# taz.de -- Kolumne Cannes Cannes: Große Abwesende | |
> Bei der Ehrung für Alain Resnais wird die Bühne gekapert. Und Céline | |
> Sciammas eröffnet die Quinzaine mit dem Banlieu-Film „Bande de filles“. | |
Bild: Bei der Beerdigung von Alain Resnais am 10. März in Paris | |
Am Donnerstagabend nehmen die Schauspieler Sabine Azéma und André Dussolier | |
im Théâtre Croisette die Carosse d’or entgegen. Das ist ein Preis, mit dem | |
die Société des réalisateurs de films (SRF), die Vereinigung der | |
Filmregisseure, Jahr für Jahr ein Lebenswerk auszeichnet, bevor sie die | |
Quinzaine des Réalisateurs eröffnet. Azéma, im blau-schwarzen Kleid, und | |
Dussolier, im schwarzen Anzug, stehen anstelle des Filmemachers auf der | |
Bühne: Alain Resnais ist am 1. März im Alter von 91 Jahren verstorben. | |
So traurig dieser Tod stimmt, so passt die Ehrung eines Abwesenden doch | |
wunderbar zu seinem Filmwerk. Denn darin begegnet man immer wieder | |
Regisseuren, Theatermachern oder Autoren, die physisch nicht präsent sind. | |
Entweder weil sie, so heißt es, verstorben seien (wie in „Ihr werdet euch | |
noch wundern“ aus dem Jahr 2012), oder weil sie todkrank sind wie in | |
„Providence“ (1977), der zu Ehren Resnais’ am Donnerstag gezeigt wurde. | |
Die Abwesenden versuchen die übrigen Filmfiguren zu steuern, eine Fiktion | |
um sie herum zu errichten, aber sie müssen dabei mehrere Anläufe nehmen, | |
sie unterbrechen den Plot, irrlichtern, und mit ihnen irrlichtern auch die | |
Filme. Resnais’ Mut zur Hybridität ist bewundernswert; in „Providence“ | |
entwirft er eine Metafiktion, in der er Gestaltwandler, eine komplizierte | |
Familienaufstellung, ein Militärregime und Yves-Saint-Laurent-Seidenkleider | |
zusammenbringt und sich um die Nachvollziehbarkeit des Plots keine Sekunde | |
schert. | |
Zu den lose flatternden Enden in Resnais’ Filmen passt gut, was auf die | |
Preisverleihung folgt: ein jäher Einbruch der Wirklichkeit. Ein halbes | |
Dutzend Intermittents du spéctacle kapert die Bühne. Die Intermittens sind | |
Bühnen- und Filmarbeiter, die in diesen Tagen protestieren, weil die | |
Arbeitslosenversicherung die beschäftigungslosen Zeiten nur noch unter | |
besonderen Umständen abdeckt. | |
## „Wir sind die Techniker, wir machen Ihr Werk möglich!“ | |
Einer von ihnen, in Jeans und mit Panamahut, hält eine Ansprache. „1968“, | |
sagt er, „hatten die Filmemacher ein Bewusstsein von der Gesellschaft, in | |
der sie lebten.“ Er wünscht sich, dass die Verunglimpfungen gegen die | |
Intermittens aufhörten: „Wir sind die Arbeiter, wir sind die Techniker, wir | |
machen Ihr Werk möglich!“ Das Publikum applaudiert, wenn auch nicht | |
frenetisch. | |
Auftritt Céline Sciamma. Die 35 Jahre alte Regisseurin hat den | |
Eröffnungsfilm der Quinzaine gedreht, „Bande de filles“ („Girlhood“), … | |
energiegeladene Geschichte aus der Banlieue von Paris. Es geht um die 16 | |
Jahre alte Marième (Karidja Touré), die sich in rauer Umgebung zu behaupten | |
versucht. Sie schließt sich drei jungen Frauen an, gemeinsam haben sie eine | |
Menge Spaß: an ihrer Schönheit, an der Musik, an neuen Kleidern, tiefrotem | |
Lippenstift und daran, eine rivalisierende Jugendliche zu verprügeln. | |
Doch die Kraft der Mädchenbande hat Grenzen, gegen große Brüder und | |
abwesende Lebenschancen hilft sie nicht. Sciamma legt den Plot etwas | |
schematisch an, und je mehr Glamour sie den Körpern der Figuren verleiht, | |
umso größer wird das Risiko des Exotismus. Das ändert nichts daran, dass | |
man sich der Anmut von „Bande de filles“ schwer entziehen kann. | |
„In Cannes“, sagt Sciamma, „dreht sich alles um den Platz. Um den Platz, | |
den man angeboten bekommt, und um den Platz, den man einnimmt.“ Sie freut | |
sich, weil „Bande de filles“ den prominenten Platz des ersten Abends | |
besetzt. Neben ihr stehen die vier jungen Darstellerinnen Karidja Touré, | |
Assa Sylla, Lindsay Karamoh und Mariétou Touré, alle auf schwindelerregnd | |
hohen Schuhen und in kurzen Kleidern. Sciamma, weiß, blond und im Anzug, | |
sagt: „Wir sind schwarz, und wir sind stolz, eine Mädchenbande zu sein.“ | |
16 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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