# taz.de -- IG-Metall-Chefin über Lohnerhöhungen: „Die Menschen brauchen me… | |
> In der Konjunkturflaute sei Lohnzurückhaltung keine Option, sagt | |
> IG-Metall-Chefin Christiane Benner. Auch die Bundesregierung müsse mehr | |
> investieren. | |
Bild: Autobauer in der Krise: Beschäftigte protestieren gegen Entlassungen und… | |
taz: Frau Benner, [1][der VW-Konzern ist in einer tiefen Krise], der | |
Vorstand hat Entlassungen und Werksschließungen auf die Tagesordnung | |
gesetzt. Die IG Metall fordert für die Beschäftigten 7 Prozent mehr Lohn | |
und 170 Euro mehr im Monat für die Auszubildenden. Ist das angemessen? | |
Christiane Benner: Zahlreiche Aktionen mit mehreren Tausend Beschäftigten | |
zum Verhandlungsauftakt geben die Antwort: Ja, das ist angemessen, und die | |
Menschen brauchen mehr Geld. Das fordern wir nicht nur für VW, sondern auch | |
für die gesamte Metall- und Elektrobranche. Wir haben unsere Forderungen | |
bereits im Sommer beschlossen und dafür knapp 320.000 Beschäftigte befragt; | |
und sie passen aus unserer Sicht zur aktuellen Situation. | |
taz: Wirklich? | |
Benner: Die Beschäftigten haben mit dem hohen Preisniveau zu kämpfen, das | |
durch die hohe Inflation der vergangenen Jahre entstanden ist. Gleichzeitig | |
sind die Menschen verunsichert, wenn sie in die Zukunft blicken. Sie halten | |
ihr Geld zusammen. Das spürt die Wirtschaft. Wer kein Geld ausgibt, kauft | |
auch kein neues Elektroauto, kein neues Sofa oder eine Waschmaschine. | |
Insofern würden höhere Löhne die Konsumlaune steigern und damit die | |
Wirtschaft stabilisieren. | |
taz: Die Arbeitgeberseite bei VW wird argumentieren, dass höhere Löhne die | |
Krise verschärfen. Was entgegnen Sie ihr? | |
Benner: Moment. Die Probleme bei VW sehen wir auch, aber sie sind nicht auf | |
die Löhne zurückzuführen. Tarifpolitik kann viel gestalten, gute Löhne, | |
passende Arbeitsbedingungen und klare Perspektiven. So sorgt | |
Sozialpartnerschaft für Stabilität und Zusammenhalt. Aber: Ein Chaos in der | |
Förderpolitik hat zu einem Einbruch beim Kauf von E-Autos geführt. Wir | |
wollen Rahmenbedingungen, die unsere Industrie stärken. Da muss die Politik | |
ran. Da gibt es einige Themen, bei denen wir uns sogar grundsätzlich mit | |
den Arbeitgebern einig sind, niedrigere Energiepreise und schnellere | |
Planungs- und Genehmigungsverfahren. Das wäre ein Rezept gegen die Krise | |
und die schlechte Stimmung in den Betrieben. | |
taz: An der IG Metall wird die Rettung von VW nicht scheitern? | |
Benner: Nein. Aber die IG Metall allein kann VW auch nicht retten. Wir sind | |
verhandlungsbereit. Die Menschen wollen einen sicheren Arbeitsplatz. Dafür | |
kämpfen wir. Es braucht von Unternehmensseite Investitionen in neue | |
Fahrzeugmodelle und mal wieder einen echten Volkswagen, eine Strategie für | |
die Elektromobilität und die Wettbewerbsfähigkeit. Gerade im Vergleich zu | |
den chinesischen Autoherstellern. Lohnverzicht der Beschäftigten wird VW | |
nicht aus der Krise helfen. Das gilt für die gesamte Branche. | |
taz: Sie sehen Lohnzurückhaltung also als falsch an? | |
Benner: Ja. | |
taz: Nicht nur bei VW, auch für die gesamte Metall- und Elektroindustrie | |
finden Tarifverhandlungen statt. Gerade haben die Arbeitgeber ein Angebot | |
vorgelegt. Wieso haben Sie das nicht angenommen? | |
Benner: Was die Arbeitgeber angeboten haben, ist zu wenig, zu lang und zu | |
spät. 1,7 und 1,9 Prozent in Stufen über eine Strecke von 27 Monaten und | |
mit erster Erhöhung Mitte 2025 reicht den Leuten in unseren Betrieben | |
nicht. Da muss mehr drin sein. Das werden wir deutlich machen am | |
Verhandlungstisch – und wenn da nichts passiert, auch auf der Straße. | |
