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# taz.de -- Ökonom über Vorstoß von Supermarktketten: „Aldi will mit Tiers…
> Mehrere Handelsketten wollen Fleisch aus sehr engen Ställen auslisten.
> Sie reagieren auf Wünsche der Verbraucher, sagt Ökonom Achim Spiller.
Bild: Bisher eher die Ausnahme: Freilandbioschweine
taz: Herr Spiller, Aldi hat angekündigt, ab 2030 Frischfleisch nur noch zu
verkaufen, wenn die Tiere [1][Zugang zum Außenklima oder Auslauf] haben.
Auch Lidl, Kaufland und Rewe wollen in wenigen Jahren Frischfleisch
auslisten, das nur nach dem gesetzlichen Mindeststandard erzeugt wurde,
also etwa in sehr engen Ställen. Warum machen die das?
Achim Spiller: Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass [2][Tierschutz] bei
den VerbraucherInnen ganz oben auf der Wunschliste steht. Sie haben sehr
große Bedenken gegenüber der heutigen Tierhaltung. Da ist es für ein
Handelsunternehmen naheliegend, dass man sich darüber positionieren will.
Und in der Gesellschaft hat sich auch einiges entwickelt in den vergangenen
Jahren.
Als wir 2015 im wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik beim
Bundeslandwirtschaftsministerium empfahlen, allen Tieren zum Beispiel
Kontakt nach draußen zu gewähren, wären wir fast „zerfleischt“ worden. D…
ist jetzt anders. Die Vorschläge der Kommission unter Leitung des
ehemaligen Agrarministers Jochen Borchert für mehr Tierwohl vor gut einem
Jahr haben das gepusht, so dass im Handel die Erkenntnis gereift ist: Man
muss das Sortiment deutlich verändern. Aldi will sich mit Tierschutz
profilieren und Ruhe in diese wichtige Warengruppe bringen.
Allein bei Frischfleisch hat Aldi einen [3][Marktanteil von 12 Prozent] und
ist Trendsetter in der Branche. Wird die Tierhaltung in Deutschland also
bald gut genug sein?
In unseren Studien, für die wir VerbraucherInnen befragt haben, sehen wir,
dass Freilandsysteme durchweg akzeptiert werden – zum Beispiel die Haltung
von Kühen auf der Weide. Wenn die Tiere zwar Zugang zur frischen Luft
haben, aber immer im Stall stehen, ist die Zustimmung schon geringer, aber
immer noch deutlich besser als bei den heutigen geschlossenen Ställen ohne
Licht und Luft.
Und es gibt noch mehr Themen: Die Verbraucher haben zum Beispiel bisher
kaum auf dem Schirm, dass Kälber sehr früh von der Mutterkuh getrennt
werden. Aber wenn man das erklärt, und zwar möglichst neutral mit Pro- und
Contraargumenten, dann finden wir in einer Studie eine deutliche Ablehnung
dieser gängigen Praxis in der Milchviehhaltung. Das Mensch-Tier-Verhältnis
verändert sich schon grundlegend.
Was fehlt noch?
Wir brauchen auch einen deutlich verringerten Medikamenteneinsatz. Nötig
sind ebenfalls strukturierte Funktionsbereiche in den Ställen, also
getrennte Schlaf-, Fress- und Kotplätze für alle Tiere. Den Kastenstand in
der Sauenhaltung kann man den Bürgern auch nicht erklären. Das wird als
Käfig gesehen und auch entsprechend abgelehnt. Auch wenn man versucht, den
Kastenstand mit Argumenten der Landwirtschaft zu erklären, zum Beispiel mit
Arbeitsplatzsicherheit, wird das von den Bürgern nicht akzeptiert.
Die Ankündigungen des Handels beziehen sich nur auf Frischfleisch. Wie hoch
ist der Anteil der Tiefkühlware?
Die Tiefkühlware ist ein kleines Segment. Verarbeitungsprodukte wie Wurst
sind entscheidend. Aldi denkt darüber nach, diese einzubeziehen. Die Kette
verzichtet ja schon [4][seit 2004] auf Schaleneier aus Käfighaltung, aber
zunächst nicht für Eier in Verarbeitungsware wie Nudeln. Das hat immer
wieder zu Diskussionen geführt. Es ist sehr wichtig, dass Aldi diesen
Fehler nicht noch einmal macht. Derzeit geht rund ein Drittel der deutschen
Tierhaltung in Verarbeitungsware.
