# taz.de -- Kolumne Cannes Cannes: Der Stamm der Kokosnussköpfe | |
> „Jauja“ heißt der neue Film des Argentiniers Lisandro Alonso. Der Titel | |
> ist der Name eines mythischen Orts, an dem jedermann zu Reichtum kommt. | |
Bild: „Wir wollen den Pokal“, wirbt Viggo Mortensen für seinen argentinisc… | |
Am Montag hängt der Himmel voller Wolken, ab und zu regnet es, aber das | |
macht nichts, denn was im Kino zu sehen ist, lässt alle Unbill im Nu | |
vergessen. Entweder handelt es sich um einen außergewöhnlich guten | |
Jahrgang, oder ich habe diesmal besonders viel Glück bei meiner | |
Filmauswahl. In der Nebenreihe Un certain régard etwa läuft „Jauja“, ein | |
mit Spannung erwarteter Film des argentinischen Regisseurs Lisandro Alonso, | |
der zuletzt 2008 mit „Liverpool“ an der Croisette zu Gast war. | |
Der Titel ist der Name eines mythischen Orts, an dem jedermann zu Reichtum | |
kommt. Zur Legende gehört, dass, wer immer Richtung Jauja aufbricht, sich | |
in der rauen Weite Patagoniens verirrt. Bei Alonso ist dieser Mann ein | |
dänischer Kapitän namens Dinesen, Zeit der Handlung ist das 19. | |
Jahrhundert. Gespielt wird Dinesen von Viggo Mortensen, der bei der | |
Premiere für San Lorenzo, seinen argentinischen Lieblingsfußballclub, | |
wirbt: „Queremos la copa“ steht auf einem Plakat, das er mit auf die Bühne | |
nimmt. „Wir wollen den Pokal.“ Thierry Frémaux, der Direktor des Festivals, | |
frotzelt, dies könne den Präsidenten der Jury, den argentinischen Regisseur | |
Pablo Trapero, verstimmen. Denn der sei Fan von La Boca. | |
Mortensens Protagonist ist mit seiner Tochter und einem Tross von Militärs | |
und Ingenieuren unterwegs. Am Bildrand, als latente Bedrohung, tauchen | |
Indígenas auf, sie zählen, so heißt es, zum Stamm der Kokosnussköpfe. „Was | |
ist denn das für ein Name?“, fragt Dinesen ungläubig, bevor er von dem | |
Gerücht erfährt, ein General namens Zuluaga habe den Verstand verloren, | |
trage Frauenkleider, führe die Indígenas an und begehe Gräueltaten. | |
Alonsos Einstellungen sind meist statisch und mit Sorgfalt komponiert. Wer | |
wo im Bild steht, ist wichtig, ebenso, wo welche Farbpunkte leuchten. | |
Purpurrot ist die Hose des Leutnants Pittaluga, von elektrischem Blau die | |
Hose des Kapitäns, rot eine Art Zinnsoldat, der immer wieder auftaucht. | |
Alonso arbeitet stark mit der Beziehung, die sich zwischen dem, was im Bild | |
ist, und dem, was jenseits davon ist, einstellt, etwa wenn ein Soldat in | |
einer Nahaufnahme die Tochter des Kapitäns küsst. Dabei beugt er sich über | |
sie, die beiden sinken nach unten, aus dem Bild, die Kamera bleibt still | |
stehen, und man sieht Grashalme, ein Pferd in der Bildtiefe, dahinter einen | |
Hügel. | |
Zur betörenden formalen Schönheit kommt die Kühnheit der Erzählung. Das | |
Drehbuch stammt von dem Schriftsteller Fabián Casas, einige Motive aus | |
César Airas Roman „Die Mestizin“ (1981) sind eingeflossen. Nachdem seine | |
Tochter verschwunden ist, irrt der Kapitän durch Gras- und | |
Felslandschaften, ohne Pferd, ohne Gewehr. Er begegnet einem Wolfshund, der | |
ihn durch Vulkangestein führt. In einer Felsspalte wartet eine alte Frau | |
auf ihn, sie sagt, sie sei seine Tochter. Später taucht der Hund im | |
Dänemark der Gegenwart wieder auf, ein unterseeischer Kanal wird ihn auf | |
die andere Seite des Atlantiks geführt haben. | |
20 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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