| # taz.de -- Friedensexperte über Rüstungsexporte: „Es muss eine Verschärfu… | |
| > Die Ampel verhandelt derzeit über Verteidigungspolitik. Alexander Lurz | |
| > von Greenpeace fordert ein Gesetz für Rüstungsexporte. | |
| Bild: Soldaten nach dem Luftbrücken-Einsatz in Kabul | |
| taz am wochenende: Herr Lurz, was glauben Sie, wird die Ampel die Welt | |
| friedlicher machen? | |
| Alexander Lurz: Gute Frage. Wenn man sich die Wahlprogramme der Parteien | |
| anschaut, ist viel Positives drin. Alles in allem lässt sich das aber nicht | |
| als „friedlich“ zusammenfassen. Und ich muss auch sagen, dass die FDP in | |
| manchen Bereichen nicht einfach ist. | |
| Der FDP stehen SPD und Grüne in der Außenpolitik zumindest [1][näher als | |
| der CDU/CSU.] | |
| Trotzdem ist die FDP noch sehr nahe an der Union. Beide Parteien | |
| unterstützen beispielsweise das 2-Prozent-Ziel der Nato, also die Vorgabe, | |
| 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben. Das lehnen | |
| Grüne und SPD zumindest auf dem Papier ab. | |
| Bleiben wir direkt beim Geld: Auf welchen Kompromiss könnte es Ihrer | |
| Meinung nach bei den Militärausgaben rauslaufen? | |
| Erst mal stellt sich die Frage, warum man auf Wunsch eines „hirntoten“ | |
| Bündnisses, um den französischen Präsidenten zu zitieren, weitere rund 20 | |
| Milliarden investieren soll. Deutschland hat heute ohnehin bereits den | |
| weltweit siebtgrößten Militärhaushalt. Ich vermute, dass wir einen | |
| Formelkompromiss im Koalitionsvertrag haben werden. Man wird sich nicht | |
| dafür entscheiden, das Zwei-Prozent-Ziel vom Tisch zu nehmen, sondern eher | |
| etwas Weiches formulieren wie: Man bewegt sich über die Jahre auf eine | |
| Ausstattung der Bundeswehr im Sinne des Nato-Ziels zu. | |
| Aus der FDP gibt es den Vorschlag eines 3-Prozent-Ziels – als Gesamtpaket | |
| für Militär, Entwicklung und Diplomatie. Wäre das ein guter Kompromiss? | |
| Ich vermute, dass die FDP unter dem Deckmantel von 3 Prozent die | |
| Verteidigungsausgaben dann doch deutlich erhöhen will. Das wäre abzulehnen. | |
| Auch, wenn gleichzeitig die anderen beiden Bereiche mehr bekommen? | |
| Dafür müsste man erst mal die Finanzierungsfrage stellen. Darauf hat die | |
| FDP bislang überhaupt keine Antwort. Sie ist ja nicht bereit dazu, an | |
| anderer Stelle mehr Einnahmen zu erzeugen. | |
| Auf welches Thema blicken Sie neben den Ausgaben besonders gespannt? | |
| [2][Bei den Rüstungsexporten braucht es eine Lösung.] Wir haben seit Jahren | |
| eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, wir haben eine lange Reihe | |
| von Skandalen erlebt, und es werden immer wieder neue aufgedeckt. In jedem | |
| Krieg, auf den wir schauen, findet man deutsche Rüstungsgüter. Diese | |
| Koalition hat die Chance, das Problem zu lösen. Der erste Schritt wäre, | |
| ein Rüstungsexportgesetz zu verabschieden. Es würde aber nicht reichen, | |
| nur das in Gesetzesform zu gießen, was wir jetzt schon haben. Es muss mit | |
| einer Verschärfung einhergehen, und das würde bedeuten, unter anderem die | |
| Waffenexporte in Drittländer komplett einzustellen, also in Länder | |
| außerhalb von EU, Nato und Nato-gleichgestellten Staaten. | |
| Was wäre der grundsätzliche Vorteil eines einheitlichen Gesetzes gegenüber | |
| der jetzigen Situation? | |
| Wir haben jetzt ein Regelungswirrwarr. Wir haben [3][das | |