Brauchen wir jetzt noch staatliche Maßnahmen für mehr Tierwohl?
Das lässt sich noch nicht abschätzen. Nachdem Aldi Eier aus Käfighaltung
ausgelistet hatte, zogen die anderen Händler nach und dann auch der
Gesetzgeber. Deshalb könnte man davon ausgehen, dass der Markt das Problem
allein löst.
Dagegen sprechen die hohen Unsicherheiten: Wird die Landwirtschaft das in
dem kurzen Zeitraum überhaupt umsetzen können? Bekommen die Landwirte die
neuen Ställe auch genehmigt? Werden sie sich trauen, allein auf die
Ankündigungen von Aldi und Rewe viel Geld in neue Ställe zu investieren?
Nach der Bundestagswahl sollten Politik, Lebensmitteleinzelhandel,
Landwirte und Tierschützer sich zu einem großen Branchentreffen
zusammenfinden, um diese Fragen zu klären. Ohne eine politische Begleitung
wird es aber letztlich nicht gehen.
Können die Handelskonzerne überhaupt genug Fleisch aus den höheren
Haltungsstufen beschaffen?
Nur wenn die Politik insofern mitzieht, dass die genehmigungsrechtlichen
Möglichkeiten zu Stallum- und -neubauten ein Stückchen verbessert werden.
Sinnvoll wäre auf jeden Fall auch eine zusätzliche Investitionsförderung.
Natürlich müssen der Handel und die Fleischindustrie den Landwirten
langfristige Verträge mit entsprechenden Preisaufschlägen bieten. Die
Tierhaltung bis 2030 in der Breite umzustellen, ist schon sehr
ambitioniert, da es sehr lange dauert, eine Genehmigung für Stallbauten zu
bekommen.
Werden die VerbraucherInnen am Ende mehr bezahlen fürs Fleisch?
Am Schluss müssen die Verbraucher den Tierschutz bezahlen. Die
Landwirtschaft kann das nicht. In den Schweine-, Rinder- oder
Geflügelpreisen ist schon jetzt nicht großartig Luft. Die Frage ist, ob der
Handel die Preise erhöht oder der Staat die Mehrkosten über eine
Tierwohlabgabe von beispielsweise 40 Cent pro Kilogramm Schweinefleisch
erhebt und an die Landwirte weitergibt. Wenn Tierwohlfleisch aus der Nische
herauskommt, könnten die Mehrkosten begrenzt sein. Als die Käfigeier
ausgelistet wurden, war der Preisunterschied auch viel kleiner als gedacht.
Bodenhaltung war nur 1 Cent pro Ei teurer als Käfighaltung.
Werden Bauern aufgeben müssen?
Wahrscheinlich in den Intensivregionen wie Niedersachsen oder
Nordrhein-Westfalen. Wo wir sehr hohe Tierhaltungsdichten und AnwohnerInnen
in der Nähe haben, werden wegen der Geruchsbelästigung wohl nicht so viele
offene Ställe genehmigt werden. Das wird auch zu einer räumlichen
Entzerrung beitragen. Es gibt aber auch noch andere Impulse, dass wir 2030
etwas weniger Tiere haben werden: Klimaschutz, der steigende Anteil von
Vegetariern. Die höheren Preise würden zudem auch 3 oder 4 Prozent der
Nachfrage kosten.
Wird mehr importiert werden?
Das hängt sehr stark davon ab, ob der Handel eben auch Verarbeitungsware
einbezieht und der Außer-Haus-Markt mitzieht, also zum Beispiel McDonald's
& Co oder auch Kantinen. Wenn nicht, dann droht da ein Anstieg der
Dumpingimporte. Mehr Tierwohl ist aber auch eine Exportchance für deutsches
Fleisch, weil die Bevölkerung in anderen Regionen und Ländern so anders
beim Tierwohl gar nicht denkt. In Nordwesteuropa sowieso, aber auch in
Südeuropa ist in Studien zu erkennen, dass sich das Mensch-Tier-Verhältnis
wandelt.
13 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.aldi-sued.de/de/newsroom/pressemitteilungen/verantwortung/2021/…
[2] /Tierschutz/!t5008147
[3] https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/interview-mit-aldi-man…
[4] https://www.aldi-nord.de/unternehmen/verantwortung/lieferkette-food/tierwoh…
## AUTOREN
Jost Maurin
## TAGS
Landwirtschaft
Tierschutz
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Aldi
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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Julia Klöckner
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