| # taz.de -- Meinungsfreiheit in Russland: Solidarischer Abgang | |
| > Nach Berichten über die Politikerin Walentina Matwijenko schmiss der | |
| > russische „Kommersant“ zwei Reporter raus. Jetzt folgt das | |
| > Politikressort. | |
| Bild: Nach einem Text über die Putin-Verbündete Walentina Matwijenko wurden z… | |
| Berlin taz | So weit kann Solidarität gehen: Rund ein Dutzend Journalisten | |
| und damit die komplette Politikredaktion hat sich entschlossen, die | |
| russische Zeitung Kommersant zu verlassen. Grund für den kollektiven | |
| Abgang: Zwei ihrer Kollegen, der Korrespondent Iwan Safronow und der | |
| stellvertretende Leiter des Politikressorts, Maksim Iwanow, waren gefeuert | |
| worden. | |
| „Ein Aktionär hat das Recht, Personalentscheidungen zu treffen und | |
| Mitarbeiter haben das Recht, mit ihnen nicht einverstanden zu sein. Dann | |
| ist die einzige Möglichkeit, den Job zu wechseln“, schreibt der | |
| stellvertretende Chefredakteur des Kommersant, Gleb Tscherkassow, in einem | |
| Facebook-Post vom 20. Mai. Er gehört ebenfalls zu den Mitunterzeichnern des | |
| Kündigungsschreibens. | |
| Der wirtschaftsliberale Kommersant wurde 1989 gegründet und 2006 von dem | |
| Kreml-nahen Oligarchen Alischer Usmanow übernommen. Dennoch galt das Blatt | |
| in der weitestgehend [1][gleichgemachten Medienlandschaft], die ein | |
| propagandistisches Sprachrohr der Regierung ist, weiterhin als | |
| Qualitätsmedium. | |
| Bis jetzt. Denn nun scheint es so, als habe Usmanow in seinem Sinne die | |
| Notbremse gezogen. Am 17. April veröffentlichte der Kommersant einen | |
| Beitrag über die Vorsitzende des Föderationsrats, Walentina Matwijenko. | |
| Seit 2011 steht die ehemalige Gouverneurin von St. Petersburg und | |
| Verbündete von Präsident Wladimir Putin der zweiten Parlamentskammer vor. | |
| ## Gerüchte über die Nachfolge | |
| Unter ihrer Ägide segnete der Föderationsrat unter anderem ein Verbot für | |
| Ausländer, russische Waisenkindern zu adoptieren, sowie die Stigmatisierung | |
| und Kriminalisierung von Nichtregierungsorganisationen als „ausländische | |
| Agenten“ ab. | |
| Unter Bezugnahme auf nicht näher genannte Regierungsquellen berichtete der | |
| Kommersant über mögliche Pläne, Matwijenko im Mai von ihrem Amt zu | |
| entbinden und auf den Leitungsposten des Rentenfonds abzuschieben. Es | |
| kursieren Gerüchte, dass Sergej Narischkin, bislang Chef des | |
| Auslandsgeheimdienstes, ihr Nachfolger wird. | |
| Auch der unabhängige TV-Sender Doschd, der massiv unter Druck gesetzt | |
| worden war und heutzutage nur noch im Internet existieren kann, arbeitete | |
| sich an der Kausa Matwijenko ab. Ihre Absetzung könne auch mit dem Fall | |
| eines Abgeordneten des Föderationsrats zu tun haben, der im vergangenen | |
| Januar im Zuge von Mordermittlungen festgenommen worden war. | |
| Oligarch Alischer Usmanow fühlte sich nicht bemüßigt, zu den Journalisten | |
| des Kommersant einen Kommentar abzugeben. Kurz darauf ließ sein Vertreter | |
| jedoch wissen, dass sich Usmanow nie in redaktionelle Belange einmische. | |
| ## Der Meinungsfreiheit würdig | |
| Auch der Chefredakteur des Kommersant, Wladimir Schelonkin, zog es vor, | |
| sich über Usmanow auszuschweigen, fiel dafür aber seinen Mitarbeitern in | |
| den Rücken. „Wir haben uns von den Journalisten getrennt, weil während der | |
| Vorbereitung für den Artikel die redaktionellen Standards des Kommersant | |
| verletzt worden sind“, wird er von der Tageszeitung Wedomosti zitiert. | |
| Mitteilungsbedarf hatte hingegen ein Nutzer des Onlineauftrittes der | |
| Tageszeitung Wedomosti, die ebenfalls über den Fall berichtet hatte. „Wenn | |
| die Journalisten überprüfbare Quellen hatten, warum musste man sie dann | |
| hinausschmeißen“, schreibt er in einem Kommentar. „Das ist doch die Arbeit | |
| von Journalisten Insiderinformationen zu beschaffen. Eine traurige Tendenz. | |
| Und das resultiert aus dem Wunsch der Politiker, alles unter den Teppich zu | |
| kehren. So etwas darf nicht sein.“ | |
| Die Solidarität mit den geschassten Kollegen des Kommersant nimmt derweil | |
| noch andere Formen an. Am Montagabend veröffentlichten 140 Mitarbeiter des | |
| Unternehmens einen offenen Brief. Darin entschuldigen sie sich dafür, dass | |
| der Kommersant auf lange Zeit seine LeserInnen nicht mehr über die | |
| russische Politik werde informieren können. | |
| „Diejenigen, die den Kommersant jetzt wegen kurzfristiger politischer | |
| Gewinne zerstören, kennen die Geschichte Russlands schlecht. Wir sind davon | |
| überzeugt, dass unser Land einer besseren Zukunft würdig ist. Und der | |
| Meinungsfreiheit würdig“, heißt es in dem Brief der Mitarbeiter. | |
| 21 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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