# taz.de -- Ein Jahr nach dem Mord an Jan Kuciak: Schüsse ins Mark der Slowakei | |
> Vor einem Jahr wurden der slowakische Journalist Ján Kuciak und seine | |
> Verlobte ermordet. Die mutmaßlichen Drahtzieher sind noch immer frei. | |
Bild: Die Trauer um Kuciak und seine Freundin war groß (Archivbild) | |
Prag taz | Zwei Schüsse, die ein Land aus den Fugen geraten ließen: [1][Vor | |
einem Jahr richtete ein Auftragskiller den slowakischen Journalisten Ján | |
Kuciak] und seine Verlobte Martina Kušnírová (beide 27 Jahre alt) | |
regelrecht hin. Mit einem Schuss ins Herz und einem Schuss in den Kopf | |
besiegelte der Mörder das Schicksal des jungen Paares, das kurz vor seiner | |
Hochzeit stand. Der Fund der beiden Leichen erst vier Tage später versetzte | |
die Slowakei in einen Schockzustand. Denn eines war sofort klar: „Hier | |
handelt es sich um einen doppelten Auftragsmord“, erklärte der damalige | |
slowakische Polizeipräsident Tibor Gašpar. Und der, so Gašpar, hänge | |
wahrscheinlich mit der investigativen Arbeit Ján Kuciaks zusammen. | |
„Der Mord hat den Zustand unserer Gesellschaft aufgedeckt“, sagt Peter | |
Bárdy, Chefredakteur des Webportals aktuality.sk, für das Ján arbeitete, | |
gegenüber der taz. Zwar hat die brutale Tat die massivsten Proteste in der | |
Geschichte der unabhängigen Slowakei ausgelöst. Über Wochen hinweg | |
demonstrierten Zehntausende gegen die Regierung von Ministerpräsident | |
Róbert Fico. Sie warfen Fico vor, durch vulgäre Tiraden auf Journalisten, | |
die er gern mal als „Prostituierte“, mal als „Verräter“ beschimpfte, d… | |
Sumpf, der den Mord überhaupt erst ermöglichte, geschaffen zu haben. Fico, | |
Innenminister Róbert Kaliňak und Polizeichef Gašpar [2][mussten infolge der | |
Proteste nach langem Sichwinden zurücktreten]. | |
Als die Demonstrationen verebbt waren, begannen aber die | |
Bagatellisierungen, meint Chefredakteur Bárdy. „Jáns Ermordung wurde | |
plötzlich als ein Mord wie jeder andere kleingeredet, oder es wurde Jáns | |
journalistische Arbeit angezweifelt“, sagt er. Das ärgert ihn, nicht nur | |
weil es um einen Kollegen geht. „Es gehört nicht wirklich zum Standard | |
eines EU-Staates, dass dort Journalisten umgebracht werden“, meint Bárdy. | |
Und Ján Kuciak war ein großer Journalist – einer, der es verstand, | |
investigativ zu recherchieren, der sich festbeißen konnte, bis er | |
Zusammenhänge erkannte und zusammenfügte. In seiner Arbeit fokussierte | |
Kuciak sich auf die Schaltstellen zwischen Politik und Wirtschaft. Er | |
enthüllte Steuertricks, Korruption und Verbindungen zwischen Mafia und | |
Staatsverwaltung. Der junge, unauffällige Mann verstand es wohl, den Amigos | |
des Landes Schrecken einzujagen. | |
## Zwischen Spekulanten und der ’Ndrangheta | |
Feinde, so brachten erste Ermittlungsansätze nach dem Mord zutage, hatte er | |
genug. Betrügerische Immobilienspekulanten, eine ominöse slowakische | |
Justizmafia, gar die kalabrische ’Ndrangheta: über sie alle hatte Ján | |
recherchiert und berichtet. Sie alle gerieten ins Visier der Ermittler. | |
Er glaube nicht daran, dass der Mord an seinem Sohn je völlig aufgeklärt | |
werden wird, erklärte Jáns Vater Józef anlässlich des ersten Todestags. | |
Mehr noch: Wir haben das Gefühl, dass jemand versucht, die Klärung des | |
Falls zu verhindern“, fürchtet er. | |
Erste Ermittlungserfolge erzielte die Polizei im September vergangenen | |
