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# taz.de -- Ende Gelände im Norden: Gegen Klimasünder abhängen
> Aktivist*innen von Ende Gelände kommen zum ersten Mal nach
> Norddeutschland. Sie protestieren gegen das geplante Erdgas-Terminal in
> Brunsbüttel.
Bild: Protest steht Kopf: Der Bauplatz des Erdgas-Terminals in Brunsbüttel wir…
Hamburg taz | Die Klimakrise ist global, ihre Brandbeschleuniger sind oft
multinationale Konzerne, deren Wertschöpfungsketten sich über die ganze
Welt ziehen. Wo soll man also anfangen, wenn man gegen sie protestiert?
Überall – zuallererst aber an den Standorten des globalen Nordens. Hier
sind meistens die Firmenzentralen, hier sitzen die CEOs, hier wird die
Ausbeutung des globalen Südens vorangetrieben. Klar ist auch, dass man
nicht nur die Konzerne adressieren sollte, die ja meistens lediglich den
gesetzlichen Rahmen ausschöpfen, den die Regierungen versäumen vernünftig
zu setzen.
Jahrelang haben die Aktivist*innen mit den weißen Maleranzügen von Ende
Gelände die Kohleindustrie in den Fokus genommen – meistens im Rheinland,
ein paar Mal in der Lausitz. Ende Juli kommen sie erstmalig nach
Norddeutschland. Sie protestieren vom 29. Juli bis 2. August gegen das
geplante LNG-Importterminal im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel. LNG
steht für Flüssigerdgas. Es wird als Schiffstreibstoff genutzt, aber auch
in der Energieversorgung oder für Erdgaslaster. Kritiker*innen sehen
darin jedoch keine grünere Brückentechnologie.
„Das sture ‚Weiter so‘ in Richtung fossiler Infrastruktur ist katastropha…
Genau wie Kohle ist Gas ein Brandbeschleuniger der Klimakrise, denn
zusätzlich zum CO2 wird bei Abbau und Transport auch das noch schädlichere
Methan freigesetzt“, heißt es in dem Aufruf von Ende Gelände. Massenhaften
zivilen Ungehorsam solle es in Brunsbüttel geben. Gut so, herzlich
willkommen! Und wo die Aktivist*innen schon mal da sind: Hier im Norden
gibt es viele lohnenswerte Ziele.
Zum einen wären da diverse Reedereien, allen voran die Anbieter*innen
von Kreuzfahrten. Zwar bekennen sich fast alle zu den Pariser Klimazielen,
aber der Umbau zu einer emissionsfreien Flotte geht nur schleichend voran.
Auch würde das das Problem nur teilweise beheben, schließlich bringen die
schwimmenden [1][Horte des Massentourismus ganze Städte zum kollabieren].
## Die Wurzel des Übels
Schon die Wurzel dieses Übels liegt in Norddeutschland: 1891 stach das
erste Vergnügungsschiff der Hamburg-Amerikanischen
Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, kurz Hapag, in Cuxhaven Richtung „Orient“
in See. An Bord war auch der Direktor Albert Ballin, Erfinder der
Kreuzfahrt. Hapag Lloyd geht es heute immer noch blendend: Das Unternehmen,
das in Premiumlage am Hamburger Ballindamm residiert, verzeichnete im
ersten Quartal 2021 einen operativen Gewinn von 1,3 Milliarden Euro und
übertraf damit das Vorjahresquartal und die Vorkrisenzeit deutlich.
Grund dafür ist die erhöhte Nachfrage während der Pandemie und der niedrige
Treibstoffpreis. Wobei der ja nicht wirklich niedrig ist, wenn man die
Klimafolgen einrechnet, nur muss eben Hapag Lloyd die nicht bezahlen,
sondern die Allgemeinheit.
Wendet man den Blick vom Wasser auf das norddeutsche Land, wird es nicht
sauberer. In Niedersachsen etwa müffelt es ganz schön [2][nach
Massentierhaltung und industrieller Landwirtschaft.] Letztere ist global
betrachtet für ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Urwaldrodungen für den Anbau von Futter, intensive Tierhaltung und die
Vergiftung von Böden durch Mineraldünger führen zu einem extremen Anstieg
von Methan, Lachgas und CO2 in der Atmosphäre. Jedes dritte deutsche
Schwein wird in Niedersachsen gemästet.
Die PHW-Gruppe, die nur den Verwaltungssitz in Niedersachsen hat und den
Geschäftssitz in der Steueroase Liechtenstein, schlachtet pro Woche 4,5
Millionen Hähnchen. Der Lobbyorganisation Landvolk, die sich mit
Unterstützung der CDU unermüdlich für Massentierhaltung einsetzt, könnte
man auch mal einen Besuch abstatten.
Und wenn es um Erdgasförderung gehen soll, muss man gar nicht nach Übersee
gucken, sondern wird schon in Rotenburg/Wümme und dem nahen Vechta fündig.
Hier bebt seit Jahren die Erde. Dabei ist diese Region in Niedersachsen
eigentlich kein Erdbebengebiet. Im vergangenen Jahrtausend gab es hier gar
keine Erdbeben. Zwischen 1977 und Ende 2019 wurden dann insgesamt 40
„seismische Ereignisse“ registriert, alle im Umfeld der Erdgasförderung.
## Öl aus dem Weltnaturerbe
Neben Gas- heizen auch Ölbohrungen im Norden den Klimawandel an, zum
Beispiel vor der Insel Friedrichskoog. Dort fördert Wintershall Dea etwa
1,1 Millionen Tonnen Öl pro Jahr und will das noch bis mindestens 2041 tun
– im Weltnaturerbegebiet Wattenmeer.
Wer sich also im Norden nach geeigneten Adressat*innen für Klimaprotest
umguckt, wird schnell gar nicht mehr wissen, wo er*sie aufhören soll – und
kann sich dem lokalen Protest anschließen. Eines sei aber noch genannt:
Volkswagen, das größte in Norddeutschland ansässige Unternehmen, produziert
pro Jahr so viele Autos mit Verbrennungsmotoren, dass die von ihnen über
ihre Lebensdauer emittierten Treibhausgase [3][die jährlichen Emissionen
Australiens übersteigen].
Von daher: Es gibt viel zu tun. Sowohl die Politik als auch die
Fleischesser*innen, Kreuzfahrer*innen und Vielflieger*innen
brauchen den Druck von der Straße. Höchste Zeit, ein paar Gänge
hochzuschalten.
Mehr zu Flüssigerdgas und den Protesten lesen Sie im Themenschwerpunkt der
Nordausgabe in der gedruckten taz am Wochenende oder [4][hier]
23 Jul 2021
## LINKS
[1] /Trinkwassersorgen-in-Niedersachsen/!5463169
[2] /Reform-der-Tierhaltung-in-Niedersachsen/!5755670
[3] https://www.greenpeace.de/themen/energiewende/mobilitaet/vw-von-wegen-klima…
[4] /!114771/
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Massentierhaltung
Schwerpunkt Klimawandel
Fracking
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Vechta
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Holocaust
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