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# taz.de -- Film „Feuerwerk am helllichten Tage“: Dreckiger Schnee im Winte…
> Gesellschaftskritik im Gewand des Film noir: In Diao Yinans „Feuerwerk am
> helllichten Tage“ verfällt ein Expolizist einer Femme fatale.
Bild: Ein Schicksalsschlag wirft Kommissar Zhang aus der Bahn.
Mit der Brutalität und Desillusioniertheit eines Italo-Westerns erzählt das
letztes Jahr erschienene Kinoepos [1][„A Touch of Sin“] von Korruption und
Raubtierkapitalismus in China. Regisseur und Autor Jia Zhangke gewann dafür
den Drehbuchpreis bei den Filmfestspielen von Cannes. Ein fast ebenso
fatalistisches Zeitbild des Wirtschaftswunderlandes zeichnet Diao Yinans
„Feuerwerk am helllichten Tage“ mit Anklängen an den Film noir – und wur…
dafür in Berlin dieses Jahr mit dem Goldenen Bären belohnt.
Ob Gesellschaftskritik – mal sehr direkt wie in „A Touch of Sin“, mal
subtiler wie in „Feuerwerk am helllichten Tage“ – im westlichen Genregewa…
ein Trend im chinesischen Filmemachen ist oder einfach nur den Vorlieben
europäischer Festivalmacher entspricht, lässt sich aus der Entfernung
schwer beurteilen.
Die beiden Filme zeigen aber, dass die Kombination Sinn hat und
herausragende Ergebnisse zeitigt. „Feuerwerk am helllichten Tage“ beginnt
mit einer Parallelmontage: Die Kamera folgt einem abgetrennten Unterarm von
der Ladefläche eines Kohlelasters über eine Halde auf ein Förderband, wo er
von einem Arbeiter entdeckt wird. Dazwischengeschnitten werden die letzten
Szenen einer Ehe: Ein Mann und eine Frau spielen Karten, haben Sex – und am
Ende überreicht sie ihm die Scheidungsurkunde.
Der Mann ist Kommissar Zhang. Er wird mit dem Mordfall betraut, der hinter
dem Armfund steckt. Die Ermittlungen führen in einen Friseursalon, in dem
es völlig überraschend zu einer Schießerei kommt. Zwei Mitarbeiter von
Zhang werden getötet, er selber landet im Krankenhaus.
Dieser Doppelschlag aus Scheidung und Schießerei wirft den Kommissar aus
der Bahn, wie ein Zeitsprung von fünf Jahren zeigt. Mittlerweile aus dem
Polizeidienst ausgeschieden und dem Alkohol verfallen, schlägt sich Zhang
als Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma durch. Ein zufälliges
Zusammentreffen mit einem ehemaligen Kollegen bringt ihn wieder auf die
Spuren des alten Falls. Es stellt sich heraus: Alle Männer, mit denen sich
die junge Witwe des damals Ermordeten einlässt, sterben bald einen
gewaltsamen Tod. Zhang entwickelt für die hübsche Mitarbeiterin einer
Schnellwäscherei bald eine Obsession, die nicht zuletzt der eigenen
Todessehnsucht zu entspringen scheint.
## Nebensächliche Dinge
Ein traumatisierter Expolizist, den ein alter Fall nicht loslässt, verliebt
sich in eine Femme fatale – an den beiden Hauptfiguren von „Feuerwerk am
helllichten Tage“ zeigen sich die Parallelen zum Film noir am deutlichsten.
Wo bei den Klassikern des Genres allerdings die vom deutschen
Expressionismus entlehnten schrägen Perspektiven und schiefen Winkel für
subtile Verunsicherung beim Zuschauer sorgen, sind es beim chinesischen
Film eher die überraschenden Rhythmuswechsel der Montage.
So ruht die Kamera zum Teil lange auf scheinbar nebensächlichen Dingen –
ein Ventilator in der Zimmerecke, ein halb zerquetschter Marienkäfer auf
einem Bettlaken –, um auf der anderen Seite entscheidende Momente wie im
Zeitraffer zu verdichten: eine Hand mit einer Pistole, ein Schrei, ein
Krankenhaus von außen. Solche Ellipsen fordern vom Zuschauer immer wieder
höchste Aufmerksamkeit, um der Geschichte folgen zu können.
Die moralische „Kälte“ der gezeigten Gesellschaft spiegelt sich dabei in
den von Neonlicht durchzogenen Nächten. Wird die Atmosphäre im Film noir
bestimmt von unwirklichen Großstadtbildern mit starken
Hell-Dunkel-Kontrasten, setzt Diao auf die unwirtliche Kulisse einer
nordchinesischen Industriestadt, in der selbst die Nacht durch die
Reflexionen des dreckigen Schnees in ein milchiges Winterlicht getaucht
ist.
„Feuerwerk am helllichten Tage“ spielt in den Jahren 1999 und 2004, eine
Zeitspanne, in der sich das Bruttoinlandsprodukt der Volksrepublik China
mehr als verdoppelte. So wie die private eyes des Film noir nach dem
Zweiten Weltkrieg traumatisiert zurückgekommen sind in eine Welt, die sie
nicht mehr erkennen und die keinen rechten Platz mehr für sie hat, so kehrt
Zhang nach den schockierenden Erlebnissen im Friseursalon und dem
nachfolgenden jahrelangen Suff-Black-out in eine Gesellschaft zurück, die
nicht mehr dieselbe ist. Subtil weist Diao in seinem dritten Film auf diese
Wandlungen hin, ohne in irgendeine Art von Nostalgie zu verfallen.
„Feuerwerk am helllichten Tage“ fehlt der wütende Drive, die Empörung und
der epische Atem von Jia Zhangkes „A Touch of Sin“. Mit seinem visuellen
Erfindungsreichtum, lakonischen Humor und Gespür für die Schwächen der
Menschen ist Diao aber ein origineller Krimi gelungen, der sich der Ehrung
in Berlin allemal würdig erweist.
24 Jul 2014
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=sUkFnXd0qHo
## AUTOREN
Sven von Reden
## TAGS
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