| # taz.de -- Italien unter Meloni: Links in einem rechten Land | |
| > Seit einem Jahr wird Italien von Rechten regiert. Die linke Szene in | |
| > Bologna bekommt das bisher wenig zu spüren. Migranten und Frauen dafür | |
| > umso mehr. | |
| Bologna taz | Es ist ein zu warmer Abend im Oktober, das Zentrum Bolognas | |
| ist voller Touristen und Studierenden, die für das beginnende Semester | |
| angereist sind. Weltkulturerbe ist die prächtige Altstadt, über 40 | |
| Kilometer lang sind die Säulengänge vor den mittelalterlichen Gebäuden. Wer | |
| in Richtung Norden unter ihnen entlang flaniert, landet unweigerlich am | |
| Hauptbahnhof, einem sandfarbenen Bau jüngeren Datums. Dessen Vorgänger | |
| wurde am Morgen des [1][2. August 1980] zerstört. Ein Kommando der | |
| neofaschistischen Nuclei Armati Rivoluzionari hatte einen Koffer mit einer | |
| Zeitbombe im überfüllten Wartesaal des Bahnhofs abgestellt. Die Explosion | |
| war kilometerweit zu hören. Das Dach brach zusammen. 85 Menschen starben, | |
| mehr als 200 wurden verletzt. | |
| Lange war von dem Attentat in der Öffentlichkeit kaum mehr die Rede. Bis | |
| vor acht Wochen. Da trat Marcello De Angelis zurück. Er war Sprecher der | |
| Region Latium, die von der rechtsextremen Partei Fratelli d’Italia von | |
| Giorgia Meloni regiert wird. Einst war De Angelis Mitglied der | |
| neofaschistischen Gruppe Terza Positione. Sie wird dem Umfeld der | |
| Bologna-Attentäter zugerechnet. De Angelis’ Schwager wurde wegen des | |
| Attentats verurteilt. Dass Rechtsextreme den Bahnhof sprengten, wurde in | |
| viele Jahre dauernden Prozessen festgestellt. De Angelis aber behauptete | |
| kürzlich: „Sie haben nichts damit zu tun. Richter und Institutionen wissen | |
| das. Und sie lügen.“ | |
| Der Vorfall zeigt, wie tiefgreifend sich die politische Landschaft in | |
| Italien verändert hat. [2][Vor genau einem Jahr], am 22. Oktober 2022, | |
| wurde Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia Regierungschefin. Die Partei | |
| der einstigen faschistischen Bewegung hat seither die Macht im Land. | |
| Unvorstellbar schien das vielen noch vor kurzer Zeit. Wie haben sich das | |
| Leben, Alltag, die Bedingungen für soziale Kämpfe linker Aktivist:innen | |
| geändert? | |
| Nicht erst durch den Anschlag wurde Bologna zu einem der Orte, an dem die | |
| Auseinandersetzung zwischen der Linken und der extremen Rechten in Italien | |
| sich in besonderer Weise verdichtet. Der in Italien [3][berühmte Aufstand | |
| 1977] spielte sich hier ab, die weltberühmte Universität brachte viele | |
| Theoretiker hervor, die starken Einfluss auf die sozialen Bewegungen des | |
| Landes hatten. Und diese haben bis heute hier einen Schwerpunkt. Und auch | |
| ein Jahr nach Meloni hat die Stadt noch immer eine große linke Szene. | |
| Auf der Südseite der Innenstadt etwa haben Aktivist:innen am 6. Oktober | |
| das Istituto Santa Giuliana besetzt – ein leer stehendes, bis vor Kurzem | |
| von der Kirche betriebenes Internat, braun verklinkert, vier Stockwerke. | |
| Unten sind Unterrichts- oben Schlafräume. Zwei Kollektive stehen hinter der | |
| Besetzung: Das Teatro Polivalente Occupato und eine Gruppe namens Làbas. | |
| Seit Jahren gehen deren Aktivist:innen immer wieder in leer stehende | |
| Gebäude in der Stadt. Sie protestieren gegen die explodierenden Mieten, | |
| versuchen, temporären Wohnraum zu schaffen. Am dritten Abend der Besetzung | |
