# taz.de -- Konflikt beim Klimagipfel: Geld gegen schlechtes Gewissen | |
> Beim Klimagipfel in Glasgow entbrennt Streit über Schadenersatz für | |
> Klimaschäden. Die Reichen bieten Geld. Die Armen wollen Hilfe und | |
> Mitsprache. | |
Bild: Es trifft auch die Reichen: Sturmschäden am Taishogun-Schrein in Kyoto, … | |
GLASGOW taz | Am 8. November 2013 verwüstete der Megasturm „Hayan“ Teile | |
der philippinischen Küstenregion. Häuser verschwanden, mehr als 6.000 | |
Menschen starben. Die Delegierten auf der 19. Klimakonferenz im polnischen | |
Warschau, die zeitgleich stattfand, schockierte ein dramatischer Appell des | |
damaligen philippinischen Verhandlers, dessen Familie mitten in der | |
Katastrophe um ihr Leben fürchtete. U[1][nd die Konferenz reagierte: Sie | |
beschloss den „Internationalen Warschau-Mechanismus“ (WIM), der sich mit | |
Verlusten aus der Klimakrise beschäftigen sollte.] | |
Acht Jahre später ist Marinel Ubaldo von der philippinischen Organisation | |
Klima-Aktion und Umwelt-Gerechtigkeit auf der Konferenz in Glasgow und | |
sagt: „Die Menschen, die umgesiedelt wurden, fanden keine Jobs und kommen | |
zurück. Sie leben wieder an der Küste, der nächste Sturm wird sie genauso | |
treffen.“ Koordinierte internationale Hilfe oder Wiederaufbau habe es nicht | |
gegeben. | |
## Kampf um Thema voll entbrannt | |
Der WIM debattierte und legte Berichte vor. „Technisch haben wir | |
Fortschritte gemacht“, sagt Sven Harmeling von der Hilfsorganisation Care, | |
„aber wer als Entwicklungsland das Thema wirklich anspricht, wird immer | |
noch schnell zum Schweigen gebracht.“ | |
Der Kampf, das Thema „Verluste und Schäden“ im UN-Prozess zu verankern, ist | |
in Glasgow jetzt voll entbrannt. Die Entwicklungsländer wollen erreichen, | |
dass das Thema einen eigenen Tagesordnungspunkt bekommt, dass es ernst | |
genommen wird und in den Finanzverhandlungen auftaucht. Das Forum der | |
verwundbaren Länder (CVF), ein Zusammenschluss von 48 direkt betroffen | |
Staaten, warnt vor Kosten von bis zu 4 Billionen Dollar jährlich ab dem | |
Jahr 2030 – und vor der Ausbreitung von Hunger, Armut, Wasserknappheit und | |
Migration. | |
Bisher haben die Industriestaaten gemauert. Aber jetzt gibt es den ersten | |
kleinen Riss in ihrer Verteidigung: Eine Million Pfund will die schottische | |
Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon aus ihrem Budget für die „Schäden und | |
Verluste“ der armen Länder im Klimawandel abzweigen. Die Summe ist klein, | |
die politische und symbolische Wirkung aber groß. | |
## „Loss and Damage“ | |
„Loss and Damage“, („L & D“) wie es im Konferenzjargon heißt, ist der | |
Inbegriff für das schlechte Gewissen der Industriestaaten im UN-Prozess. | |
Dieser kümmert sich bisher mit seinen Töpfen und Programmen um | |
Emissionsreduktion oder Anpassung an den Wandel. Aber einen wirksamen | |
UN-Prozess für Hilfen an Menschen, die direkt unter zerstörten Häusern oder | |
versalzenen Feldern leiden, gibt es bisher nicht. | |
Geld ist nicht das größte Problem. Die Industrieländer fürchten vor allem, | |
dass sie in die juristische und finanzielle Verantwortung für die | |
Klimakrise genommen werden könnten – obwohl das im Pariser Abkommen | |
ausdrücklich ausgeschlossen ist. Gleichzeitig fühlen sich viele Delegierte | |
aus Industrieländern zunehmend unwohl. „Den Leuten fliegen die Häuser weg | |
und wir tun nichts, das kann nicht sein“, sagt ein Verhandler. | |
Der Ausweg lautet bisher: mehr Geld. Die britische Regierung hat deshalb am | |
Montag beim offiziellen „Tag für Anpassung, Schäden und Verluste“ dazu | |
