| # taz.de -- Kolumne Cannes Cannes: „Sie schießen auf Journalisten“ | |
| > Naomi Kawases „Futasume no mado“ („Still the Water“) erzählt von der | |
| > Natur, dem Tod und der Unsicherheit des Heranwachsens. | |
| Bild: Schauspielerin Jun Yoshinaga (l.) und Regisseurin Naomi Kawase | |
| Eine Premiere im Grand Théâtre Lumière zu erleben, ist etwas Besonderes. Am | |
| Dienstagnachmittag habe ich das Glück, mir Naomi Kawases „Futasume no mado“ | |
| („Still the Water“) anzusehen. Als ich über den roten Teppich gehe, ist | |
| noch nicht viel los, die den Fotografen zugewiesenen Plätze unterhalb der | |
| Stufen, die zum Saal führen, sind kaum besetzt. | |
| Im Saal läuft eine Videoübertragung vom Geschehen auf dem roten Teppich. | |
| Dort erscheint gerade Jane Campion, die Präsidentin der Wettbewerbsjury. | |
| Bei einer Pressekonferenz zu Beginn des Festivals sagte sie, eine ihrer | |
| größten Sorge sei der Dresscodes von Cannes. Am Dienstag entscheidet sie | |
| sich für ein rotes, weites, weich fallendes Kleid mit dunklen Ärmeln. | |
| Naomi Kawase trägt einen weißen Kimono, traditionell mit Obi gebunden, dazu | |
| die typischen japanischen Sandalen und die Socken, in denen die große Zehe | |
| ihren eigenen Platz bekommt. Ihr hochgestecktes Haar wird von einer | |
| Efeuranke verziert. Der Wind zaust zärtlich Haare, die Spannung, die | |
| Aufregung, das Lampenfieber sind der Regisseurin und ihrem Team anzusehen. | |
| Für „Mogari no mori“ („The Mourning Forest“) hat Kawase 2007 in Cannes… | |
| Großen Preis der Jury erhalten. Es geht darin um eine junge | |
| Krankenpflegerin und einen alten, dem Tode nahen Mann. Auf dem Gipfelpunkt | |
| des Films kommen die beiden in einem Wald vom Weg ab, und je länger sie | |
| umherirren, desto mehr hat dieser grüne, undurchdringliche Raum etwas von | |
| einer jenseitigen Welt. In „Futasume no mado“ ist es nicht der Wald, | |
| sondern das Meer, das als Naturgewalt den Film beherrscht. Er spielt auf | |
| der Insel Amami, weit im Süden Japans. | |
| ## Zu viel Naturmystik | |
| Gleich die ersten Bilder zeigen mächtige Wellen, später schwimmen und | |
| tauchen die Figuren, noch später tost ein Taifun und bringt die Grenze | |
| zwischen Wasser und Land durcheinander. Auch diesmal geht es um den Tod – | |
| am Anfang wird die Leiche eines Mannes an den Strand gespült, gegen Ende | |
| stirbt eine der Figuren. Parallel dazu erzählt „Futasume no mado“ von der | |
| Unsicherheit des Heranwachsens und vom Erwachen in ein neues Leben, das den | |
| beiden jugendlichen Hauptfiguren Kaito (Nijiro Murakami) und Kyoko (Jun | |
| Yoshinaga) schließlich zuteil wird, wenn sie in einem Mangrovenwald, | |
| zwischen Meer und Land, zueinander finden. | |
| Für meine Augen ist das manchmal zu viel Naturmystik und zu viel | |
| Einverständnis in den unvermeidlichen Lauf der Dinge. Doch gelingen Kawase | |
| immer wieder großartige Momente, besonders die Sequenz, in der Kyokos | |
| Mutter stirbt. Im Raum befinden sich viele Menschen, Leute aus dem Dorf, | |
| sie tanzen zu Ehren des Monats August, dazwischen sieht man Close-ups vom | |
| Gesicht der Sterbenden, von dem ihrer Tochter und von dem ihres Mannes. | |
| Niemand rebelliert hier offen gegen den Tod. | |
| Um offene Rebellion dagegen geht es in einem herausragenden Dokumentarfilm, | |
| der außer Konkurrenz läuft: „Maidan“ von Sergei Loznitsa. Der Regisseur �… | |
| in Weißrussland geboren, in der Ukraine aufgewachsen, Studium in Moskau, | |
| Wohnsitz in Berlin – zeichnet auf, was im Herbst und im Winter im Zentrum | |
| von Kiew geschieht. | |
| Er tut dies registrierend, ohne Kommentar, macht sich nicht gemein mit den | |
| Parolen, der Nationalhymne, den patriotischen Gedichten und Gottesdiensten, | |
| er interviewt niemanden, er filmt meist aus der Distanz, in Totalen, in | |
| denen viele Menschen, Barrikaden, Rauchschwaden oder Polizeispaliere Platz | |
| finden. Das bedeutet, dass er die Funktionsweise, die Logistik, die | |
| Rhetorik von Protest und Aufstand in den Blick bekommt. | |
| Die Kamera bewegt sich so gut wie nie, einmal schwenkt und zoomt sie von | |
| einem erhöhten Standpunkt aus. Ein anderes Mal wackelt sie, wendet sich ab, | |
| kommt an einer anderen Stelle zur Ruhe. „Sie schießen auf Journalisten“, | |
| hört man aus dem Off. | |
| 21 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Cristina Nord | |
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