogen die Tanzenden, die
den Raum zwischen ihnen füllen, ein (einige tragen
Saint-Laurent-Schöpfungen, andere Kopien davon), sie schwenkt wieder
zurück, bleibt an Hindernissen hängen, schweift ab, das geht eine Weile so,
bis schließlich de Bascher auf Saint Laurent zugeht.
Der Film mündet in ein Defilee, bei dem die Kollektion von 1976 präsentiert
wird, die trunken von Einflüssen aus Marrakesch ist (dorthin zog sich Saint
Laurent oft zurück). Parallel dazu gibt es Vorausblicke auf Saint Laurent
als alten Mann. In diesen Szenen wird er von Helmut Berger gespielt, und
allein das ist ein Coup: Berger, so verwoben mit den Filmen und dem
Lebensstil der 60er und 70er, bewies zuletzt bei öffentlichen Auftritten
umso weniger Geschick, je mehr er die eigene Zerstörtheit ausstellte.
Hier kehrt er noch einmal zurück zu alter Form, und mit seinem Auftritt
bekommt „Saint Laurent“ eine Dimension, die weit über gewöhnliche Biopics
hinausweist, weil deutlich wird, dass es um das Verstreichen der Zeit
selbst geht. Marcel Proust war eine wesentliche Inspiration für Saint
Laurent, und Bonello versucht dem gerecht zu werden, indem er im großen
Finale den Wirbelwind der Erinnerung, der im letzten Band von „Auf der
Suche nach der verlorenen Zeit“ tost, entfacht.
Pierre Bergé hat dem Film den Segen und die Unterstützung verweigert, und
manch einer ist peinlich berührt, weil man sieht, wie Saint Laurent cruisen
geht. Wohin ist sie nur verschwunden, die Nonchalance der 70er Jahre.
19 May 2014
## AUTOREN
Cristina Nord
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