# taz.de -- Von der Leyen auf Lampedusa: Meloni erhöht Druck | |
> EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Italiens Ministerpräsidentin | |
> Meloni besuchen Lampedusa. Die Kommission muss improvisieren. | |
Bild: Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni bei der gemeinsamen Pressekonfere… | |
BRÜSSEL/ROM taz | Am Sonntag wurden die Flüchtlinge, die [1][gegenwärtig | |
auf Lampedusa ausharren], endgültig zum europäischen Thema. Während | |
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gemeinsam mit Italiens | |
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die kleine Mittelmeerinsel besuchte, | |
deren Erstaufnahmelager aus allen Nähten platzt, empfing Melonis | |
Stellvertreter Matteo Salvini praktisch zeitgleich seine Freundin Marine Le | |
Pen auf einer Großveranstaltung der radikal fremdenfeindlichen Partei Lega. | |
Melonis und Salvinis Aktionismus ist schnell erklärt: Italiens | |
rechtspopulistische Regierung hat ein doppeltes Problem – ein logistisches | |
und ein politisches. Allein von Dienstag bis Freitag trafen rund 11.000 | |
Menschen auf der Insel ein; die meisten waren auf kleinen Kähnen von | |
Tunesien aus in See gestochen. Das Aufnahmelager kann jedoch regulär nur | |
400 Personen beherbergen. Zwar wurden bis Sonntag etwa 10.000 Menschen nach | |
Sizilien gebracht, doch immer noch halten sich 1.500 Menschen im Camp auf. | |
Das politische Problem: Im Wahlkampf vor einem Jahr hatten Meloni und | |
Salvini versprochen, unter ihrer Regierung sei „die Party vorbei“ für | |
„illegale Flüchtlinge“. Die Rechte werde unterbinden, dass weitere | |
Geflüchtete nach Italien kämen, zur Not auch [2][mit der von Meloni | |
gewollten „Seeblockade“]. | |
Doch allein in diesem Jahr kamen bereits 127.000 Menschen über das | |
Mittelmeer, fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum – und die | |
Rechtsparteien werden zunehmend nervös. Deshalb erhöht Meloni den Druck in | |
Europa, und von der Leyen eilte ihr umgehend zu Hilfe. Sie besuchte zuerst | |
das Aufnahmelager, dann die Hafenmole, an der die Boote aus Tunesien | |
anlegen. | |
## Die Seeblockade ist wieder da | |
Einen unmittelbaren Eindruck bekam sie auch vom Protest aus der | |
Inselbevölkerung, als ihr Konvoi kurz von einer kleinen Demonstration | |
aufgehalten wurde, denn unter den Lampedusanern geht die Furcht um, die | |
Regierung wolle dort ein weiteres großes Zeltlager errichten und so das | |
Eiland in eine „Gefängnisinsel“ – so einer der Sprecher – verwandeln. | |
Auf der folgenden Pressekonferenz wiederholte Meloni, was sie schon an den | |
Vortagen verkündet hatte: Europa, nicht bloß Italien, müsse darauf | |
hinwirken, dass keine weiteren Bootsflüchtlinge nach Lampedusa kämen, auch | |
unter gemeinsamem Einsatz europäischer Marineeinheiten. | |
Da ist sie wieder: die Seeblockade. Von der Leyen gab sich gesprächsbereit. | |
Natürlich sei die Flüchtlingskrise „eine europäische Aufgabe“, natürlich | |
könne Frontex Italien stärker unterstützen, natürlich müsse gemeinsam an | |
der Unterbindung des „brutalen Geschäfts der Schleuser“ gearbeitet werden, | |
natürlich müsse Europa sich stärker auch bei der Repatriierung jener | |
Menschen engagieren, deren Fluchtgründe nicht anerkannt werden. | |
Von der Leyen stellte zudem einen Notfallplan für die Bewältigung der | |
Flüchtlingszahlen vor. Kern des Plans ist, dass die Asylsuchenden besser | |
auf die europäischen Länder verteilt und weitere Massenankünfte verhindert | |
werden. Er sieht ein hartes Vorgehen gegen sogenannte Schlepper vor. Die | |
legale Einwanderung für Asylberechtigte soll erleichtert werden. | |
Von der Leyens Rhetorik verwundert nicht. Die EU-Kommissionspräsidentin ist | |
in der Pflicht: Sie hat im Juli [3][den sogenannten Tunesien-Deal] | |
gemeinsam mit Meloni ausgehandelt und Solidarität mit Italien proklamiert. | |
Der Deal verpflichtet Tunesien zu verhindern, dass Flüchtende überhaupt | |
Richtung Italien aufbrechen und jene, die es doch tun, wieder | |
zurückzuholen. Nun muss von der Leyen beweisen, dass sie zu ihrem Wort | |
steht. Doch das wird schwierig. Denn das Abkommen mit Tunis ist noch nicht | |
in Kraft; und so ist auch noch kein Geld nach Tunesien geflossen. | |
Erschwerend kommt hinzu, dass auch der neue europäische Asylpakt auf sich | |
warten lässt. Der Pakt, auf den sich die EU-Innenminister vor der | |
Sommerpause verständigt haben, sieht mehr Härte an den Außengrenzen, aber | |
auch etwas mehr Solidarität zwischen den EU-Staaten vor. Doch die | |
abschließenden Verhandlungen im Europaparlament stehen noch ganz am Anfang. | |
In ihrer Rede zur Lage der EU am vergangenen Mittwoch in Straßburg | |
appellierte von der Leyen an die Abgeordneten, den Weg frei zu machen. Doch | |
das Parlament will sich nicht drängen lassen. | |
Deshalb muss die EU improvisieren. Der Blitzbesuch von der Leyens auf | |
Lampedusa ist genauso improvisiert wie eine Telefonkonferenz der | |
Innenminister aus Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien am Samstag. | |
Das Gespräch brachte kein Ergebnis und soll am Montag fortgesetzt werden. | |
Wie die Unterstützung der EU praktisch umgesetzt werden soll, blieb am | |
Sonntag unklar. Vor Tunesiens oder Libyens Küste könnten europäische | |
Marineschiffe nur auftauchen, wenn die Südanrainerstaaten das billigen – | |
anderenfalls wäre der Einsatz schlicht ein kriegerischer Akt. | |
Nicht viel anders sieht es bei den Rückführungen aus: Auch hier ist die | |
Kooperation der Herkunftsstaaten unabdingbar. Letztes Jahr hat Italien | |
gerade einmal 3.000 Personen zurückgeschickt. Schneller wird es auch nicht | |
gehen, wenn Melonis Kabinett wie geplant am Montag die Verlängerung der | |
Abschiebehaft von 12 auf 18 Monate und den Bau weiterer Abschiebelager | |
verabschiedet. | |
Salvini verfolgt derweil seine eigene Agenda. Auf seiner | |
Lega-Großkundgebung am Sonntag war Marine Le Pen zu Gast – jene Le Pen, die | |
die Einbindung der EU in die Migrationspolitik für „gefährlich“ hält, we… | |
das heiße, „dass der EU zusteht, über unsere Migrationspolitik zu | |
entscheiden“. Offenkundig zielt Salvini darauf, Meloni mit rüder | |
Anti-Immigrations-Rhetorik koalitionsintern von rechts außen Konkurrenz zu | |
machen; schließlich wird im Juni 2024 das Europäische Parlament neu | |
gewählt. | |
17 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
Eric Bonse | |
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