| Kriegswaffenkontrollgesetz], das Außenwirtschaftsgesetz und die politischen | |
| Grundsätze der Bundesregierung. Da beginnt es schon: Die Grundsätze sind | |
| eben nur Grundsätze. Das Ganze ist nicht verpflichtend und nicht | |
| einklagbar. Die Bundesregierung ist faktisch frei, dagegen zu verstoßen. | |
| Das wäre bei einem Gesetz anders. | |
| In den letzten Jahren hat Deutschland erstmals sogenannte | |
| Endverbleibskontrollen getestet: Man schaut vor Ort nach, ob | |
| Empfängerländer ihre in Deutschland gekauften Waffen behalten oder | |
| rechtswidrig weitergegeben haben. Nach der Pilotphase könnten die | |
| Kontrollen jetzt verstetigt werden. Wie sollten die Regeln aussehen? | |
| Bis jetzt haben wir die Kontrollen nur für Kleinwaffen und deren Export in | |
| Drittländer. Das reicht vorne und hinten nicht. Es muss für alle | |
| Rüstungsgüter gelten und für alle Staaten. Wir hatten in den letzten Jahren | |
| immer wieder Fälle, in denen auch durch Nato-Länder deutsche Rüstungsgüter | |
| in andere Hände geraten sind. | |
| Aber ist das realistisch? Würde die Türkei wirklich mitmachen, wenn die | |
| Bundesregierung sagt: Wir wollen mal eure U-Boote sehen? | |
| Die USA haben eine Endverbleibskontrolle, die nicht unterscheidet zwischen | |
| Nato-Ländern und anderen. US-Behörden kontrollieren in Deutschland, ob an | |
| Deutschland gelieferte Rüstungsgüter noch hier sind. Es geht also. Die | |
| Frage ist nur, ob die neue Ampelkoalition es machen möchte. | |
| Ein anderes Problem: An immer mehr Rüstungsprojekten sind Hersteller aus | |
| mehreren EU-Staaten beteiligt. EU-weite Regeln wären also sinnvoll – aber | |
| Staaten wie Frankreich sind gegen strengere Vorgaben. Auf was sollte man | |
| eher verzichten: auf Einheitlichkeit oder auf harte Regeln? | |
| Es gab gerade einen Vorschlag von grüner Seite, das auf der europäischen | |
| Ebene neu zu regeln. Das ist erst mal nicht falsch, aber es ist ein Vorstoß | |
| zur Unzeit. Wir haben jetzt Koalitionsverhandlungen in Berlin. Wir haben | |
| jetzt in Deutschland die Möglichkeit, ein striktes Gesetz zu verabschieden, | |
| das eine Vorbildfunktion für Europa hat. Umgekehrt darauf zu setzen, dass | |
| irgendwann auf europäischer Ebene etwas geregelt wird, was dann deutsche | |
| Rüstungsexporte einschränkt, mag ein gelungener Formelkompromiss für die | |
| VerhandlerInnen der Ampel sein, eine Patrone weniger wird deshalb aber | |
| nicht exportiert. | |
| Aber was ist gewonnen, wenn Deutschland strenge Regeln bekommt und | |
| Diktaturen in der Folge einfach auf französische Hersteller ausweichen? | |
| Man sollte seine eigenen moralischen Maßstäbe auch anlegen und nicht sagen: | |
| Wenn jemand anderes keine Moral hat, dann brauchen wir auch keine. | |
| Der SPD-Vorstand hat vor zwei Wochen beschlossen, sich für die Bewaffnung | |
| von Drohnen zu öffnen. Ist das Thema damit durch oder sind Kampfdrohnen für | |
| die Bundeswehr noch zu stoppen? | |
| Ich befürchte, die Bewaffnung ist nicht mehr zu stoppen. Die SPD hat sich | |
| wohl für das politisch Pragmatische entschieden. | |
| Gleichzeitig fordert sie aber strenge Regeln für den Einsatz der | |
| Kampfdrohnen. Spricht dann überhaupt noch etwas gegen die Bewaffnung? | |
| Kampfdrohnen haben ein Eskalationsrisiko. Die Einsatzschwelle wird gesenkt, | |
| wenn man praktisch ohne Risiko den Feind bekämpfen kann. Dementsprechend | |
