# taz.de -- Zum Verfehlen schöne Klimaziele: Wut zur Lücke | |
> Was ist schlimmer: Ein nicht gegebenes oder ein gebrochenes Versprechen? | |
> Womöglich das verlorene Vertrauen, meint unser Autor. | |
Bild: Ein Satz, den sich auch die Klimapolitiker der Industriestaaten hinter di… | |
Bahnhof Blantyre, 7.02 Uhr: Aus dem Dunkel des schottischen Novembermorgens | |
rumpelt unser blauer Vorortzug [1][Richtung Glasgow] an den Bahnsteig und | |
bremst. Mit schrillem Piepsen öffnen sich die Türen und eine laute Stimme | |
warnt: Mind the gap! In der Tat: Zwischen Waggon und Bahnsteig klafft eine | |
Lücke, vielleicht 25 Zentimeter breit. Darunter gähnt dunkel das Fahrwerk. | |
Da will man nicht reingeraten. Sonst kommt man hier furchtbar unter die | |
Räder. | |
Womit wir mitten auf der Klimakonferenz wären. Wenn man sich bei diesen | |
Treffen auf eines verlassen kann, dann sind es die Lücken, die sich überall | |
auftun. Und darauf, dass wir uns an den unglaublichen Skandal gewöhnt | |
haben, [2][wie in der Klimakrise die ärmsten und verletzlichsten Menschen | |
zu Schaden kommen]. | |
Vor lauter „Gap-Reports“ verlieren wir schnell den Überblick, welches Ziel | |
jetzt gerade wieder verfehlt wird. Faustregel: eigentlich jedes. Zum | |
Beispiel bei den Emissionen: [3][Um 1,5 Grad zu halten, muss der globale | |
CO2-Ausstoß bis 2030 praktisch halbiert werden]. Aber selbst bei | |
superduperoptimistischen Berechnungen zeigt sich: Die Lücke zu einem | |
solchen Pfad ist immer noch etwa 20 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr groß. Das | |
sind nach Emissionen etwa 25 Deutschlands. Mir reicht schon eines. | |
Auch beim Geld: Mind the Gap! [4][Statt 100 Milliarden US-Dollar für 2020 | |
wie versprochen haben die reichen Länder nur 80 Milliarden an Finanzhilfen | |
für den globalen Süden aufgebracht]. Die Lücke soll bis 2025 geschlossen | |
werden, aber das ist Zukunftsmusik und das Geld fehlt jetzt. Von der Wut | |
zur Lücke ganz zu schweigen, die bei den Entwicklungsländern herrscht und | |
die den Industrieländern bei den Gesprächen öfters um die Ohren fliegt. | |
## Der Clou nicht gegebener Versprechen | |
Und noch weiter: In Paris wurde zugesagt, die Hilfen für die Anpassung an | |
den Klimawandel mit den Geldern für den Klimaschutz „auszubalancieren“ – | |
also etwa Deichbauten genauso zu finanzieren wie Windräder. Bislang machen | |
sie aber nur ein Viertel der Summen aus. Klar, mit Windparks kann man Geld | |
verdienen, mit Deichen eher nicht. Auch hier: eine Lücke nach der anderen. | |
Ganz zu schweigen von Hilfen für „Verluste und Schäden“, die in den armen | |
Ländern entstehen. Zynischer Nebeneffekt: Weil hier erst mal gar nichts | |
versprochen wurde, kann auch kein Versprechen gebrochen werden. | |
All diese Vertrauensbrüche haben sich über die Jahre zu einem „Credibility | |
Gap“ summiert, einer Vertrauenslücke. Unter dem Ergebnis leiden die armen | |
Staaten, denen das zugesagte Geld fehlt. Aber auch die Industrienationen | |
hätten es einfacher, wenn sie nicht dauernd daran erinnert würden, wie sie | |
versagen. | |
Schließlich sind sie es, die ganz schön wählerisch sind, wenn sie Zuschüsse | |
und Kredite vergeben. Immerhin kommt das Wort von „credere“, lateinisch für | |
„glauben“. Aber der Kredit der Reichen ist hier schon lange verschwunden. | |
Irgendwo in diesen vielen Lücken. | |
10 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Staatschefs-auf-der-COP-26/!5809267 | |
[2] /Konflikt-beim-Klimagipfel/!5810556 | |
[3] /Neue-Studie-zur-Erderhitzung/!5810675 | |
[4] /!s=glasgow&Autor=p%25C3%25B6tter/ | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
## TAGS | |
Kolumne Verhandlungssache | |
Klimakonferenz in Dubai | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Geld | |
Schlagloch | |
Klimakonferenz in Dubai | |
Klimakonferenz in Dubai | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Klimagipfel in Glasgow: Mit Gewalt das Klima retten | |
Was tun, wenn sich der friedliche Übergang zur postfossilen Welt als | |
illusorisch entpuppt. Sollten nicht die, die die Natur zerstören, dafür | |
bezahlen? | |
Die Klimakonferenz und die Ampel: Jenseits der Komfortzone | |
Will die neue Regierung das Klima ernst nehmen, muss sie unpopuläre | |
Entscheidungen treffen. Ein grün gefärbtes Weiter-so reicht da nicht. | |
Der Weg zur Klimagerechtigkeit: Wissenschaft fordert mehr Tempo | |
Eine Allianz von WissenschaftlerInnen fordert radikale Einschnitte für | |
Superreiche zugunsten der Ärmsten. Sie warnt vor Feuern und Kipppunkten. |