| # taz.de -- Gewerkschaften und Klimapolitik: Klima contra Arbeit | |
| > Klimapolitik kann Arbeitsplätze kosten. Aufgabe der Gewerkschaften ist, | |
| > bei ökologischen Lösungskonzepten an die sozialen Folgen zu erinnern. | |
| Bild: Sozialpolitik und Arbeitsplätze haben Klimaaktivist:innen oft nicht auf … | |
| Die Entscheidung sei „politisch unklug, unüberlegt und populistisch“, | |
| wetterte Betriebsratschef Alois Schwarz 1992 in den Produktionshallen von | |
| Messerschmidt-Bölkow-Blohm. 8.000 hochqualifizierte Stellen sah der | |
| bayerische Metallgewerkschafter in Gefahr, als die Bundesregierung den | |
| Auftrag zum Bau des Kampffliegers Jäger 90 bei der Mutterfirma Deutsche | |
| Aerospace (heute Teil der Airbus-Gruppe) stornieren wollte. | |
| Nach dem Ende des Kalten Krieges schien Rüstungskonversion das Gebot der | |
| Stunde, zudem belastete die deutsche Vereinigung die öffentlichen Etats. | |
| Der massive Druck von Konzernleitung und Arbeitnehmerorganisationen hatte | |
| dennoch Erfolg. Das in [1][Eurofighter] umbenannte und gemeinsam mit | |
| Partnerländern in Serie gebaute Flugzeug kostete in den folgenden | |
| Jahrzehnten rund hundert Milliarden Euro. | |
| Betriebsräte als Militärlobbyisten, weil ihnen die Angst vor | |
| Werksschließungen im Nacken sitzt: Dieses Muster wiederholte sich 2014. Die | |
| damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen befürwortete nach | |
| anfänglichem Zögern die Entwicklung bewaffneter Drohnen. Auf ihre Zusage | |
| reagierten neben Rüstungsmanagern auch Gewerkschafter begeistert: Das | |
| sichere Tausende von Jobs in der Branche, jubelte [2][Bernhard Stiedl] von | |
| der IG Metall Ingolstadt. Hauptsache Arbeitsplatz: | |
| Ist es den Interessenvertretungen egal, womit Beschäftigte ihr Geld | |
| verdienen? Wenn es um die Existenz von Unternehmen geht, zählen in den | |
| Arbeitnehmerverbänden moralische Bedenken relativ wenig. Das gilt für den | |
| Umgang mit Waffenherstellern und erst recht im Kampf gegen die | |
| Erderwärmung. Die konservative Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie | |
| warnt regelmäßig vor einem [3][frühen Ausstieg aus der | |
| Braunkohleverstromung], den Klimaktivist:innen eindringlich anmahnen. | |
| ## Der private PKW bleibt tabu | |
| Auto-Betriebsräte versuchen das Verbot des Verbrennungsmotors auszubremsen, | |
| im ersten Corona-Lockdown verlangten sie wie in der Finanzkrise staatliche | |
| Abwrackprämien beim Kauf von Neuwagen. Als die schwarz-rote Koalition dies | |
| verweigerte und selbst die gewerkschaftsnahe Sozialdemokratie nicht mitzog, | |
| kamen scharfe Reaktionen aus der IG Metall und vom DGB-Bundesvorstand. | |
| Unter den Metallern gibt es aber auch Gegenstimmen. Seit Jahren wird intern | |
| über die ökologische „Transformation“ diskutiert. Man will das Thema mit | |
| positiven Vorschlägen besetzen. Die Funktionäre hoffen dabei vor allem auf | |
| den Bau von Elektrofahrzeugen. Mobilitätskonzepte, bei denen nicht der | |
| private Besitz von Autos im Mittelpunkt steht, gehen den meisten allerdings | |
| zu weit. | |
| Denn eine fundamentale Verkehrswende auf der Basis der Sharing-Ökonomie und | |
| öffentlicher Transportmittel könnte zahlreiche Jobs in der deutschen | |
| Leitbranche kosten. Der schwierige Balanceakt zwischen | |
| Arbeitsplatzinteressen und ethischen Grundsätzen ist eine historische | |