| hängt ein Transparent aus dem Fenster. „Wohnen ist ein Recht“, steht | |
| darauf. Drinnen sitzen junge Leute im Hof, rauchen, ein paar Flüchtlinge | |
| sind dabei. | |
| „Allen fehlt Wohnraum, die Menschen werden verdrängt – Geflüchtete, | |
| Studierende, Arme. Den Protest dagegen wollen wir hier zusammenbringen,“ | |
| sagt eine junge Frau, die sich als Giulia vorstellt. Seit 2015 besetzt sie | |
| immer wieder Häuser [4][in Bologna]. Bis zum Sommer war in dem Gebäude eine | |
| Nonnenschule. Dann ging der Kirche das Geld aus. Das Gebäude wird nun | |
| verkauft. Der neue Eigner will ein kommerzielles Studentenwohnheim daraus | |
| machen. „Noch eins“, sagt Giulia. „Die Stadt ist schon voll davon.“ Die | |
| Kirche beantragte noch am Tag der Besetzung bei der Polizei die Räumung. | |
| Giulia erzählt vom lokalen Flüchtlingsheim in der Via Mattei. Dort sind 800 | |
| Menschen untergebracht, es gibt aber nur 250 Plätze. Die meisten wohnen in | |
| überfüllten Zelten. Einer der Bewohner ist zu der besetzten Schule | |
| gekommen, sein Name ist Youcif, er stammt aus dem Sudan. Er zeigt ein Video | |
| aus dem Innern des Lagers. „60 bis 100 Menschen in einem Zelt“, sagt er. | |
| „Das hält man nicht aus. Und bald kommt der Herbst.“ | |
| Die Besetzer:innen würden am liebsten Geflüchtete und Studierende in | |
| dem Haus wohnen lassen. Doch sie werden nicht bleiben können. Im August | |
| erließ die Meloni-Regierung ein Dekret: Neue Besetzungen müssen innerhalb | |
| weniger Werktage geräumt werden. „Früher gab es hier Squats, die sich fünf | |
| Jahre oder länger halten konnten“, sagt Giulia. Zugute komme ihnen zwar, | |
| dass Bolognas Bürgermeister Matteo Lepore zur sozialdemokratischen PD | |
| gehört. „Aber er muss natürlich vollziehen, was die Regierung anordnet.“ | |
| An diesem Abend aber ist von der Polizei noch nichts zu sehen. Sie rückte | |
| erst am 17. Oktober an, als das Istituto Santa Giuliana geräumt wurde. Sind | |
| solche Besetzungen unter der neuen Regierung also gefährlicher als früher? | |
| „Wenn man keinen Widerstand leistet, gibt es keine Verhaftung“, sagt | |
| Giulia. „Sie stellen die Personalien fest, das war’s dann.“ Die direkte | |
| Repression gegen Aktivist:innen habe nicht zugenommen, sagt Giuilia. | |
| „Da sehe ich keine sehr starken Veränderungen bisher.“ Die Veränderungen | |
| seien eher schleichend. | |
| In den letzten Monaten habe die Regierung eine Welle von Dekreten erlassen. | |
| Unter anderem wurde das Haftalter herabgesetzt. Meloni habe „den Gedanken | |
| von Sicherheit und Repression stärker gemacht, auch gegenüber jungen | |
| Leuten“, sagt Giulia. Gleichzeitig sei nun sehr viel von traditionellen | |
| Familienrollen die Rede. Das sei nicht ohne Folgen geblieben. „Im Sommer | |
| nahm die Gewalt gegen Frauen zu, die Zahl der Femizide stieg. Wir sehen da | |
| einen klaren Zusammenhang.“ | |
| Meloni gehe die Dinge viel ruhiger an als ihr Konkurrent Matteo Salvini von | |
| der Lega. „Der war viel impulsiver, hat auf Propaganda und Theater gesetzt. | |
| Häfen zu, NGOs plattmachen“, sagt Giulia. „Meloni ist viel cleverer.“ Das | |
| einzige Thema, bei dem sie bisher angreifbar sei, seien die hohen | |
| Flüchtlingszahlen. Doch die Kritik an Meloni bleibt bisher verhalten. „Sie | |
| vermittelt den Leuten den Eindruck, dass sie tut, was sie kann und ihr | |
| Bestes gibt“, sagt Giuilia. | |
