# taz.de -- Klimagipfel in Glasgow: Mit Gewalt das Klima retten | |
> Was tun, wenn sich der friedliche Übergang zur postfossilen Welt als | |
> illusorisch entpuppt. Sollten nicht die, die die Natur zerstören, dafür | |
> bezahlen? | |
Bild: Zeit der Eskalation: Aktivist*innen auf dem Weg, die Baustelle der A100 i… | |
Wie hängen Hoffnung und Widerstand zusammen? Das habe ich mich gefragt, als | |
ich die Berichte aus [1][Glasgow von COP26] verfolgt habe. Wo sind hier | |
Zeichen der Hoffnung? Und wenn sie enttäuscht werden, wenn nur weiter | |
versprochen wird – gibt es, neben der Pflicht zur Hoffnung, von der Kant | |
spricht, auch eine Pflicht zum Widerstand? | |
Es war [2][Jamila Raqib], die mich hier auf die Spur brachte. Ich war mit | |
ihr vor ein paar Tagen zum Interview verabredet. Sie ist die Direktorin der | |
Albert Einstein Institution in Boston und Nachfolgerin des legendären | |
Gründers Gene Sharp, der von Gandhi gelernt hatte, wie gewaltloser | |
Widerstand geht. | |
„Die Zeit der Eskalation ist da“, sagte sie mit Blick auf den Klimawandel. | |
Ich hatte das nicht erwartet. Natürlich gibt es schon länger Stimmen, die | |
sagen, dass es nicht reicht, was Fridays for Future tun, demonstrieren, so | |
wichtig das ist, Aufmerksamkeit schaffen, friedlich bleiben. Und auch | |
Extinction Rebellion, die etwas weiter gehen in ihren Mitteln, haben sich | |
von Gewalt im eigentlichen Sinn ferngehalten. | |
Ein Denker, der diese Frage – der Eskalation, des Widerstands, der Gewalt – | |
schon seit einiger Zeit thematisiert, ist [3][Andreas Malm], schwedischer | |
Historiker und Autor eines Standardwerks über den „fossilen Kapitalismus“. | |
Zuletzt veröffentlichte er in dichter Reihenfolge drei Bücher, die | |
aufeinander aufbauend ein Konzept formulieren und die nächsten Schritte | |
beschreiben, falls Veränderung, wie Greta Thunberg in Glasgow wieder sagte, | |
nicht mit den gleichen Mitteln erwirkt werden kann und dem gleichen Denken, | |
das die Probleme erst geschaffen hat. | |
## Zeit für Widerstand | |
In „Klima/x“, „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt: Kämpfen lernen in | |
einer Welt in Flammen“ und „White Skin, Black Fuel: On the Danger of Fossil | |
Fascism“ (gemeinsam mit dem Zetkin Collective) entwirft er das Programm | |
eines „ökologischen Leninismus“, wie er es nennt, in Anlehnung an die Idee | |
des Kriegskommunismus, mit dem Russland nach der Revolution und dem Ende | |
des Ersten Weltkrieges radikal regiert wurde – durch Planwirtschaft und | |
losgelöst von der Logik der Märkte. | |
Ich glaube, es ist gut, diese Gedanken ernst zu nehmen, die Verweise auf | |
Faschismus, Krieg, Kommunismus, um die Dringlichkeit der Situation deutlich | |
zu machen. Auch im umfassenden und konstruktiven Transformationskonzept des | |
Green New Deal spielt die Referenz zum Zweiten Weltkrieg eine Rolle – | |
damals konzipierte Roosevelt seinen New Deal und stellte die Wirtschaft | |
radikal um, eine Art kapitalistische Planwirtschaft, wie sie auch heute von | |
jungen Ökonom*innen vorgeschlagen wird. | |
Immer noch scheint es nicht angekommen zu sein, auch in der deutschen | |
medialen Nichtbegleitung der Klimaverhandlungen von COP26 gerade in | |
Glasgow, in was für ein Epochenereignis wir da längst hineinsteuern – und | |
die Besprechung von Malms Werk durch den immer anregenden Historiker Adam | |
