| # taz.de -- Hamburger Wintershall-Streit: Opfer sollen selbst verhandeln | |
| > Hamburg will keinen Beschluss über den Einzug der NS-belasteten Firma | |
| > Wintershall ins Gebäude eines Dokumentationsorts. Sondern nur eine | |
| > Mediation. | |
| Bild: Vielleicht bald Nachbar von Wintershall: Gedenkort Hannoverscher Bahnhof | |
| Hamburg taz | Ob es auf Initiative des Senats oder des Investors geschah, | |
| ist unklar, aber das Resultat ist dasselbe: Erneut wurden Hamburgs | |
| Opferverbände im Winterhall-Streit vor vollendete Tatsachen gestellt. Die | |
| Rede ist von der seit Februar schwelenden Debatte darüber, ob die | |
| NS-belastete Firma Wintershall Dea in das Gebäude des geplanten | |
| NS-Dokumentationszentrums [1][Hannoverscher Bahnhof] in der Hafencity | |
| ziehen soll. Denn das hieße, Hinterbliebene der 8.000 von dort deportierten | |
| Juden, [2][Sinti und Roma] ausgerechnet beim Gedenkstättenbesuch mit jenem | |
| Konzern zu konfrontieren, der stark vom NS-Regime profitierte und etliche | |
| ZwangsarbeiterInnen beschäftigte. | |
| Darüber hätte der Investor und Vermieter Harm Müller-Spreer die | |
| Opferverbände – die jüdischen Gemeinden, die Rom- und Cinti-Union, den | |
| Landesverband der Sinti, das Auschwitz Komitee und die Stiftung Hamburger | |
| Gedenkstätten – eigentlich im Vorfeld befragen müssen. Es unterblieb, und | |
| die Vermietung an Wintershall Dea wurde erst im Nachhinein durch | |
| Medienberichte publik. | |
| Dabei ist der Investor laut [3][Dauernutzungsvertrag] zwischen ihm und der | |
| Stadt erpflichtet, das Gebäude „nicht selbst oder durch Dritte in einer | |
| Weise zu nutzen …, die in der öffentlichen Wahrnehmung und insbesondere in | |
| der Wahrnehmung der Opfer des Nationalsozialismus … im Konflikt mit dem | |
| Zweck des Dokumentationszentrums steht oder der Ausstrahlung eines | |
| Gedenkortes abträglich ist.“ | |
| Müller-Spreer glaubt das dadurch abgegolten zu haben, dass Wintershall die | |
| eigene NS-Geschichte 2019 und 2020 aufgearbeitet hat. Die Opferverbände | |
| fühlen sich übergangen, wollen diesen Nachbarn nicht akzeptieren. Und da | |
| der Vertrag vorsieht, dass bei derlei Meinungsverschiedenheiten „auf | |
| Anrufung einer der Parteien der Präsident des Hamburgischen | |
| Verfassungsgerichts verbindlich über das Vorliegen eines Verstoßes | |
| entscheidet“, beschlossen die Opferverbände, die Präsidentin des Hamburger | |
| Verfassungsgerichts anzurufen. Wochenlang berichteten Medien daraufhin | |
| unwidersprochen vom laufenden „Schlichtungsverfahren“. | |
| ## Aus der Schlichtung eine Mediation gemacht | |
| Doch nun, bei erneuter Recherche, zeigt sich, dass die Kulturbehörde Birgit | |
| Voßkühler, Präsidentin des Hamburgischen Verfassungsgerichts, nie als | |
| Schlichterin anfragte, sondern lediglich als Mediatorin. Wer diese Änderung | |
| veranlasste, bei der sich die Vertragsparteien über ihre eigene | |
| Vereinbarung hinwegsetzten, will keiner der Beteiligten preisgeben. | |
| Dabei ist es eine wichtige Weichenstellung: Während eine Schlichterin einen | |
| verbindlichen Spruch fällt, bedeutet eine Mediation eine numerisch und | |
| zeitlich nicht begrenzte Reihe von Gesprächen. „Ziel einer Mediation ist | |
| nicht eine Entscheidung, sondern ein Weg aus dem Konflikt“, sagt Birgit | |
| Voßkühler. | |
| Den Beginn einer – laut Definition freiwilligen und einvernehmlichen – | |
| Mediation markiert das Abfragen der Bedürfnisse der Beteiligten. Aber | |