| „Und sie kann die Schuld auf andere schieben – zum Beispiel auf den | |
| Präsidenten von Tunesien, weil der unkooperativ ist.“ Gleichzeitig spiele | |
| sie geschickt etwa ukrainische und afrikanische Flüchtlinge gegeneinander | |
| aus. „Sie gewinnt viel Unterstützung in der Bevölkerung, wenn sie sagt, | |
| dass manche Geflüchtete wichtiger sind als andere, dass Männer aus Afrika | |
| doch in ihren Ländern arbeiten können.“ So unterstützen viele, dass Meloni | |
| neue Internierungslager bauen wolle und [5][bei der Migration] auf | |
| Kriminalisierung und Militarisierung setzt. | |
| Die jungen Leute in dem besetzten Internat fürchten, dass Meloni, anders | |
| als viele Regierungschefs vor ihr, noch eine Weile im Amt bleibt. „Sie hat | |
| eine starke, solide Strategie“, sagt Giulia. Auch, weil sie nicht gegen die | |
| EU arbeite. „Sie will die nicht verlassen, wie die Lega immer getönt hat. | |
| Sie will sie zu einer Union aus stärkeren Nationalstaaten umbauen.“ Die | |
| nächste Besetzung ist nur wenige Ecken weiter. Ein Grundstück der | |
| Universität, die Orientalistik-Fakultät, am Rande der Altstadt. Seit diesem | |
| Wochenende haben Studierende hier Zelte aufgestellt. Es ist dunkel, das Tor | |
| haben sie zugeschoben, im orangenen Licht der Straßenlaternen sitzen sie an | |
| einem Tisch im Hof, trinken Bier, spielen Spiele. | |
| „Das ist kein symbolischer Protest“, sagt Anna, eine junge Frau aus der | |
| Nähe von Mailand, die im zweiten Jahr Politikwissenschaft studiert. „Wir | |
| können uns wirklich kein Zimmer leisten.“ Sie kochen in dem | |
| Studierendencafé in einer kleinen Baracke, waschen sich in der | |
| Uni-Toilette. Bis zu 800 Euro kostet in Bologna ein WG-Zimmer, in den | |
| kommerziellen Wohnheimen sind es schnell 1.000 Euro. „Meloni [6][hat | |
| Sozialleistungen gekürzt] und das trifft auch die Jugend“, sagt Anna. Und | |
| zwar umso schlimmer, weil es in Italien keinen Mindestlohn gebe. Einige der | |
| Studierenden erzählen, dass sie bei Lieferdiensten arbeiten und teils nur | |
| auf 2,50 Euro Lohn die Stunde kommen. | |
| ## Subtile Repression der Regierung | |
| Viele würden vom Haus der Eltern nach Bologna pendeln, weil die Zeitkarte | |
| im Regionalzug billiger sei als ein Zimmer. „Jeden Morgen, jede Nacht 3 | |
| Stunden im Zug“, sagt Anna. „Wer dann nicht mitkommt und nicht genug Credit | |
| Points nachweist, verliert seinen Studienplatz, muss den Studienkredit | |
| zurückzahlen und ist verschuldet.“ Die Rechten redeten gern von | |
| „Meritokratie“, sagt Anna. Davon also, dass jeder bekommen solle, was er | |
| verdient. „Aber wer drei Jobs braucht, um seine verschimmelte Studentenbude | |
| zu behalten, kann nicht viel lernen. Sie tun so, als ob es diese | |
| Unterschiede nicht geben würde.“ | |
| Die Repression der Regierung gegen Protestbewegungen sei „eher subtil“, | |
| meint sie dann. „Es ist eher eine Delegitimierung. Sie sagen: ‚Sie sind | |
| faul und wollen nicht arbeiten.‘ Oder: ‚Sie wollen aus schönen Häusern | |
| hässliche, verfallende Sozialzentren machen.‘“ Am 2. Oktober gab es in | |
| Turin Proteste von Schüler:innen gegen einen Besuch Melonis. Die Polizei | |
| verprügelte die jungen Leute. „Da hat man gesehen, was die Antwort sein | |
| kann, wenn man gegen die Regierung ist.“ Angst hätten sie aber keine, sagt | |
| Anna. | |
| Die Linie zwischen der heutigen Regierungspartei und dem historischen | |
