# taz.de -- Handelsabkommen mit Kanada: Zu wenig staatliche Kontrolle | |
> Selbst Grüne haben für die Ratifizierung von Ceta gestimmt. Warum das | |
> problematisch ist und wie es jetzt weitergeht: eine Analyse in fünf | |
> Schritten. | |
Bild: Ungezügelter Handel, ohne Einflussmöglichkeiten für die Zivilgesellsch… | |
BERLIN taz | Lange passierte nichts, dann ging es ganz schnell. Am | |
Donnerstag hat der Bundestag das EU-kanadische Handelsabkommen Ceta | |
ratifiziert. Die Verhandlungen dazu begannen vor über 13 Jahren. Die | |
[1][Regierungsparteien] und die Unionsfraktion nahmen den Antrag an, Die | |
Linke und AfD stimmten dagegen. | |
Zu den [2][Großdemonstrationen gegen Ceta] und das Schwesterabkommen TTIP | |
mit den USA gingen 2015/2016 noch Hunderttausende auf die Straße. Darunter | |
auch viele der Grünen-Abgeordneten, die den Vertrag am Donnerstag | |
absegneten. | |
Als neues „Kapitel in der Handelspolitik“, das Klimaschutz und | |
Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stelle, feiert Grünen-Fraktionschefin | |
Katharina Dröge zu Beginn der Debatte im Bundestag das Abkommen. Die | |
Ampelregierung war sich selten so einig wie bei Ceta: Vor dem Hintergrund | |
von Pandemie, Krise in China und dem russischen Angriffskrieg, in Zeiten | |
fragiler Lieferketten und Energiekrise, brauche es mehr Handel mit | |
Demokratien, die „unsere Werte“ teilten. Darum geht es. | |
## Die Kritik: Klimaschutz und demokratische Kontrolle | |
Gewerkschaften, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen kritisieren die im | |
Investitionsschutzkapitel enthaltenen separaten Schiedsgerichte, vor denen | |
Unternehmen Staaten verklagen können. Auch die sogenannten gemeinsamen | |
Ausschüsse mit Vertreter:innen aus der EU und Kanada sehen die | |
Kritiker:innen als Gefahr, da sie sich demokratischer Kontrolle | |
entzögen und Unternehmen mehr Macht zusprächen. Diese würden dort über | |
Regulierungen, etwa zur Zulassung von Pestiziden, unterrichtet und könnten | |
sie unbemerkt verhindern. | |
Die Angst, dass Umwelt- und Verbraucherstandards auf beiden Seiten des | |
Atlantiks auf das jeweils niedrigere Level abgesenkt werden, ist weiterhin | |
groß. | |
## Der Kompromiss: Bessere Schiedsgerichte und Nachtrag | |
Um der Kritik an den Schiedsgerichten zu begegnen, schuf die Europäische | |
Kommission eine neue Instanz, das Investment Court System (ICS). Der | |
Unterschied zum Schiedsgericht, wie es etwa beim [3][Energiechartavertrag] | |
zum Einsatz kommt, ist, dass Schiedsrichter*innen von den | |
Vertragsstaaten berufen werden statt von den Streitparteien selbst. Die | |
Verhandlungen sollen öffentlich sein. Außerdem wurde eine Berufungsinstanz | |
eingeführt. | |
Um weiter Klarheit zu schaffen, initiierte die Bundesregierung zudem eine | |
Interpretationserklärung, die Richter:innen bei Entscheidungen Weisung | |
geben soll. Beispielsweise wird dort die Zielsetzung von Staaten, das | |
Pariser Klimaabkommen einzuhalten, genannt. | |
Ursprünglich hatte die Ampel angekündigt, Ceta erst ratifizieren zu wollen, | |
wenn die Interpretationserklärung vom gemeinsamen Ceta-Ausschuss der EU und | |
Kanada angenommen ist. Das ist noch nicht passiert. Sie wurde auch nicht | |
veröffentlicht. | |
Zivilorganisationen leakten eine Fassung – und kritisieren sie als | |
unzureichend. Mit ihr könne nicht verhindert werden, dass Unternehmen – wie | |
etwa beim Energiecharta-Vertrag – Staaten in Millionenhöhe verklagen, etwa | |
[4][weil deren Klimagesetzgebung ihre Investitionen gefährde]. Das haben | |
Gerichte in der Vergangenheit als „indirekte Enteignung“ ausgelegt. Die | |
Formulierung ist weiterhin in der geleakten Version vorhanden. Im | |