| Endlosschleife. Schon in den 1970er Jahren gingen Werftarbeiter für den | |
| Export von Unterseebooten in das von einer Militärdiktatur beherrschte | |
| Chile auf die Straße. | |
| Beschäftigte der Energiewirtschaft demonstrierten nicht gegen, sondern für | |
| den Bau von Atomkraftwerken. Doch blinde Flecken gibt es nicht nur auf der | |
| Seite der Arbeitnehmer, wie die Klimadebatte zeigt. Die | |
| Fridays-for-Future-Aktivist:innen, oft aufgewachsen in saturierten | |
| bürgerlichen Familien, sind nicht gerade für ihre sozialpolitische | |
| Sensibilität bekannt. | |
| Die eigene privilegierte Situation reflektieren sie meist wenig, die | |
| Perspektiven der Kumpel im rheinischen Revier oder in der Lausitz sind | |
| ihnen weitgehend gleichgültig. Der Jenaer Soziologe Klaus Dörre fordert | |
| angesichts der ökonomisch-ökologischen „Zangenkrise“ einen Labour turn bei | |
| den Klimabewegten und einen Climate turn bei den Gewerkschaften. Ermutigt | |
| hat ihn die Stimmung im überfüllten Audimax der Universität Leipzig im Mai | |
| 2019, bei der Gründung der Students for Future. | |
| ## Mangelndes Sozialempfinden | |
| Auf die Frage, ob eine Nachhaltigkeitsrevolution innerhalb kapitalistischer | |
| Verhältnisse möglich sei, habe er vom Publikum ein vielstimmiges „Nein!“ … | |
| hören bekommen. Und der Vorschlag, große Konzerne bei einer Blockadehaltung | |
| gegenüber Klimazielen zu sozialisieren, erhielt tosenden Applaus. Der | |
| Wissenschaftler propagiert seither den „Ökosozialismus“. Auf euphorische | |
| Reden folgten in Leipzig Taten. | |
| Ökologisch engagierte Studierende unterstützten den Streik von [4][Ver.di] | |
| im Nahverkehr für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. In 25 | |
| Städten bildeten sich während der „Klima-Tarifrunde“ Solidaritätskomitee… | |
| Solche Allianzen sind im Kontext des industriellen Umbaus aber keineswegs | |
| die Regel. Von einem Labour turn unter Baumhausbewohner:innen im | |
| Hambacher Forst war wenig zu spüren, eher wurden Tagebauarbeiter beschimpft | |
| oder gar körperlich attackiert. | |
| „Einige Akteure des militanten Flügels vom Bündnis Ende Gelände, die jede | |
| Art von Wirtschaftswachstum ablehnen, betrachten selbst die Besatzungen der | |
| Förderbrücken als feindliche Gruppierungen, die symbolischen | |
| Besetzungsaktionen im Wege stehen und mit ihrer Berufstätigkeit gezielt am | |
| Ruin des Planeten arbeiten“, berichtet Dörre über seine Erfahrungen bei | |
| einem Forschungsprojekt im Brandenburger Revier. | |
| Gewerkschaften und Linke haben das Klimaproblem lange unterschätzt. Im | |
| Vergleich zum Erhalt von Jobs galt es als nachrangig. Neben inhaltlicher | |
| Differenzen beruhen die Spaltungen zwischen den Milieus auch auf der Art | |
| der Vermittlung, des öffentlichen Auftritts. Der Absolutheitsanspruch von | |
| Greta Thunbergs „[5][I want you to panic“] erinnert an die | |
| Allmachtsfantasien ideologisch eingemauerter linker Kader von einst. | |
| Den Gewerkschaften könnte hier die Rolle eines mäßigenden Korrektivs | |
| zukommen: Sie sollten immer wieder auf die sozialen und | |
| verteilungspolitischen Folgen von rein ökologisch orientierten | |
| Lösungskonzepten hinweisen. | |
| 7 Dec 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Gesterkamp | |
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