| ist man in der Politik leichter bereit zum Einsatz militärischer Gewalt. | |
| Das zweite Problem ist, dass dieser Schritt jetzt den Weg ebnet in den | |
| Einstieg in vollautonome Systeme, die dann nicht mehr von Menschen | |
| gesteuert werden. | |
| Die SPD will deswegen die Rüstungskontrolle ausweiten und strebt | |
| internationale Abkommen an, um Drohnen und autonome Waffen zu regulieren. | |
| Ist das realistisch? | |
| Es ist schwer vorstellbar, dass man bei den Kampfdrohnen das Rad der Zeit | |
| noch mal zurückdrehen kann. Mittlerweile haben über siebzg Staaten | |
| bewaffnete Drohnen in ihrem Arsenal. Alle dazu zu bringen, noch mal | |
| abzurüsten, ist wenig wahrscheinlich. Die Hoffnung beruht darauf, dass sich | |
| der nächste oder vielleicht auch übernächste Schritt verhindern lässt – d… | |
| Entwicklung zum vollautonomen Waffensystem. Dazu gibt es internationale | |
| Initiativen, und die neue Regierung muss da wirklich alle Kraft reinlegen. | |
| Noch ein anderes Thema: die nukleare Teilhabe der Nato. US-Atombomben | |
| lagern in Deutschland und die Bundeswehr würde sie im Ernstfall mit ihren | |
| Tornado-Kampfjets über feindlichem Gebiet abwerfen. Glauben Sie, die Ampel | |
| wird mit diesem Prinzip brechen? | |
| Die Ampel steht vor allem vor einer richtungsweisenden Entscheidung. Es | |
| geht um die Frage, wie die Nachfolge der alten Tornado-Jets geregelt wird. | |
| Die CDU hat in der letzten Regierung den Kauf des amerikanischen | |
| F-18-Kampfflugzeugs als neues Atomwaffenträgersystem auf den Weg gebracht, | |
| aber da ist noch nichts unterschrieben. Das heißt: Die neue Regierung muss | |
| jetzt entscheiden, ob sie dieses Vorhaben fortführt oder nicht. Und daran | |
| hängt eben auch die Frage, ob die Luftwaffe in der Lage wäre, die nukleare | |
| Teilhabe weiter auszuüben. Die Alternative zur F-18, der Eurofighter, wäre | |
| deutlich schwieriger für den Einsatz von Atomwaffen zu zertifizieren. | |
| Und was ist nun Ihr Tipp für den Koalitionsvertrag? | |
| Es ist ein offenes Ringen. Die F-18-Flugzeuge sind enorm teuer, und im | |
| gegenwärtigen geopolitischen Klima wäre es ein sinnvolles Signal, auf die | |
| Beschaffung zu verzichten. | |
| Wäre es eine Option, die Tornados länger instand zu halten und die | |
| Entscheidung zum Nachfolgemodell erst mal zu umschiffen? | |
| Es wäre ein Ausweg für die Ampel. | |
| Aber ein teurer. Laut Bundesrechnungshof würde der Weiterbetrieb bis 2035 | |
| über 10 Milliarden Euro kosten. | |
| Der Kauf der F-18 kostet im Minimum 7,7 bis 8,8 Milliarden Euro, | |
| wahrscheinlich aber deutlich mehr. Hinzu kommen ebenfalls die | |
| Betriebskosten und einiges mehr. Angesichts der sozialen Schieflage in | |
| Deutschland und den Kosten für den Klimaschutz sollte man auf beides, | |
| Weiterbetrieb oder Neukauf, sinnvollerweise verzichten. | |
| Könnte eine einseitige nukleare Abrüstung am Ende nicht gefährlich sein? | |
| Die russischen Atombomben verschwinden dadurch ja nicht. | |
| In Deutschland lagern mutmaßlich zwanzig Atombomben. Dass die militärisch | |
| einen Unterschied machen und dass an ihnen Deutschlands Sicherheit hängt, | |
| wage ich zu bezweifeln. | |
| Wenn sie eh keinen Unterschied machen, könnte man sich den Stress mit den | |
| USA und den osteuropäischen Nato-Staaten auch sparen und sagen: Die Bomben | |
| bleiben hier. | |