Koalitionsvertrag sollten nur Klagen bei „direkter Enteignung“ zugelassen | |
werden. | |
In Sachen Nachhaltigkeit heben die Grünen die Einführung der sogenannten | |
Review-Klausel hervor. Nach Ratifizierung kann durch ihre Aktivierung der | |
bereits geltende Handelsteil überarbeitet werden. | |
## Der umgesetzte Teil: massiver Zollabbau | |
Der Handelsteil des Abkommens ist bereits seit 2017 in Kraft, weil er | |
allein in den Zuständigkeitsbereich der EU fällt. Damit wurden 98 Prozent | |
der Zölle abgebaut. Noch nicht ratifiziert ist das umstrittene Kapitel zum | |
Investitionsschutz, dies muss durch die EU-Mitgliedstaaten geschehen. | |
Nachdem das Bundesverfassungsgericht im März Klagen von NGOs gegen die | |
vorläufige Anwendung von Ceta abgewiesen hatte, nahm die Debatte über die | |
endgültige Ratifizierung wieder Fahrt auf. Zum Investitionsschutz hatte | |
sich das Gericht nicht äußern wollen, da dieser Teil noch nicht ratifiziert | |
war. | |
## Der Handel mit Kanada: neue Investitionen | |
Bislang hat die Abschaffung der Zölle wenig Wirkung gezeigt: Nach | |
Informationen der Bundesregierung stand Kanada im Jahr 2021 an 36. Stelle | |
beim Wert aller Waren, die Deutschland aus Kanada importiert. Kanada ist | |
als Empfänger deutscher Waren auf Platz 27. Insgesamt belief sich der | |
Warenhandel zwischen Kanada und Deutschland auf 16,2 Milliarden Euro. | |
Aber: Kanada wird ein wichtiger Handelspartner in der Energiewende sein. | |
Bundeskanzler Olaf Scholz besuchte das Land im August mit großem Aufgebot. | |
Mit dabei [5][war Wirtschaftsminister Robert Habeck], begleitet von | |
Konzernchefs von Uniper, Siemens Energy und Volkswagen. Es ging um | |
Investitionen in Wasserstoff und einen langfristigen Aufbau von | |
Flüssiggas-Lieferungen aus Kanada. Für den Ausbau von elektrischer Energie | |
sind außerdem Rohstoffe wie Kobalt, Graphit, Lithium und Nickel relevant, | |
die für die Herstellung von Batterien benötigt werden und schon jetzt das | |
größte Handelsvolumen an Einfuhren nach Deutschland ausmachen. | |
Aber auch Symbolpolitik gen Russland dürfte eine Rolle spielen. Deutschland | |
kann mit der Ratifizierung von Ceta und der angekündigten Neuauflage des | |
US-Handelsabkommens TTIP zeigen, dass der Westen zusammenrückt. | |
## Der Ausblick: Ceta bleibt ungewiss, TTIP ist in den Startlöchern | |
Nach Deutschland müssen noch zehn weitere Länder das Handelsabkommen | |
ratifizieren. Bis jetzt steckt hier jedoch wenig Bewegung drin. Derzeit | |
sieht es nicht so aus, als würde Deutschlands Schnelldurchgang bei der | |
Ratifizierung anderen Ländern Tempo machen. Irlands Oberster Gerichtshof | |
entschied jüngst, dass die in Ceta vorgesehenen Schiedsgerichte nicht mit | |
der irischen Verfassung konform seien. | |
Als Nächstes will die Bundesregierung Verhandlungen mit den USA zu einer | |
[6][Neuauflage des Handelsabkommens TTIP] vorantreiben. Auch Mercosur sowie | |
Abkommen mit Mexiko und Chile stehen auf der Agenda. Scholz hat | |
angekündigt, künftig Wege zu erproben, um nationale Abstimmungen zu | |
vermeiden. Der Investitionsschutz könnte in separaten Abkommen verhandelt | |
werden. Deutschland und die EU wollen zumindest daran festhalten. Die | |
Bundesregierung sieht Ceta als „Maßstab“ für zukünftige Handelsabkommen. | |
1 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Staatssekretaerin-Brantner-zu-Ceta/!5894002 | |
[2] /Wirtschaftsabkommen-EUKanada/!5895073 | |
[3] /Umstrittener-Vertrag-ueber-Energiecharta/!5893975 | |
[4] /Rechtsgutachten-prueft-Ceta-Erklaerung/!5882548 | |
[5] /Unfairer-Welthandel/!5858252 | |
[6] /EU-und-USA-planen-TTIP-light/!5800502 | |
## AUTOREN | |
Leila van Rinsum | |
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