aufgerufen, die „Welt widerstandsfähig gegen den Klimawandel“ zu machen. | |
Sie gibt dafür insgesamt 290 Millionen Pfund für Klimaschutz und Anpassung | |
– aber nur eine kleine Million dafür, um schneller und besser in Krisen zu | |
helfen, „einschließlich bei klimabedingten Katastrophen“. | |
## Geld für Anpassung, nicht für Schäden | |
Das zeigt das alte Muster, das die armen Länder kritisieren: Geld fließt | |
für Windkraftanlagen oder in den Bau von Deichen, also in Klimaschutz oder | |
„Anpassung“ – aber gesicherte Hilfen für den Verlust von Häusern oder | |
versalzte Felder gibt es kaum. | |
Die deutsche Regierung greift deutlich tiefer in die Tasche: Traditionell | |
hat sie Versicherungsmodelle für bedrohte Staaten vorangetrieben, jetzt | |
sollen noch einmal 150 Millionen Euro für den UN-Anpassungsfonds und einen | |
Fonds für die am wenigsten entwickelten Länder fließen. Aber bei der Frage | |
nach einem Geldtopf für „L & D“ bremst Jürgen Zattler vom deutschen | |
Entwicklungsministerium: „Wir wollen diese Diskussion, aber sie ist noch | |
ganz am Anfang.“ | |
Überall sonst in Glasgow ist allerdings die Rede davon, dass es jetzt aber | |
dringend mal richtig losgehen müsse. [2][Das fordert zwischen den Zeilen | |
auch ein Gutachten der OECD, das die Deutschen bei der letzten COP | |
angeschoben haben] und jetzt leicht verschämt vorlegten. Das Papier nennt | |
keine konkreten Zahlen. Aber es fordert immerhin: „Ein Kurswechsel ist | |
nötig.“ Die Industriestaaten sollten vorangehen, denn in vielen | |
Entwicklungsländern müsse „der Schutz der verwundbarsten Gemeinschaften | |
angemessen auf der internationalen Ebene unterstützt werden“. | |
Hilfe gegen die Folgen der Klimakrise sei dabei nicht nur ethisch geboten, | |
sondern auch eine Frage des Eigennutzes, stellt das OECD-Papier fest: „In | |
einer vernetzten Welt können Verluste und Schäden in einem Land über | |
geopolitische Grenzen schwappen, etwa durch die Unterbrechung von | |
Lieferketten, die Ausbreitung von Infektionskrankheiten und die Migration | |
von Menschen.“ | |
Die Industrieländer geraten zusätzlich unter Druck, wenn immer häufiger | |
Urteile weltweit eine juristische Verantwortung der großen Klimasünder | |
annehmen – und die „Zuordnungswissenschaft“ immer genauer sagen kann, wie | |
wahrscheinlich eine „Wetterkatastrophe“ eigentlich Teil der Klimakrise ist. | |
Der Prozess eines peruanischen Bergführers gegen den Energiekonzern RWE | |
wegen der Gefährdung seiner Heimat durch schmelzende Gletscher geht etwa | |
nächstes Jahr in seine entscheidende Phase. | |
Ohnehin kann „Loss and Damage“ in der Klimakrise plötzlich auch ein Thema | |
für die Industrieländer werden. Als im Sommer in der Hochwasserkatastrophe | |
in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen die Überflutungen fast 200 | |
Menschen töteten und ganze Flusstäler verwüsteten, belief sich der Schaden | |
laut Bundesregierung auf gut 28 Milliarden Euro. | |
Das können sich nicht nur Entwicklungsländer kaum leisten. Umso mehr ist | |
die philippinische Aktivistin Marinel Ubaldo, die den Taifun „Hayan“ | |
überlebt hat, überzeugt, dass sie sich nicht abspeisen lassen will: „Sie | |
sagen uns, wir sollen nach Hause gehen. Aber viele haben gar kein Zuhause | |
mehr.“ | |
8 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Klimakonferenz-in-Paris/!5255704 | |
[2] https://www.oecd.org/publications/managing-climate-risks-facing-up-to-losse… | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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