| erstens sind deren Haltungen seit Monaten öffentlich bekannt. Zweitens kann | |
| von Freiwilligkeit keine Rede sein, da Kulturbehörde und Investor ohne | |
| Rücksprache beschlossen, dass sich die Opferverbände dem | |
| Mediationsverfahren aussetzen müssen, um mit Investor und Wintershall Dea | |
| über eine Lösung zu verhandeln. | |
| Doch während die jüdischen Gemeinden, die Rom und Cinti Union, die Stiftung | |
| Gedenkstätten sowie – obwohl am Konflikt nicht beteiligt – | |
| Stolperstein-Initiator Peter Hess sich fügten und am ersten Gespräch am 5. | |
| Mai teilnahmen, blieben der Landesverband der Sinti sowie das Auschwitz | |
| Komitee fern. | |
| „Wir wurden über die Planung eines Mediationsverfahrens informiert, das | |
| aber als Versuch einer Lösung des Problems vor einem (möglichen) | |
| Schiedsverfahren stattfinden sollte, also ein Weg zur Entscheidungsfindung | |
| ist“, sagt Helga Obens vom Auschwitz Komitee. „Wir sind nicht | |
| Vertragsparteien, also werden wir an den Gesprächen nicht teilnehmen.“ Man | |
| werde sich nicht „an Weißwäscherei beteiligen“. | |
| ## Jede Lösung ein Gesichtsverlust | |
| Der Verdacht des Reinwaschens könnte in der Tat ein Thema werden. Denn | |
| vermutlich wird Wintershall verschiedene Kompensationsvorschläge machen, | |
| einen Eingang an anderer Stelle oder einen weiteren Gedenkort vielleicht. | |
| „Das Ganze ist ambivalent. Es wird immer so aussehen, als wolle sich | |
| Wintershall freikaufen“, sagt ein Insider. „Und falls die Opferverbände | |
| zustimmen, wird es wirken, als hätten sie sich kaufen lassen.“ Ohne | |
| Gesichtsverlust komme da niemand heraus – es sei denn, Wintershall Dea zöge | |
| sich aufgrund des öffentlichen Drucks von selbst zurück. | |
| Aber der Mietvertrag ist geschlossen, vielleicht würden Vertragsstrafen | |
| fällig, und außerdem setzt Hamburgs Senat auf Investoren wie Müller-Spreer. | |
| Er finanziert ja das Gebäude, in dem das Dokumentationszentrum residieren | |
| soll und für dessen Neubau Hamburg nicht aufkommen wollte. Dazu passt, dass | |
| die Stiftung Gedenkstätten, die das Dokumentationszentrum betreiben wird, | |
| kein Mitspracherecht hat. Denn sie ist seit 2020 [4][nicht mehr Teil der | |
| Kulturbehörde] und somit nicht einmal Mit-Vertragspartnerin. | |
| Bleibt die Frage, was passiert, wenn sich die Mediation hinzieht. | |
| Wintershall will im Sommer 2022 einziehen, das Dokumentationszentrum 2023. | |
| Winterhall hat bestätigt, dass die Umzugsvorbereitungen weitergehen. Da der | |
| bisherige Firmensitz in der City Nord verkauft sei, „blieben Auszug und | |
| Umzug für uns, unabhängig von dem derzeitigen Mediationsverfahren, ein ganz | |
| grundsätzliches Thema“, schreibt der Pressesprecher. | |
| Man wird also Fakten schaffen. Es sei denn, Bauherr Müller-Spreer nimmt | |
| sich zu Herzen, was die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano kürzlich zu | |
| ihm sagte: „Wir werden uns nicht damit abfinden! Sie haben die Möglichkeit, | |
| Sie können das ändern. Sie müssen das ändern.“ | |
| 12 May 2021 | |
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| [1] /NS-Gedenkort-in-Hafen-City-teileroeffnet/!5327763 | |
| [2] /Gedenkort-fuer-Sinti-und-Roma/!5404427 | |
| [3] http://daten.transparenz.hamburg.de/Dataport.HmbTG.ZS.Webservice.GetRessour… | |
| [4] /Gedenkstaette-Neuengamme-wird-Stiftung/!5650437 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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