| italienischen Faschismus ist sehr direkt. In der von 1943 bis 1945 | |
| bestehenden „Italienischen Sozialrepublik“, einem NS-Protektorat unter dem | |
| Faschistenführer Benito Mussolini, gab es eine Staatspartei: Die | |
| Republikanisch-Faschistische PFR. Deren Ex-Funktionäre gründeten 1947 das | |
| Movimento Sociale Italiano (MSI). Die wiederum ging 1995 in der Alleanza | |
| Nazionale (AN) auf, mit der Silvio Berlusconi ab 1995 mehrfach koalierte. | |
| Und Funktionäre der AN gründeten dann 2012 die Fratelli d’Italia – die | |
| heutige Regierungspartei. | |
| Nicht weit entfernt von Bologna liegt Reggio Emilia. Hier lebt seit über 20 | |
| Jahren Matthias Durchfeld. Der Geschichtsarbeiter ist Direktor des | |
| [7][Instituts Istoreco]. Die in einem ehemaligen Klostergebäude | |
| untergebrachte Einrichtung hat über drei Kilometer Regalböden an Dokumenten | |
| über den Faschismus und den Partisanenkampf zusammengetragen. Ihre Aufgabe | |
| sehen sie vor allem darin, junge Menschen über die Vergangenheit | |
| aufzuklären. Melonis Wahl habe ihn und seine Mitarbeiter „ein wenig | |
| geschockt“, sagt Durchfeld. Eine Zunahme an Repression gegen die | |
| antifaschistische Gedenkarbeit gebe es bisher aber nicht, sagt Durchfeld. | |
| Und bisher sei auch der finanzielle Schaden der Meloni-Regierung für die | |
| Gedenkarbeit „relativ übersichtlich“, sagt Durchfeld. | |
| Das Netzwerk der Geschichts-Institute wird auch vom Staat gefördert: Mit | |
| dem Bildungsministerium in Rom gibt es einen Vertrag. 30 Lehrer:innen | |
| sind aus dem Staatsdienst freistellt, um für die Institute zu arbeiten und | |
| dort Schulprojekte zu organisieren. Daran hat sich auch nach Melonis | |
| Amtsübernahme nichts geändert „Seit Jahrzehnten ist das nie infrage | |
| gestellt worden“, sagt Durchfeld. | |
| Über ein regionales „Gesetz für die Erinnerung“ kommt indes die meiste | |
| Unterstützung von der sozialdemokratischen Regierung der Region Emilia | |
| Romagna. Und auch 42 Städte der Region zahlen heute Mitgliedsbeiträge an | |
| das Istoreco – darunter auch solche, die von rechten Bürgerlisten regiert | |
| werden. In der Vergangenheit hatten andere Institute aus dem Netzwerk | |
| „politisch motivierte Kündigungen“ ihrer Räume erhalten, sagt Durchfeld. … | |
| „zwei, drei“ solcher Fälle könne er sich erinnern, etwa im piemontesischen | |
| Biella. Doch das sei bereits vor Melonis Amtsübernahme geschehen. „Die Lega | |
| Nord wollte die Institute ja auch nicht.“ | |
| Politische Einflussnahme durch rechte Politiker gebe es heute durchaus, | |
| sagt Durchfeld. Und zwar vor allem beim Thema der Foibe. Dabei handelt es | |
| sich um wohl einige Tausend faschistische italienische Kämpfer, die ab 1943 | |
| von jugoslawischen Partisanen im Gebiet des heutigen Istriens getötet | |
| wurden. Die extreme Rechte in Italien bemüht sich nach Kräften, dass sie | |
| als Opfer antiitalienischer Gewalt betrachtet werden. „Da wird enorm | |
| Einfluss genommen“, sagt Durchfeld. Es gebe Regionalgesetze, Vorschriften | |
| zu Sprachregelungen, vor allem im Nordosten des Landes. An dem Versuch, die | |
| Tötung der Foibe als „Völkermord an Italienern“ zu bezeichnen, zeige sich | |
| das seit jeher bestehende Problem der „Veropferung der italienischen | |
| Geschichte und des Vertuschens der italienischen Täter“, sagt Durchfeld. | |
| „Das hat eine lange Tradition.“ | |
