# taz.de -- Medien in Russland: Politisches Crowdfunding | |
> Das kremlkritische Magazin „The New Times“ musste eine Geldstrafe zahlen | |
> – die höchste je gegen Russlands Presse verhängte. Leser halfen aus. | |
Bild: Die russische Zivilgesellschaft ist lebendig: hier bei einer Demo für Na… | |
MOSKAU taz | Jewgenija Albaz ist erleichtert. Die Chefredakteurin des | |
kremlkritischen Magazins The New Times verfolgte vergangene Woche den | |
Geldregen, mit dem das Nachrichtenmagazin überschüttet wurde. Bei der | |
Crowdfunding-Aktion ging es nicht darum, ein angeschlagenes Medium über | |
Wasser zu halten, sondern Geld zu sammeln, um einen Strafzettel zu | |
bezahlen. Albaz hatte Leser und Unterstützer der Zeitung aufgerufen, dem | |
Medium finanziell zu helfen. | |
Den Strafzettel erhielt die The New Times Ende Oktober. Mehr als 22 | |
Millionen Rubel (umgerechnet 300.000 Euro) sollten sie zahlen. Die | |
persönliche Strafe für die Chefredakteurin belief sich zusätzlich auf | |
30.000 Rubel (400 Euro). Es ist der höchste Zahlungsbefehl, der jemals über | |
ein russisches Medium verhängt wurde. In der Medienbranche wird es als | |
„Liquidationsstrafe“ bezeichnet. Das Crowdfunding lief erfolgreich, in vier | |
Tagen kamen über 25 Millionen Rubel zusammen. „Mehr als 20.000 Sponsoren | |
ließen sich nicht lumpen“, sagt die 60-jährige Albaz. Menschen von | |
Kaliningrad bis Wladiwostok im Fernen Osten nahmen an der Aktion teil, sie | |
überwiesen 50 oder auch 100 Rubel. „Mehr können wir nicht, aber haltet | |
durch!“, schrieben sie. | |
Der Anlass: Die Redaktion hatte im Sommer versäumt, einige Unterlagen bei | |
der Roskommnadsor, der russischen Aufsichtsbehörde für Kommunikation, | |
einzureichen. Die üblichen Anträge, Steuern und Auskünfte waren gestellt, | |
bezahlt und erteilt worden. Doch ein Sponsor der New Times galt als | |
[1][„ausländischer Agent“]. Dazu hätten noch Unterlagen eingereicht werden | |
müssen, obwohl die Gelder des „Fonds der freien Presse“ mittlerweile aus | |
Russland stammen. | |
Zunächst interessierte sich niemand dafür. Bis Jewgenija Albaz im halbwegs | |
unabhängigen Radiosender Echo Moskau den oppositionellen Herausforderer des | |
Präsidenten interviewte. [2][Alexei Nawalny hatte gerade eine zweimonatige | |
Haft absolviert]. Daraufhin wurden innerhalb eines Tages zwei Instanzen | |
aktiviert, die den Zahlungsbefehl juristisch absegneten. | |
## Der Druck von oben | |
The New Times ist eine Fortführung der Nowoe Wremja, die schon in der | |
Sowjetunion aus dem Ausland berichtete. Vor elf Jahren wurde die | |
Zeitschrift dann als The New Times neu gegründet. Mit investigativen | |
Stücken machte das neue Journal auf sich aufmerksam. Es berichtete über | |
„Schwarze Kassen des Kreml“, fand „Schlägertrupps“, die in hohem Auftr… | |
gegen Demonstranten arbeiteten, und nahm Vermögensverhältnisse im Umfeld | |
Wladimir Putins unter die Lupe. Aufgrund ihrer Berichterstattung wurden | |
erst die Anzeigenkunden des Magazins unter Druck gesetzt, dann folgten | |
Vertrieb und Einzelhandel. Seit 2017 kommt die Zeitung nur noch als | |
Online-Ausgabe heraus. | |
Albaz deutete an, dass die Auftraggeber hinter der Strafe „von oben“ | |
stammen würden, das hätten die Juristen durchblicken lassen. Es ist nicht | |
der erste Fall, in dem Leser mit Crowdfunding in Russland aushelfen. Der | |
Internetdienst „7x7“ in Syktywkar und Transparency Russia waren auch schon | |
zu hohen Bußgeldern verurteilt worden. | |
Chefredakteurin Albaz sieht in der Unterstützung ein Zeichen dafür, dass | |
die Zivilgesellschaft in Russland noch lebendig ist. Mehr als 20.000 | |
Überweisungen gingen ein, darunter auch größere Summen von bekannten | |
Journalisten und Unternehmern. Die unabhängige Nowaja Gaseta stellte eine | |
Million Rubel zur Verfügung. Die Art des Vorgehens der Behörden hätte viele | |
Bürger dazu bewegt, Kritik auch Taten folgen zu lassen, meint die | |
Politikwissenschaftlerin Jekaterina Schulman von der Akademie für | |
Volkswirtschaft und Staatsdienst beim Präsidenten. „Die Dimension der | |
Veränderungen in der öffentlichen Meinung haben wir anscheinend nicht | |
richtig eingeschätzt“, sagt Schulmann. Die Menschen seien aufgebrachter als | |
erwartet. | |
In privaten Gesprächen würden sich auch loyale Oligarchen von der | |
Außenpolitik des Kreml distanzieren. Staatsbedienstete sprächen von | |
Zusammenbruch und Katastrophe, sagt der Historiker Valerie Solowei von der | |
Moskauer Diplomatenschmiede MGIMO. Wladimir Putins Pressesprecher, Dmitri | |
Peskow, gratulierte unterdessen der New Times zum Crowdfunding-Erfolg. In | |
dieser Woche wird sich ein Gericht mit dem Fall beschäftigen – die The New | |
Times hatte Einspruch gegen die Strafzahlung eingelegt. | |
20 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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