Jahres, als sie vier Verdächtige festnahm. Unter ihnen auch den, der | |
abgedrückt haben soll, einmal ins Herz, einmal in den Kopf: Ex-Polizist | |
Tomáš Š. wird als Mann beschrieben, der weiß, wie man Probleme lösen kann. | |
Für den Mord an Ján Kuciak soll er 70.000 Euro erhalten haben. Martina war | |
ein Zufallsopfer, sie war zur falschen Zeit zu Hause. | |
Die Schlüsselperson in dem Fall ist aber die 44-jährige Übersetzerin Alena | |
Z., die die Tat in Auftrag gegeben und bar bezahlt haben soll. Die | |
dunkelhaarige Schönheit mit den aufgespritzten Lippen hat oft die Nähe zu | |
den Mächtigen des Landes gesucht. Über Facebook-Messenger hat sie sich zum | |
Beispiel an den stellvertretenden slowakischen Generalstaatsanwalt oder | |
einen Ex-Verteidigungsminister herangemacht, ein Vorstandsmitglied der | |
regierenden sozialdemokratischen Partei „Smer“ hat sie in einem Verhör als | |
Freund bezeichnet. Inzwischen prüft die Polizei auch Zusammenhänge zwischen | |
Alena Z. und zwei weiteren, jahrelang unaufgeklärten Morden. „Ich sehe | |
keinen Grund, warum Frau Z. einen Journalisten ermorden lassen sollte“, | |
meint aber Jáns Vater Józef. Die Drahtzieher, befürchtet er, bleiben weiter | |
im Dunkeln. | |
## Steuerbetrug und Kontakte in die hohe Politik | |
Dabei pfeifen die Spatzen zwischen Bratislava im Westen und Košice im Osten | |
des Landes einen Namen von den Dächern: Marián Kocner. Dass der Unternehmer | |
eine recht enge Beziehung zu Alena Z. gepflegt haben soll, ist nur ein | |
Steinchen, das ins Mosaik passt. | |
Den Immobilienspekulanten Kočner hatte Kuciák besonders ins Visier | |
genommen: Im Jahr vor seinem brutalen Tod hatte er insgesamt 33 Artikel | |
über Kočners Machenschaften veröffentlicht. Darin ging es um gefälschte | |
Wechsel, Steuerbetrug, Druck auf ehemalige Geschäftspartner und Kontakte in | |
die hohe Politik. Besonders pikant: Kočner war der Nachbar des damaligen | |
Ministerpräsidenten Robert Fico in einer abgeschirmten Reichensiedlung in | |
Bratislava. „Alles deutet darauf hin, dass Kočner der Drahtzieher ist“, | |
meint auch Petr Bárdy gegenüber der taz. In Bezug auf Kočner habe Kuciak | |
eigentlich die Arbeit der Polizei verrichtet, indem er dessen | |
Machenschaften aufgedeckt und darüber berichtet hat, so der Chefredakteur. | |
Inzwischen ist Kočner wegen gefälschter 70-Millionen-Euro-Wechsel in Haft. | |
Sollte sich der Verdacht bestätigen, dann hätte der Doppelmord verhindert | |
werden können. Im Sommer 2017 hatte Ján Kuciak Strafanzeige gegen Kočner | |
erstattet, weil dieser ihn massiv bedroht hatte. „Ich mache dich fertig“, | |
soll er ihn angeschrien haben. Doch die Polizei blieb untätig. Die | |
Ermittlungen ziehen sich verdächtig lange hin, bemerkte Ján Kuciak kurz vor | |
seiner Ermordung. | |
Während sich der slowakische Generalstaatsanwalt Jaromír Čižnár ein Jahr | |
nach dem Mord zuversichtlich zeigt, den oder die Drahtzieher bald anklagen | |
zukönnen, hat Józef Kuciak resigniert. „Das bringt mir meinen Sohn auch | |
nicht zurück“, sagt Jáns Vater, der täglich das Grab seines Sohnes besucht. | |
Aber eigentlich geht es ihm auch darum, dass sich etwas in der Gesellschaft | |
ändert: „So wie es aussieht, kann sich das jederzeit wiederholen.“ | |
20 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
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