| Diese Form rechter Geschichtspolitik habe sich schon zu Zeiten Berlusconis | |
| abgezeichnet. „Den Gedenktag am 10. Februar versucht die extreme Rechte so | |
| zu besetzen, dass die deutschen Nationalsozialisten und jugoslawische | |
| Kommunisten die Italiener getötet haben – die Italiener sind demnach zwei | |
| Mal Opfer und nie Täter.“ Neu sei, dass die Regierung Melonis versuche, in | |
| diesem Sinne Einfluss auf Schulen zu nehmen. „Es gab Rundschreiben, dass | |
| alle den Foibe-Tag begehen müssen“, sagt Durchfeld. „Sie haben sogar | |
| Spruchbänder ans Kolosseum gehängt, was für die ermordeten Juden nie getan | |
| wurde.“ | |
| Der rechten Geschichtspolitik etwas entgegen zu setzen, versucht das VAG61, | |
| ein linkes Kulturzentrum in Bologna. 2003 hatten Aktivist:innen des | |
| lokalen Indymedia-Kollektivs ein Gebäude besetzt, später vermietete die | |
| sozialdemokratische Stadtregierung ihnen ein kleines Haus im Norden der | |
| Innenstadt. | |
| ## Bologna habe eine „linke DNA“ | |
| Im ersten Stock ist heute ein linkes Bewegungsarchiv untergebracht. Die | |
| [8][Seenotrettungs-NGO Mediterranea] hat hier ein Büro, genau wie die | |
| Redaktio der ZIC notes. Nachmittags gibt es Hausaufgabenhilfe, abends | |
| Lesungen und Konzerte. Bologna habe bis heute eine „linke DNA“, sagt | |
| Andrea, der seit Jahrzehnten im Vag 61 aktiv ist. Sein Name ist ein | |
| anderer, er will nicht, dass er in der Zeitung erscheint und hat um ein | |
| genderneutrales Pseudonym gebeten. „Aber es ist eher Glut als eine Flamme. | |
| Alles ist etwas ruhiger, aber noch da.“ | |
| Das, so glaubt Andrea, dürfte auch damit zu tun haben, dass Meloni noch | |
| viel Geld zu verteilen hat. Kein Land bekommt mehr Geld aus dem 190 | |
| Milliarden Euro schweren [9][EU-Covid-Wiederaufbaufond]s. Die vielen neuen | |
| Projekte befrieden Unmut – aber werden durch die Kürze der Zeit in die | |
| falschen Hände geraten: Die Mafia werde dafür sorgen, dass sie ihren Anteil | |
| bekommt, sagt Andrea. „Die soziale Frage wird voll durchschlagen, wenn in | |
| einigen Jahren die EU-Milliarden aufgebraucht sind.“ | |
| Dass Meloni sich im Amt bisher anders verhielt, als viele befürchtet hatten | |
| – etwa die Solidarität mit der Ukraine und Israel oder der kooperative Kurs | |
| mit der EU –, sei vielleicht „eine italienische Sache“, sagt Andrea: „H… | |
| macht keiner, was von ihm erwartet wird.“ Als Meloni gewählt wurde, dachte | |
| er nicht, dass es einen neuen Faschismus wie einst geben würde, „mit | |
| Partisanen oder so“. Das Hauptproblem hätten zunächst die Minderheiten: | |
| „Migranten und LGBTIQ. Gegen die gehen sie nun vor. Danach sind vielleicht | |
| andere dran.“ | |
| Allein in den Bereichen Feminismus und Migration hingegen hätten die | |
| Proteste zugenommen. Es sind die Bereiche, in denen die Regierung konkrete | |
| Änderungen verfolge – beim Abtreibungsrecht und bei den Abschiebungen. Doch | |
| diese Felder zu großen, kollektiven Protesten zusammenzubringen, sei | |
| schwierig. „Aber das ist ein allgemeines Problem der letzten Jahre.“ | |
| Immerhin: Rund 200.000 Menschen sind am 7. Oktober dem Aufruf von | |
| Gewerkschaften und NGOs zu Sozialprotesten in Rom gefolgt. „Das richtete | |
| sich aber nicht gegen die Regierung an sich, sondern gegen geplante | |
| Änderungen beim Arbeitsrecht.“ | |
| Die sozialen Bewegungen seien insgesamt etwas ruhiger als etwa zu Zeiten | |
