# taz.de -- Jahresbilanz der Pressefreiheit: Ungestrafte Journalistenmorde | |
> „Reporter ohne Grenzen“ zählt 80 getötete Journalisten in diesem Jahr. | |
> Streit gibt es über die Forderung nach einem UN-Sondergesandten. | |
Bild: In der Slowakei erschossen: Martina Kušnírová und ihr Verlobter, der I… | |
BERLIN taz | Der Fall des regierungskritischen saudi-arabischen | |
Journalisten Jamal Khashoggi, der im Oktober [1][im saudischen Konsulat in | |
Istanbul ermordet wurde,] erregte weltweite Aufmerksamkeit. Auch der Fall | |
des im Februar gemeinsam mit seiner Verlobten Martina Kušnírová [2][in der | |
Slowakei erschossenen Investigativreporters] Ján Kuciak war international | |
in den Schlagzeilen. | |
Doch Khashoggi und Kuciak sind bei weitem nicht die einzigen Journalisten, | |
die in diesem Jahr getötet wurden. Neben ihnen gibt es mindestens 78 | |
weitere Medienschaffende, die in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit | |
getötet wurden. 49 von ihnen wurden wegen ihrer journalistischen Tätigkeit | |
ermordet, 31 wurden im Einsatz getötet. | |
[3][Dies geht aus der Jahresbilanz der Pressefreiheit hervor,] die die | |
Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) am Dienstag | |
vorgestellt hat. Dies sind 15 Tote mehr als im vergangenen Jahr. 63 der | |
Getöteten waren professionelle Journalisten, 13 sogenannte | |
Bürgerjournalisten und vier sonstige Medienmitarbeiter wie Kameraleute und | |
Tontechniker. Mehr als die Hälfte der Getöteten kamen in Afghanistan (15), | |
Syrien (11), Mexiko (9), Jemen (8) und Indien (6) ums Leben. 45 Prozent | |
wurden außerhalb von Konfliktregionen getötet. | |
Mindestens 348 Medienschaffende sind derzeit weltweit inhaftiert, mehr als | |
die Hälfte davon in China (60), Ägypten (38), Türkei (33), Iran (28) und | |
Saudi-Arabien (28). 179 der Inhaftierten sind professionelle Journalisten, | |
150 Bürgerjournalisten und Blogger und 19 sonstige Medienmitarbeiter. Unter | |
den Inhaftierten sind auch mehrere Journalisten, die noch immer im | |
Gefängnis sitzen, obwohl ihre Haftentlassung durch Gerichte angeordnet | |
wurde. | |
## Viele Morde bleiben folgenlos | |
Darunter ist der mauretanische Blogger Mohamed Cheikh Ould Mohamed, der | |
2014 wegen „Abfalls vom Glauben“ zum Tod verurteilt wurde. Seine Strafe | |
wurde später in zwei Jahre Gefängnis umgewandelt, dennoch wird er noch | |
immer an einem geheimen Ort festgehalten. Auch der ägyptische | |
Fotojournalist Mahmud Abu Zeid hätte schon längst frei sein müssen, wird | |
allerdings aus einem absurden Grund weiter willkürlich festgehalten: Er hat | |
die Prozesskosten und eine Geldstrafe nicht bezahlt, deren Summe ihm die | |
Behörden aufgrund von Belastung noch immer nicht mitgeteilt haben. | |
Außerdem sind derzeit weltweit 60 Medienschaffende entführt, oft | |
Journalisten, die unter gefährlichen Bedingungen arbeiten und Zeugen für | |
Konflikte in Kriegsregionen sind, die für internationale Medien nicht | |
zugänglich sind. 59 der Entführten werden in Syrien, Irak und Jemen | |
festgehalten. Die meisten Journalisten (24) werden durch den Islamischen | |
Staat als Geiseln gehalten. An zweiter Stelle stehen die Huthi-Rebellen, | |
die im Jemen 16 Medienschaffende gefangen halten. | |
Abseits des Nahen Ostens wird der ukrainische Journalist Stanislaw Asejew | |
von den Behörden der selbsternannten „Volksrepublik Donezk“ festgehalten. | |
Drei Journalisten sind 2018 verschwunden, jeweils einer in Haiti, Mexiko | |
und Russland. Bereits seit Mitte 2016 wird ein burundischer Reporter | |
vermisst. | |
„Die Zahlen der ROG-Jahresbilanz zeigen, dass nach wie vor bewaffnete | |
Konflikte die größte Gefahr für Journalisten weltweit sind. Dass aber | |
zugleich so viele Journalisten außerhalb von Kriegsregionen ermordet | |
werden, ist ein erschreckendes Zeichen“, teilte ROG-Vorstandssprecher | |
Michael Rediske mit. „Viel zu oft können Täter und Auftraggeber damit | |
rechnen, dass selbst Morde für sie folgenlos bleiben. Die | |
Staatengemeinschaft muss endlich wirksame Mittel finden, Straflosigkeit | |
überall auf der Welt zu beenden.“ | |
## Sonderbeauftragter gefordert | |
Die Nichtregierungsorganisation „Press Emblem Campaign“, die von | |