taz: Wäre es nicht besser, auf Beschäftigungssicherung zu setzen statt auf | |
Lohnerhöhungen? | |
Benner: Wir haben während Corona sehr verantwortungsvolle Abschlüsse | |
gemacht, die Lohnerhöhungen und Beschäftigungssicherung kombiniert haben. | |
Also: Wir haben einen guten Werkzeugkoffer. Den nutzen wir, um | |
Arbeitsplätze zu sichern. | |
taz: Aber wenn die Belastungen für Unternehmen zu groß werden? | |
Benner: Da gibt es passende Lösungen. Auf der Ebene einzelner Betriebe | |
lassen wir Abweichungen vom Tarifvertrag zu, wo wir sagen: Okay, wir | |
verzichten für zwei Jahre zum Beispiel auf Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld, | |
und dafür bekommen wir eine Beschäftigungssicherung für mindestens diese | |
Zeit. Da finden wir immer Wege. Wir haben auch Branchen, denen es gut geht | |
wie im Bereich der Medizintechnik und der Luftfahrt, wo richtig viel Geld | |
verdient wird. | |
taz: In den 90-er Jahren wurde bei VW die Vier-Tage-Woche eingeführt, um | |
Jobs zu sichern. Ist das jetzt auch ein Weg? | |
Benner: Wir prüfen alle Optionen, wie wir Beschäftigung sichern können. | |
Arbeitszeitverkürzung ist ein Weg. In konjunkturellen Dellen verhindern wir | |
so auch Kurzarbeit. | |
taz: Wie verträgt sich das mit dem Fachkräftemangel? | |
Benner: Mein Rat an die Arbeitgeber: Nutzt und entwickelt Modelle, um | |
Beschäftigte in schwierigen Zeiten an Bord zu halten, damit man wieder | |
hochfahren kann, wenn es besser läuft. Fachkräfte zu halten ist weniger | |
kompliziert, als sie später wieder suchen zu müssen. | |
taz: Laut VW-Management fehlen dem Konzern 5 Milliarden Euro, um | |
[2][Jobabbau und Werksschließungen] zu verhindern. Für 2023 hat Volkswagen | |
allerdings an die Aktionär:innen 4,5 Milliarden Euro ausgeschüttet, | |
offenbar mit den Stimmen der Gewerkschafter:innen im Aufsichtsrat. War | |
das ein Fehler? | |
Benner: Da muss man genau hinschauen. Über die Ausschüttung wurde Anfang | |
des Jahres entschieden. Da war VW in einer anderen Situation. Dass es | |
schwierig werden würde, war klar. Trotzdem gab es eine Investitionsplanung | |
nach vorne. Wir prüfen grundsätzlich, ob genug Geld im Unternehmen bleibt. | |
Wenn die Zukunft durch Investitionen gesichert ist, kann man auch Geld an | |
die Aktionäre ausschütten. Wir haben in vielen Unternehmen auch | |
Mitarbeiterbeteiligungen verhandelt. | |
taz: Hat das VW-Management im Bereich der Elektromobilität Fehler gemacht? | |
Benner: Wie der Betriebsrat deutlich macht, gab es mindestens Versäumnisse. | |
Volkswagen hatte eine Strategie und auch die Werke für die Produktion von | |
Elektroautos umgestellt. Jetzt mag es an den Modellen liegen, die einfach | |
nicht so gut ankommen. Aber langfristige Planbarkeit und klare Perspektiven | |
tragen wesentlich dazu bei, dass solche Strategien dann auch tragen. | |
Menschen brauchen eine klare Vorstellung, elektrisch fahren zu können. Dazu | |
gehören etwa erschwingliche Modelle, genug Ladesäulen und günstiger | |
Ladestrom. Das Thema Software Defined Vehicle, also ein Auto mit guter | |
Digitalisierung und Potenzial zum autonomen Fahren, ist eine | |
Herausforderung. | |
taz: Warum ist die Software bei VW ein Problem? | |
Benner: Das ist ein komplexes Feld. Einfach gesagt, wurden dabei zu oft | |
keine guten Entscheidungen gefällt. Die Folge ist, dass gerade chinesische | |
Wettbewerber VW beim Thema Software überholt haben. Daraus muss man lernen. | |
taz: Nicht nur VW hat Probleme, die anderen deutschen Autobauer auch. | |
Welche Verantwortung trägt die Bundesregierung dafür? | |
Benner: Die Bundesregierung hat mit ihrem [3][Hin und Her bei der Förderung | |
der Elektromobilität] viel zur gegenwärtigen Lage beigetragen. Dass die | |
