# taz.de -- Festivalleiterin über europäischen Film: „Wahnsinnig viel zu en… | |
> Cineastisches Lustwandeln und diszipliniertes Abarbeiten – die | |
> Festivalkuratorin Christine Dollhofer ist beglückt über den europäischen | |
> Film, zumal in Zeiten der Krise. | |
Bild: Szenenbild aus der Dokumentation „The Mother and the Sea“. | |
taz: Frau Dollhofer, Sie leiten das Filmfestival Crossing Europe, das | |
euopäische Filme zeigt und stets im April in Linz stattfindet. Was machen | |
Sie in Cannes? | |
Christine Dollhofer: Drei Dinge. Ich sichte neue Filme für Crossing Europe, | |
für das Festival 2015, ich bin für das Festival von San Sebastián als | |
Programmdelegierte für Österreich, Deutschland und die Schweiz unterwegs, | |
und ich bin Acquisition Consultant des österreichischen Verleihs Filmladen | |
– der braucht bei der Menge an Filmen, die hier in Cannes präsentiert | |
werden, Berater. | |
Sie schauen nur europäische Filme? | |
Genau, abgesehen von ein, zwei guilty pleasures, wenn es sich zeitlich | |
ausgeht. Und ich schaue hauptsächlich in den Nebensektionen. | |
Warum? | |
Aus Erfahrung. Die Filme, die im Wettbewerb laufen, haben meist schon einen | |
österreichischen Verleih und kommen ins Kino. In den Abteilungen „Quinzaine | |
des réalisateurs“, „Un certain régard“ oder in der „Semaine de la Cri… | |
finde ich eher Filme für mein Festival, auch weil man dort ein räudigeres, | |
frischeres Kino sieht als im Wettbewerb. | |
Gibt es denn in diesem Jahr Gutes und Interessantes aus Europa? | |
Immer! Und man weiß nie, was einen erwartet. Ich sammle ganz unbefangen. | |
Stellt das Programm von Cannes den Gipfel des europäischen Filmschaffens | |
dar? | |
Im Spielfilm auf jeden Fall, im Dokumentarfilm weniger. Und dann ist es | |
doch auch sehr abhängig von der Auswahlkommission. Tauschte man das | |
Selektionskomitee aus, hätte man eine ganz andere Auswahl. Es gab zum | |
Beispiel eine rumänische Welle, doch heuer ist kein einziger rumänischer | |
Film dabei. Stattdessen Syrien, Ukraine, Sarajevo, brandaktuelle Themen, | |
und als Festival möchte man dazu etwas im Programm haben. | |
Gibt es denn gerade etwas, was der neuen Welle des rumänischen Kinos, zu | |
der Cristi Puiu oder Corneliu Poromboiu zählen, vergleichbar wäre? | |
Es ist interessant, wie viele neue griechische Filme auf internationalen | |
Festivals laufen. Und das gerade in einer Zeit der Wirtschaftskrise und des | |
Umbruchs, in einer Zeit, in der das Fördersystem und die Kulturpolitik sich | |
verändern. Und trotzdem gibt es eine junge Generation, Leute, die mit | |
10.000, 20.000 Euro einen Film drehen. | |
Wer zum Beispiel? | |
Giorgos Lanthimos’ „Dogtooth“ hatte in Cannes Premiere, in der „Quinzai… | |
des réalisateurs“. Das war ein Durchbruch. Und es gibt längst neue Filme. | |
„Boy Eating the Bird’s Food“ von Ektoras Lygizos oder „All Cats Are | |
Brillant“ von Constantina Voulgaris. Beide haben Karriere gemacht. | |
Wie schafft man es, trotz Krise Filme zu machen? In Spanien entsteht ja | |
auch einiges. | |
Das sind ja technisch gut ausgebildete Menschen, und die betreiben das | |
Filmemachen dann guerillamäßig. Und sie suchen nach Koproduktionen mit | |
Frankreich oder Deutschland. | |
Hat, wer auf Festivals Karriere macht, Chancen fürs reguläre Kino? | |
Nein. Aber oft finden Filme auf Festivals ein größeres Publikum, als wenn | |
sie nur eine kleine nationale Auswertung hätten. Und die Weltvertriebe | |
verdienen gutes Geld mit den Festivaleinsätzen. Für die Filmemacher ist es | |
gut, auf sich aufmerksam zu machen, sodass sie die Finanzierung für das | |