Journalisten gegründet wurde und sich ebenfalls für den Schutz von | |
Journalisten in Konfliktregionen einsetzt, [4][zählt sogar 133 getötete | |
Medienmitarbeiter im Jahr 2018.] Eine Sprecherin von ROG sagte der taz, | |
dass es zu Diskrepanzen kommen könne, da ROG bei jedem Fall genau prüft, ob | |
der Tod in direktem Zusammenhang mit der journalistischen Arbeit steht. | |
Bereits bei dem geringsten Zweifel werde der Fall nicht in die Statistik | |
aufgenommen. Die genannten Angaben in ihrer Jahresbilanz seien daher als | |
Mindestangaben zu verstehen. | |
Ein Instrument, für das „Reporter ohne Grenzen“ schon seit über zweieinha… | |
Jahren wirbt, [5][ist die Einsetzung eines UN-Sonderbeauftragten für den | |
Schutz von Journalisten.] Ein solcher Beauftragter soll direkt dem | |
UN-Generalsekretär unterstellt sein und überwachen, inwieweit die | |
Mitgliedsstaaten ihre Verpflichtungen erfüllen und die Befugnis zu | |
eigenständigen Untersuchungen haben, wenn Staaten nach Gewalttaten gegen | |
Medienschaffende keine Ermittlungen einhalten. Vorbild ist dabei der | |
UN-Sonderbeauftragte für die Rechte von Kindern in bewaffneten Konflikten. | |
Bislang ist Straflosigkeit bei Gewalt gegen Journalisten weit verbreitet: | |
Neun von zehn Journalistenmorden bleiben weltweit ungestraft. Der Deutsche | |
Bundestag hat im Juni 2017 als weltweit erstes Parlament die ROG-Forderung | |
unterstützt. Der Antrag der Regierungskoalition wurde damals einstimmig | |
angenommen. Doch der zuständige Außenminister Heiko Maas (SPD) hat bislang | |
die Chance vertan, sich in der UN-Generalversammlung für einen | |
Sonderbeauftragten einzusetzen. | |
Als sich mehrere Medien- und Menschenrechtspolitiker aus den grünen und | |
linken Bundestagsfraktionen im September mit der Forderung in einem offenen | |
Brief an den Außenminister wandten, erhielten sie drei Wochen später eine | |
ernüchternde Antwort. Darin bestätigt er lediglich, dass der Schutz von | |
Journalisten auf höchster Ebene in den Vereinten Nationen wahrgenommen | |
werden müsse. „Daher begrüße ich die Entscheidung des UN-Generalsekretärs, | |
eine direkte Ansprechpartnerin in seinem Büro zu diesem Thema zu benennen.“ | |
Konkreten Handlungen für die Unterstützung des Anliegens der Abgeordneten | |
nennt Maas in dem Brief nicht. | |
## „Beste Gelegenheit“ wird geprüft | |
„Dass Bundesaußenminister Heiko Maas sich in der UN-Vollversammlung im | |
September 2018 nicht für die Einsetzung eines UN-Sonderbeauftragten zum | |
Schutz von Journalisten starkgemacht hat, war aus Sicht von Reporter ohne | |
Grenzen enttäuschend“, sagt auch der ROG-Geschäftsführer Christian Mihr im | |
Gespräch mit der taz. Es reiche offenkundig nicht aus, wenn der Schutz von | |
Journalisten eine Querschnittsaufgabe verschiedener UN-Gremien ist. „Das | |
Thema ist schon heute ein Querschnittsthema, und die Zahlen aus unserer | |
Jahresbilanz zeigen, dass Schutz von Journalisten dadurch alles andere als | |
garantiert wird.“ | |
Auch auf Nachfrage der taz will sich das Auswärtige Amt nicht eindeutig zu | |
der Forderung positionieren. Die Schaffung eines UN-Sondergesandten „kann | |
ebenso ein wichtiges und unterstützenswertes Signal dafür sein, dass die | |
internationale Staatengemeinschaft dieses Thema ernst nimmt“. Derzeit werde | |
„die beste Gelegenheit, sich für einen solchen Sondergesandten einzusetzen, | |
geprüft“. | |
Andere haben offenbar eine solche „beste Gelegenheit“ schon lange gefunden: | |
Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach sich bereits im September | |
2017 bei der UN-Generalversammlung für das Vorhaben aus, der Präsident der | |
Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, sagte im Mai 2018 seine | |
Unterstützung zu. | |
18 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Grausame-Details-im-Fall-Khashoggi/!5540765 | |
[2] /Mord-an-Investigativjournalist-Jan-Kuciak/!5538911 | |
[3] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/uploads/tx_lfnews/media/181217_Jahresb… | |
[4] https://www.pressemblem.ch/casualties.shtml | |
[5] /Mordserie-in-Bangladesch/!5395814 | |
## AUTOREN | |
Frederik Schindler | |
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