Förderung für Elektroautos [4][vergangenen Dezember gestrichen wurde], war | |
ein großer Fehler. Das hat zu Einbrüchen bei den Verkaufszahlen und großer | |
Unsicherheit geführt. Wir erwarten von der Politik deshalb, dass | |
Elektromobilität wieder für mehr Menschen erschwinglich gemacht wird. Etwa | |
mit einem [5][Social-Leasing-Modell] oder günstigerem Ladestrom. Auch muss | |
die Ladeinfrastruktur weiter ausgebaut werden, für Pkw wie für Lkw. | |
taz: War es richtig, dass Kanzler Scholz auf ein deutsches Nein gedrängt | |
hat, bei der Frage um EU-Zölle auf chinesische Elektroautos? | |
Benner: Ja. Das war richtig. Die IG Metall und alle unsere Betriebsräte aus | |
der Automobilindustrie haben sich gegen Zölle ausgesprochen. Wir müssen mit | |
einer Verhandlungslösung gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen. | |
taz: 2024 ist das zweite [6][Rezessionsjahr] in Folge. Wie kann die | |
Wirtschaftskrise schnell überwunden werden? | |
Benner: Indem wir sofort Entscheidungen treffen und sagen: Wir investieren | |
in unsere Zukunft. Für uns als IG Metall sind zwei Punkte ausschlaggebend. | |
Wir brauchen dringend wettbewerbsfähige Energiepreise für die | |
energieintensiven Unternehmen. Was weg ist, ist weg. Das geht über die | |
ganze Wertschöpfungskette. Wir stehen vor der Gefahr, wichtige | |
Industriebereiche zu verlieren, vom Schraubenhersteller bis zum | |
Systemanbieter, von der Gießerei bis zum Presswerk. Jetzt stehen viele | |
Investitionsentscheidungen in Unternehmen an, die bereit sind, den | |
klimagerechten Umbau mitzugestalten. Aber wenn wir beispielsweise grünen | |
Stahl wegen der Energiekosten nicht wettbewerbsfähig produzieren können, | |
schießen wir uns ins Aus. | |
taz: Und zweitens? | |
Benner: Beherzte Investitionen in das Thema Elektromobilität auf jeder | |
Ebene. Da muss jetzt erkennbar gehandelt werden, damit auch die Industrie | |
weniger Argumente hat, die Flinte ins Korn zu werfen. Ich erwarte von der | |
Bundesregierung, dass sie sich nicht im Klein-Klein zerredet, sondern dass | |
angepackt wird, dass jetzt investiert wird, für gute Arbeit, starke | |
Wirtschaft, stabile Demokratie. | |
taz: Sind Sie als IG-Metall-Chefin zufrieden mit der Regierung? | |
Benner: Nein. Zufrieden wäre das falsche Wort. Das sage ich ganz ehrlich. | |
Aber ich sehe gerade schon einige Themen, die richtig angepackt werden. Zum | |
Beispiel das Rentenpaket II und das Thema Tariftreue. | |
taz: Beim Thema Tariftreue geht es darum, dass der Staat nur noch Aufträge | |
an Unternehmen gibt, die Tarifverträge abgeschlossen haben. | |
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will das Gesetz, aber wegen der | |
FDP kommt es nicht voran. Kommt es trotzdem noch in dieser | |
Legislaturperiode? | |
Benner: Von alleine kommt es nicht. Wir setzen uns weiterhin deutlich dafür | |
ein und reden mit Politik und Arbeitgebern, damit wir das hinbekommen. | |
Sozialpartnerschaft steht in der Pflicht, ihren Beitrag zur Stabilisierung | |
dieser Gesellschaft zu leisten. Und dazu gehören gute Einkommen durch | |
Tarifverträge. | |
taz: Der Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Siegfried | |
Russwurm, hat kürzlich angesichts der Ampelpolitik [7][von verlorenen | |
Jahren] gesprochen. Würden Sie dem zustimmen? | |
Benner: Es braucht Investitionen in unsere Bildung und öffentliche | |
Daseinsfürsorge. Es braucht Investitionen, damit keine Brücken einstürzen, | |
die Straßen keine Risse bekommen und Schulklos wieder funktionieren. Da | |
hätte viel früher gehandelt werden müssen. Da ist die Schuldenbremse eine | |
Zukunftsbremse. | |
18 Oct 2024 | |
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