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# taz.de -- Umstrittener Vertrag über Energiecharta: Wertebasierter Handel, ab…
> Deutschlands ECT-Ausstieg reicht nicht aus. Für eine ethische
> Handelspolitik sollten die Klagerechte von Unternehmen gestutzt werden.
Bild: Was genau meint Wirtschaftsminister Robert Habeck, wenn er die Handelspol…
Nach Italien, den Niederlanden und Spanien hat nun auch Deutschland
angekündigt, [1][aus dem umstrittenen Energiecharta-Vertrag (ECT)
auszusteigen]. Der Vertrag wurde in den 1990er Jahren unterzeichnet, um
westlichen Unternehmen Investitionsschutz in den ehemaligen Sowjetstaaten
zu bieten. Heute wird er jedoch überwiegend von europäischen Unternehmen
genutzt, [2][um europäische Staaten zu verklagen, wenn sie das Klima
schützen.]
Italien verabschiedete sich als erstes Land 2016 aus dem ECT, doch aufgrund
einer 20 Jahre währenden Nachhaftung („sunset clause“) klagte das britische
Ölunternehmen Rockhopper 2017 gegen das Verbot der Öl- und Gasförderung in
Küstennähe und macht aktuell „entgangene Gewinne“ in der Höhe von 275
Millionen US-Dollar geltend. Eine ähnliche Nachhaftung droht auch allen
jetzt Ausstiegswilligen – es sei denn, es gelingt ihnen oder der EU eine
Neuverhandlung des Vertrags ohne ISDS. ISDS – direkte Klagerechte von
multinationalen Unternehmen gegen Staaten – sind nicht nur im ECT
enthalten, sondern laut Unctad – der Konferenz der Vereinten Nationen für
Handel und Entwicklung – in 95 Prozent der weltweit 2.584 bestehenden
internationalen Investitionsabkommen. [3][Konzerne können klagen, wenn ihre
Fabriken beschlagnahmt werden, aber auch wenn sie sich „unfair behandelt“
fühlen oder „indirekt“ enteignet.]
Das kann alles und jedes sein: Atomausstieg, Umweltschutz, Anhebung von
Mindestlöhnen, die Förderung der Schwarzen Bevölkerung in Südafrika oder
die Nichtgewährung von Pharmapatenten. Eine Studie aus Kanada hat gezeigt,
dass bis 2010 40 Prozent der Investitionsstreitigkeiten gegen demokratische
Gesetze gerichtet waren. Von den abgeschlossenen Verfahren wurden bisher 37
Prozent von Staaten und 28,5 Prozent von Unternehmen gewonnen; 19,5 Prozent
endeten mit einem Vergleich – was bedeutet, dass die Unternehmen in fast 50
Prozent der Fälle mit ihrer Klage zumindest etwas erreicht haben.
In den günstigsten Fällen erhielten sie Entschädigungen in Milliardenhöhe
aus Steuermitteln. Die Gesamtzahl der Klagen ist seit Mitte der 1990er
Jahre auf 1.190 angewachsen. Es ist bedenklich, welche Paralleljustiz hier
ohne nennenswerte öffentliche Debatte entstanden ist.
## Option: Globaler Gerichtshof für Menschenrechte
Eine alternative Entwicklung des Völkerrechts wäre, dass zuerst die Rechte
von Menschen („natürlichen Personen“) abgesichert werden, bevor die Rechte
von Unternehmen („juristische Personen“) bedient werden. Drei
Völkerrechtsexperten um den ehemaligen österreichischen
UN-Sonderbeauftragten Manfred Nowak haben ein Statut für einen globalen
Gerichtshof für Menschenrechte (Global Court of Human Rights)
ausgearbeitet. Dieser würde auf der Grundlage von 21 Menschenrechtsabkommen
arbeiten und Betroffenen ein faires Verfahren ermöglichen und Entschädigung
zusprechen – nicht nur von Staaten, sondern auch von multinationale
Unternehmen.
Ein solch überfälliges Element einer Global Governance findet sich jedoch
nicht auf der Agenda der EU. Stattdessen möchte sie den Konzernen einen
Multilateralen Investment Court (MIC) bereitstellen, der zwar die
wichtigsten Verfahrensmängel der gegenwärtigen Investitionsschiedsgerichte
beseitigen, jedoch nichts an der grundlegenden Schieflage, dass nur
Konzerne klagen dürfen, aber nicht Menschen, beheben würde. Man stelle sich
vor, was passieren würde, wenn Menschen vor einem internationalen Gericht
auf „unfaire Behandlung“ durch multinationale Unternehmen oder „indirekte
Verletzung“ ihrer Menschenrechte klagen könnten. Diese Analogie zeigt, in
welche Schieflage das Völkerrecht geraten ist.
Vor diesem Hintergrund ist der Austritt Deutschlands aus dem
Energiecharta-Vertrag zwar ein Schritt in die richtige Richtung, doch die
Tatsache, dass die Bundesregierung gleichzeitig bei Ceta, das
Konzernklagerechte enthält, aufs Gaspedal tritt und Abkommen mit Mexiko,
Chile und Indien anstrebt, lässt den ECT-Austritt eher als Feigenblatt
erscheinen. Was genau Wirtschaftsminister Robert Habeck meint, wenn er die
Handelspolitik „neu aufstellen“ und „wertebasiert“ ausrichten möchte, …
nicht erkennbar.
## Ethischer Welthandel: So könnte es gehen
Hier ist ein Vorschlag für eine substanzielle Neuausrichtung der
Handelspolitik: Als Alternative zu blindem Freihandel (mehr Handel ist
immer besser) und Protektionismus (derzeit die einzig diskutierte
Alternative) könnte ein ethischer Welthandel ein neues Paradigma begründen.
Handel wird darin zum Mittel, das den eigentlichen Zielen dient:
Menschenrechte, Klima- und Umweltschutz, sozialer Zusammenhalt,
Verteilungsgerechtigkeit, Demokratie und Frieden. Einklagbar wären forthin
die Ziele, nicht mehr die Mittel. Statt das Handels- und Investitionsrecht
außerhalb der UNO (WTO, bilaterale und multilaterale Abkommen) anzusiedeln,
könnten die zukünftigen Spielregeln in einer „United Nations Ethical Trade
Zone“, einer ethisch grundierten Handelszone der UN, verankert werden.
Länder, die sich den Abkommen und Gerichten zum Schutz des Klimas, der
Artenvielfalt, der Menschen- und Arbeitsrechte oder der kulturellen
Vielfalt unterwerfen, könnten sich mit ethischen Zöllen vor denen, die
nicht kooperieren, schützen. Unter dieser Prämisse könnte jedes Land so
offen oder geschützt sein, wie es will (echter „Freihandel“). Alle Länder
wären frei, Investitionen zu ihren Gunsten zu regulieren. Ländern mit
niedrigeren Einkommen sollten strukturelle Vorteile angeboten werden, wie
die Erlaubnis zur Nutzung geistigen Eigentums. Weiterentwickelt würde auch
die Global Governance: von einer globalen Fusionskontrolle und einer
Finanzaufsicht bis hin zum schon erwähnten Gerichtshof für die
Menschenrechte. Angesichts der drängenden ökologischen und sozialen
Probleme ist es an der Zeit, die Ansage, die Handelspolitik „wertebasiert
neu aufzustellen“, mit Leben zu füllen.
27 Nov 2022
## LINKS
[1] /Umstrittener-Investitionsschutzvertrag/!5892002
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## AUTOREN
christian Felber
Christian Felber
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