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# taz.de -- Klima und Windräder: Bepreistes Ja
> Beim Streit muss es nicht immer entweder oder sein. Ein bezahltes
> Entgegenkommen könnte Lösung sein bei diplomatischen Herausforderungen.
Bild: Lieber Windräder als quadratkilometerbreit zerfurchte Landschaften
Guten Tag. Mein Name ist Ariane und ich bin harmoniesüchtig. Puh. Jetzt ist
es raus. Für meine Karriere im Streitbusiness des taz-Meinungsressorts ist
das natürlich ein peinliches Eingeständnis. Vielleicht meldet sich ja das
Auswärtige Amt bei mir. In Krisen vermitteln kann ich ganz gut. Schon als
Kind hab ich, wenn am Familientisch mal Stunk aufzog, mit
stressschweißnassen Händen, versucht, der einen Seite (Mama) die andere
Seite (Papa) zu erklären.
Leider ist der beste Freund von allen genauso drauf wie ich. Streit bei uns
heißt, dass einer zum anderen sagt: Du, darf ich dich darum bitten, mal
deinen Kram da wegzuräumen? Im schlimmsten Fall ist einer mal beleidigt und
fängt an zu weinen (ich) oder zu schweigen (er). Weil keiner von uns das
lange aushält, ist der Kram, den wir am schnellsten wegräumen, der zwischen
uns. Trotzdem ist das natürlich verheerend. Ich weiß, dass meine Sucht
zerstörerisch ist.
Alle Paartherapeuten beten es rauf und runter: Sich ordentlich streiten zu
können ist wichtig. Allerdings – das ist mir diese Woche im großen
Wie-wird-die-neue-Regierung-Gesummse aufgefallen – ist [1][Harmoniesucht]
viel verbreiteter, als ich dachte. Der häufigste Satz, den ich hörte, war:
Wie harmonisch kann das werden in der Ampel. Wo wird’s knallen und wann?
Und ich dachte, häh? Warum sollen die sich vertragen, ist doch kein
Kaffeekränzchen. Die sollen Politik machen und da gehört Streit dazu.
Sie merken schon, wenn’s um andere geht, bin ich ganz schlau. Dabei bin ich
vor allem neidisch auf alle, die sich selbstbewusst die Fetzen um die Ohren
hauen, ob am Kabinettstisch oder auf Twitter. Vielleicht, dachte ich dann,
ist das, was bei anderen so glamourös zornig aussieht, auch nur die Suche
nach Zustimmung, Bestätigung, am Ende Liebe – zumindest für die eigenen
Ideen vom Leben.
Das würde erklären, warum trotz Dauerstreits auf allen Kanälen und der
angeblich kurz bevorstehenden Spaltung der Gesellschaft sich gefühlt wenig
bewegt. Am ehesten vielleicht bald an der Front zwischen denen, die sich –
aus mir immer schleierhafter werdenden Gründen – nicht impfen lassen und
denen, die darüber immer verzweifelter werden – wenn es hoffentlich bald
eine allgemeine Impfpflicht gibt.
## Kein Streit mit Gewinnern
Klar, das wäre echt mal kein durch demokratisch-konstruktiven Streit
gewonnener Fortschritt, sondern durch regieren – aber es wäre ein
Fortschritt, der Menschenleben rettet, und da gibt’s eigentlich wenig zu
diskutieren. Die völlige Missachtung der Unversehrtheit anderer verdient
weder Respekt noch Applaus. Wahrscheinlich ist echter Streit, also welcher,
wo es nicht nur darum geht, sich bei der eigenen Peergroup zu profilieren,
für die meisten Menschen schwer auszuhalten.
Weil er immer beide Seiten was kostet, keiner kommt als Gewinner raus. Die
immer noch lachenden Gesichter von Putin, Xi Jinping und Konsorten zeigen
auch, dass manche die von mir geschätzte Diplomatie auch einfach ignorieren
können wie einen schlechten Geruch. Deshalb bin ich echt mal gespannt, was
[2][Baerbock als Außenministerin] an „Dialog und Härte“ zu bieten hat.
Sich von Despoten und Menschenverächtern nicht mehr nur auf der Nase
rumtanzen lassen zu wollen, macht sie mir gerade echt sympathisch. Mal
gucken, wie sie das schafft. Neulich hörte ich im Radio vom Konzept des
[3][bepreisten Ja]. Das klingt so neoliberal, das müsste der FDP gefallen.
Aber die Idee ist gut: Statt entweder für oder gegen, sagen wir mal
Windräder zu sein, zu sagen: Ich bin dafür, dass sie vor meiner Haustür
stehen – zu dem Preis.
Mir gefällt das, es erinnert mich an das Beste, was ich aus langer Therapie
mitgenommen hab: Ich muss gar nicht darauf warten, dass andere sich ändern.
Ich hab eine Wahl. Auch wenn sie nicht immer meine Traumoption sein mag.
Sprich: Ich kann mich entweder darum streiten, dass mein Freund den Müll
runter und das Geschirr in die Maschine bringt. Oder es selbst machen und
den Preis sehen – nämlich dass er dafür alles, was kaputt ist, ganz
wunderbar repariert.
11 Dec 2021
## LINKS
[1] /Ampel-Koalition-und-Coronapolitik/!5814257
[2] /Annalena-Baerbock-ueber-Aussenpolitik/!5819421
[3] https://www.deutschlandfunkkultur.de/demokratie-und-politikverdrossenheit-1…
## AUTOREN
Ariane Lemme
## TAGS
Kolumne Der rote Faden
Schwerpunkt Klimawandel
Impfung
Windräder
Schwerpunkt Klimawandel
Verkehrswende
Erneuerbare Energien
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