| Moment, sie haben ja noch eine politische Bedeutung: Mit der nuklearen | |
| Teilhabe erklärt Deutschland grundsätzlich auch sein Okay zum Einsatz von | |
| Atomwaffen. Umgekehrt gibt es jetzt einfach eine Chance, mit dem Abzug | |
| dieser Bomben ein Signal zu setzen: Dass eine weitere Nation darauf | |
| verzichtet, im Zweifelsfall diese Waffe einzusetzen. Damit könnte die Ampel | |
| tatsächlich „Aufbruch“ umsetzen, statt nur darüber zu reden. | |
| All diese Fragen und noch sehr viele andere werden in den | |
| Koalitionsverhandlungen in einer einzigen Arbeitsgruppe diskutiert. AG 20 | |
| ist offiziell für die Bereiche Außen, Sicherheit, Verteidigung, Entwicklung | |
| und Menschenrechte zuständig. Können Verhandlungen bei einem so vollen | |
| Programm überhaupt gut ausgehen? | |
| In gewisser Hinsicht ist das die konsequente Fortführung des Wahlkampfs. In | |
| dem spielten internationale Themen faktisch keine Rolle – trotz wirklich | |
| vieler drängender Probleme und massiver machtpolitischer Umwälzungen. Dass | |
| alles Mögliche von der Ampel in eine einzige AG gepackt wird, die jetzt auf | |
| ein paar Seiten die grundsätzliche Ausrichtung der gesamten internationalen | |
| Politik verabreden soll, setzt das nun fort. Als würde man in Deutschland | |
| auf einer Insel leben. | |
| 7 Nov 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wahlprogramm-von-CDU-und-CSU/!5777342 | |
| [2] /Experte-ueber-Ruestungsexporte/!5801914 | |
| [3] /Waffenembargo-in-Libyen/!5760303 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
| ## TAGS | |
| Verteidigungspolitik | |
| Rüstung | |
| Abrüstung | |
| Waffenexporte | |
| Greenpeace | |
| GNS | |
| Atomwaffen | |
| Nato | |
| Schlagloch | |
| Drohnenkrieg | |
| Kampfdrohnen | |
| Grüne | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Entscheidung zu Rüstungsexporten: Frieden schaffen mit weniger Waffen | |
| Das Bundeswirtschaftsministerium plant noch für das zweite Halbjahr 2022 | |
| ein Kontrollgesetz. Hintergrund sind Rekordwaffenlieferungen. | |
| Umfrage zu Rüstung und Waffenexporten: Deutsche gegen neue Atombomber | |
| Eine Mehrheit ist auch für strengere Regeln bei Rüstungsexporten. Die | |
| Zustimmung für ein generelles Ausfuhrverbot schwindet aber. | |
| Beziehungen zu Russland: Mit Putin auf Augenhöhe | |
| Eine einseitig auf Konfrontation setzende Politik gegenüber Russland ist | |
| nicht erfolgreich. Was es braucht, ist ein neuer Ansatz in der | |
| Rüstungskontrolle. | |
| Klimagipfel in Glasgow: Mit Gewalt das Klima retten | |
| Was tun, wenn sich der friedliche Übergang zur postfossilen Welt als | |
| illusorisch entpuppt. Sollten nicht die, die die Natur zerstören, dafür | |
| bezahlen? | |
| Waffen für Bundeswehrdrohnen: Nicht um den Preis ziviler Opfer | |
| Eine Bewaffnung von Drohnen sollte nur mit strengen Vorgaben erfolgen. Der | |
| Schutz für die Bundeswehr darf nicht auf Kosten Unbeteiligter gehen. | |
| Ampel-Koalition und bewaffnete Drohnen: Bedingt kampfdrohnenbereit | |
| Kurz vor Beginn der Koalitionsverhandlungen öffnet sich die SPD für die | |
| Bewaffnung von Drohnen. Die FDP ist ohnehin dafür, die Grünen sind | |
| flexibel. | |
| Wahlprogramm der Grünen: Kampfdrohnen? Ja, nein, vielleicht | |
| Das Nein der Grünen zur Bewaffnung von Drohnen wackelt. Es ist ein | |
| unangenehmes Thema für den Wahlkampf. Der Parteitag soll abstimmen. |