| der Regierungen von Silvio Berlusconi, an denen ja ebenfalls Faschisten | |
| beteiligt waren. „Damals gab es keine sozialen Netzwerke, nur Protest auf | |
| der Straße“, sagt Andrea. „Heute suchen die Menschen andere Wege des | |
| Protests – oft im Netz.“ Rechte Demos gebe es hin und wieder, stärker | |
| geworden seien die nicht. „Es gibt hier nicht so viele sichtbare | |
| Faschisten.“ Einige Tausend würden kommen, wenn Rechtsextreme zum Gedenken | |
| an das Foibe-Massaker aufrufen würden. Zwei Häuser, die die faschistische | |
| Casa Pound-Bewegung in Bologna hatte, wurden geschlossen. | |
| „Das war ein langer Kampf“, sagt Andrea. Der Aufstieg der Fratelli d’Ital… | |
| zur Regierungspartei habe eine Sogwirkung entfaltet – weg von der Straße, | |
| rein in die Partei. Um zu sagen, wie es weiter gehe, sei es noch zu früh, | |
| sagt Andrea. „Das Wahlsystem können sie nicht ändern, dafür bräuchten sie | |
| größere Mehrheiten. Dass es Plätze wie das Vag61 und die vielen anderen | |
| linken Orte im Land noch gebe, zeige die Grenzen der Macht der Regierung. | |
| „Es ist nicht so einfach, solche Orte plattzumachen. Im Wahlkampf kündigt | |
| man das an und danach macht man vielleicht hier und da eine kleine Räumung, | |
| und dann kann man sagen, wir haben geliefert, es geht ja auch viel um | |
| Rhetorik.“ | |
| Es ist ein Paradox: Die Infrastruktur sozialer Projekte, von | |
| Graswurzelinitiativen ist in ganz Italien dicht – nicht nur in linken | |
| Zentren wie Bologna, auch in der Provinz gib es eine kaum zu überblickende | |
| Zahl etwa von Solidaritätsinitiativen. Doch das als Zeichen eigener Stärke | |
| wahrzunehmen, vermögen viele Aktivist:innen nicht. | |
| Andrea versteht das. „Es bleibt eben nur, sich anzupassen“, sagt er. Für | |
| Solidarität von unten, für Beratungsstellen oder Besetzungen, dafür reiche | |
| die Kraft der Bewegungen. Es sei „evident, dass das etwa für die Migranten | |
| sehr wichtig ist“. Aber die Erosion der Grund- und Menschenrechte, die die | |
| extreme Rechte produziert, zu stoppen – das sei nicht möglich. „Wir können | |
| das nur ein Stück weit kompensieren.“ Doch weil sich an der grundlegenden | |
| politischen Lage nichts ändere, seien eben viele frustriert.“ | |
| Repression spiele dabei bislang nur bedingt eine Rolle. „Die gab es schon | |
| immer, das ist heute nicht anders als früher. Die Polizei war schon immer | |
| rechts, auch wenn die Regierung links war“, sagt Andrea. „Die verprügeln | |
| dich, egal wer regiert.“ Doch dass Menschen in Italien heute nicht auf die | |
| Straße gehen, weil sie Angst vor der Polizei haben – das sei nicht so. „Sie | |
| hält eher zu Hause, dass sie müde geworden sind, weil es keine positiven | |
| Veränderungen gibt.“ | |
| 22 Oct 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://en.wikipedia.org/wiki/Bologna_massacre | |
| [2] /Ein-Jahr-Meloni/!5959210 | |
| [3] https://en.wikipedia.org/wiki/Movement_of_1977 | |
| [4] /Verkehrswende-in-Bologna/!5945366 | |
| [5] /Von-der-Leyen-auf-Lampedusa/!5957958 | |
| [6] /Gestrichene-Sozialhilfe-in-Italien/!5947928 | |
| [7] https://www.istoreco.re.it/ | |
| [8] https://de.sosmediterranee.org/helfen-fuer-mehr-menschlichkeit/?gclid=CjwKC… | |
| [9] https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/ngeu-covid-19-recovery-pack… | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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