Tooze in der London Review of Books sollte deshalb unbedingte | |
Leseempfehlung sein, wie wir auf Twitter sagen, ein must read auch für die | |
Ampel-Koalitionäre. | |
Denn was genau, fragt Tooze, wäre etwa eine „sozialdemokratische Politik | |
des Notstands“? Was also, außer dem üblichen Weiter-so und Wird-schon, kann | |
die etablierte Politik anbieten? Wer den „ökologischen Leninismus“ | |
zurückweist, so Tooze weiter, müsse selbst erklären, was die Logik des | |
Handelns angesichts der Katastrophe ist. „Was sind die politischen | |
Optionen, wenn wir allen Grund zur Annahme haben, dass wir nur noch sehr | |
wenig Zeit haben?“ | |
## Freier Blick für neue Protestformen | |
Tooze, der das zentrale Buch über die Wirtschafts- und Finanzkrise | |
geschrieben hat, „Crashed“, und gerade seine Bilanz der | |
Corona-Weltwirtschaft veröffentlicht hat, „[4][Shutdown]“, weiß natürlic… | |
dass es politische Optionen gibt, die einen friedlichen Übergang zur | |
postfossilen und möglicherweise postkapitalistischen Welt ermöglichen – | |
sein Anliegen, wie auch das von Malm, ist daher ein taktisches: Indem die | |
Gewaltfrage gestellt wird, wird der Blick freier für die Widersprüche der | |
gegenwärtigen Verhältnisse und auch Protestformen. | |
Die Gewalt, von der Malm spricht, ist ja tief verbunden mit dem Wesen | |
unserer gegenwärtigen politischen und vor allem ökonomischen Ordnung – die | |
Zerstörung von Natur und Lebensgrundlagen, die Ausbeutung der Länder im | |
sogenannten Globalen Süden, die wiederum den Folgen des Klimawandels am | |
drastischsten ausgesetzt sind, aber auch die Härte des Rechts gegen | |
Klimaproteste, während die, die die Zerstörung der Umwelt verantworten, oft | |
nicht nur geschützt, sondern subventioniert werden. | |
Was also, fragt Andreas Malm, können wir lernen von anderen Zeiten des | |
Protestes – und hier schließt sich der Kreis zu Jamila Raqib und auch | |
Mahatma Gandhi, denn die antikolonialen und Befreiungsbewegung des 20. | |
Jahrhunderts sind mit ihren Taktiken des [5][zivilen Ungehorsams] ein | |
Beispiel für wirkliche Veränderung. Malm würde die Gewaltfrage offener | |
fassen, Blockaden oder eben die Zerstörung von Infrastruktur sind für ihn | |
ein Mittel, in dem Notstand, in dem wir leben, aktiv und damit moralisch | |
wirksam zu werden. | |
Dass sich die Frage von Gewalt nicht löst, indem man sie ignoriert, das | |
weiß auch Jamila Raqib, die aus Afghanistan stammt. Gewalt war immer Teil | |
ihres Lebens und eine Möglichkeit, eine Notwendigkeit, sich selbst und | |
andere zu schützen. Sie beschreibt es als glückliche Erfahrung, dass sie | |
die Praxis des gewaltfreien Widerstands kennenlernte. | |
Sie empfiehlt den gegenwärtigen Protestbewegungen, dass sie genau | |
analysieren sollten, was die zerstörerischen Praktiken ermöglicht – und | |
dann zu überlegen, wie diese Praktiken so teuer wie möglich werden für die, | |
die davon profitieren. | |
10 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Sonderberichterstattung-zur-COP26/!5807150 | |
[2] https://www.aeinstein.org/about/people/jamila-raqib/ | |
[3] http://[Link%20auf%20https://www.youtube.com/watch?v=8LSQLBFQruo&t=324s… | |
[4] /Lektionen-aus-Corona/!5799189 | |
[5] /Ziviler-Ungehorsam-bei-Klimaprotesten/!5772864 | |
## AUTOREN | |
Georg Diez | |
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