nächste Projekt sichern können. | |
Woran liegt es, dass die reguläre Kinoauswertung so schwierig geworden ist? | |
Der Markt wird enger. Jahr für Jahr werden circa 1.200 Filme in Europa | |
produziert, da ist es klar, dass nicht alle einen Kinostart bekommen. | |
Koproduktionen werden wichtiger. Dadurch erhöht sich die Chance, dass es | |
zumindest in den involvierten Ländern eine Kinoauswertung gibt. | |
Früher waren Koproduktionen als Europudding verschrien. | |
Es gab mal eine schlimme Zeit, aber es hat sich geändert. Drehbücher sind | |
heute nicht mehr so geschrieben, dass Szenen partout in einem bestimmten | |
Land, das an der Produktion beteiligt war, spielen müssen. | |
Was ist denn toll am europäischen Kino? | |
Es gibt wahnsinnig viel zu entdecken. Es heißt immer, europäisches Kino sei | |
spröde und langweilig, aber das stimmt nicht. Wo, wenn nicht im Kino, kann | |
man Europa sinnlich erleben? Die regionalen Besonderheiten, die | |
Vielschichtigkeit, die Erzähltraditionen. | |
Können Sie mir ein Beispiel für ein solches Erlebnis geben? | |
Den portugiesischen Dokumentarfilm „The Mother and the Sea“ von Gonçalo | |
Tocha. Darin geht’s um ein Dorf, in dem seit Hunderten von Jahren die | |
Frauen fischen gehen. Man reist in eine andere Welt hinein, die einem | |
vollkommen fremd ist, und die Protagonistinnen sind toll. Eine Entdeckung! | |
22 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
## TAGS | |
Film | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes | |
China | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes | |
Cannes Cannes | |
Cannes | |
Film | |
Cannes Cannes | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes | |
Cannes Cannes | |
taz.gazete | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Film „Feuerwerk am helllichten Tage“: Dreckiger Schnee im Winterlicht | |
Gesellschaftskritik im Gewand des Film noir: In Diao Yinans „Feuerwerk am | |
helllichten Tage“ verfällt ein Expolizist einer Femme fatale. | |
Bilanz der Filmfestspiele: Auf Cannes ist Verlass | |
Die Goldenen Palmen sind verliehen worden. Und schon allein die Auswahl der | |
Filme zeigt, auf welch hohem Niveau sich das Festival wieder bewegt hat. | |
Kolumne Cannes Cannes: Sternstunde der Kunstvermittlung | |
Wim Wenders porträtiert den Fotografen Sebastião Salgado. Was seinem Film | |
fehlt, zeigt Frederick Wiseman: ästhetische Analyse. | |
Kolumne Cannes Cannes: „Sie schießen auf Journalisten“ | |
Naomi Kawases „Futasume no mado“ („Still the Water“) erzählt von der N… | |
dem Tod und der Unsicherheit des Heranwachsens. | |
Kolumne Cannes Cannes: Mein Name auf den Pobacken Fremder | |
Die Produktionsfirma zeigt „Welcome to New York“, Abel Ferraras vom | |
Festival verschmähte Adaption des Falls Strauss-Kahn. Ein unbehaglicher | |
Film. | |
Kolumne Cannes Cannes: Der Stamm der Kokosnussköpfe | |
„Jauja“ heißt der neue Film des Argentiniers Lisandro Alonso. Der Titel ist | |
der Name eines mythischen Orts, an dem jedermann zu Reichtum kommt. | |
Kolumne Cannes Cannes: Helmut Berger ist wieder da | |
Bertrand Bonello hat eine Dekade von Yves Saint Laurents Leben verfilmt. | |
Aber nicht alle wollen dem Couturier beim Cruisen zusehen. | |
Kolumne Cannes Cannes: Große Abwesende | |
Bei der Ehrung für Alain Resnais wird die Bühne gekapert. Und Céline | |
Sciammas eröffnet die Quinzaine mit dem Banlieu-Film „Bande de filles“. | |
Kolumne Cannes Cannes: Niedergemähte Schamhaare | |
„Timbuktu“ ist der lakonische Wettbewerbsbeitrag des mauretanischen | |
Regisseurs Abderrahmane Sissako. Ihm wäre eine Auszeichnung zu wünschen. |