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# taz.de -- Frankreichs Strategie für die Sahelzone: Nichts wie weg hier
> Nach 8 Jahren „Krieg gegen den Terror“ beginnt Frankreich den Rückzug aus
> der Sahelzone. Die islamistischen Gruppen dort sind stärker denn je.
Bild: Noch da: Auch nach dem Ende des französischen Anti-Terror-Einsatzes soll…
Brüssel taz | Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat eine neue Strategie
[1][im Kampf gegen den Terror] in der afrikanischen Sahelzone: Rückzug. Die
französische Antiterroroperation Barkhane, die seit 2014 in Mali, Niger und
Burkina Faso islamistische Terrorgruppen bekämpft und erst vor anderthalb
Jahren auf 5.100 Soldaten aufgestockt wurde, wird bis 2023 halbiert.
Entsprechende [2][Ankündigungen Macrons im Juni] wurden am 9. Juli auf
einem Sahel-Gipfel in Paris weiter präzisiert. Frankreich wird bis
Jahresende seine Militärbasen in Kidal, Timbuktu und Tessalit im Norden
Malis schließen und der [3][UN-Mission in Mali (Minusma)] übergeben, die
anders als die französische Eingreiftruppe keinen Kampfeinsatz führt.
Das Echo in Frankreich darauf ist einhellig. Von einer „späten Einsicht in
das Scheitern“ spricht die rechte französische Wochenzeitung Marianne, und
das satirische Enthüllungsblatt Le Canard Enchaîné teilt diese Meinung und
zitiert Diplomatenäußerungen über einen „unmöglich zu gewinnenden Krieg�…
Der Vizepräsident des französischen Senats, der Kommunist Pierre Laurent,
zieht über Barkhane eine bittere Bilanz – 51 tote französische Soldaten und
zehn Milliarden Euro Kosten, aber die Terrorgruppen seien mindestens
genauso stark wie am Anfang: „Trotz einiger taktischer Erfolge ist die
Strategie in einer Sackgasse gelandet.“
Die linke Oppositionspartei LFI (La France Insoumise) von Jean-Luc
Mélenchon verlangt einen Totalrückzug und eine Einbeziehung des Parlaments.
Der konservative Präsident des Verteidigungsausschusses im Senat, Christian
Cambon, findet: „Es ist nicht Frankreichs Aufgabe, auf ewig in Mali zu
bleiben.“
## Mit der Waffe nicht zu besiegen
Französische Militärexperten sehen den Einsatz schon länger kritisch.
Oberleutnant Louis Saillans, Autor eines Buches mit dem Titel „Chef de
guerre“ (Kriegsherr), schreibt: „Ich bin froh, dagewesen zu sein, und wenn
es wiederholt werden müsste, wäre ich dabei“ – um hinzuzufügen: „Jetzt
frage ich: Wieso gewinnen wir den Krieg nicht?“
Für diesen Offizier wie auch für andere, die sich nicht öffentlich äußern,
ist das Problem vor allem politisch. „Wenn wir Schlachten gewinnen, aber
der Feind immer stärker wird, ist Waffengewalt vielleicht nicht
ausreichend“, schreibt Saillans. Die dschihadistische Ideologie ziehe auch
„intellektuell stabile“ Menschen an. Ein anderer, der in Afghanistan und
Mali gedient hat und sein Buch „Traquer la terreur“ (Terrorjagd) nur als
„Kommandant Vincent“ signiert, kommt zum Schluss, dass kein solcher
Aufstand allein mit der Waffe besiegt werden kann.
„Wir sind unfähig, die Dschihadisten zu zerstören“, ließ sich bereits im
April ein General im Canard Enchaîné anonym zitieren: „Wir sind dazu
verurteilt zu bleiben. Sieg ist unmöglich, Abzug ist unmöglich.“ Diesem
Urteil wollte sich Macron nicht beugen. So kommt jetzt der Abzug, zumindest
der Teilabzug, und man merkt, dass es in der Armee darüber Unmut gibt.
Frankreichs Generalstabschef François Lecointre verkündete kurz nach
Macrons Abzugsankündigung seinen bevorstehenden Rücktritt. Es heißt, er
komme mit Macrons Stil nicht klar: erst lange zögern, dann alleine
entscheiden, ohne seine Generäle oder den im Sahel sehr erfahrenen
Außenminister und früheren Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian zu
konsultieren.
Erst im April hatte Lecointre geschrieben, dass der Krieg im Sahel noch ein
Jahrzehnt dauern könnte. Das war aber als Warnung gedacht. Antoine Glaser,
langjähriger Spezialist der französischen Afrikapolitik und Ko-Autor das
Buches „Le piège africain de Macron“ (Macrons Afrika-Falle), stellt fest,
dass die [4][USA in Afghanistan gescheitert sind], obwohl sie 100.000
Soldaten auf 600.000 Quadratkilometern im Einsatz hatten – und Frankreich
denkt, in Afrika mit 5.000 Soldaten auf 5 Millionen Quadratkilometern etwas
bewirken zu können.
## Spannungen zwischen Mali und Frankreich
Ein unmittelbarer politischer Faktor ist die zunehmende Unstimmigkeit
zwischen Frankreich und den [5][Regierungen von Mali] und [6][Burkina
Faso]. In beiden Ländern führen Politiker Verhandlungen mit denselben
Dschihadisten, die von Frankreich militärisch bekämpft werden. Den lokalen
Politikern geht es um örtliche Befriedung, aber Macron hat in Bezug auf
Mali Gespräche mit Dschihadisten zur „roten Linie“ erklärt, deren
Überschreiten zum Ende der militärischen Unterstützung aus Frankreich
führen werde.
„Man kann nicht gemeinsame Militäroperationen mit Machthabern führen, die
beschließen, mit Gruppen zu diskutieren, die zugleich auf unsere Kinder
schießen“, sagte Macron nach dem zweiten Militärputsch von Oberst Assimi
Goïta in Mali im Mai. Er setzte Frankreichs militärische Zusammenarbeit mit
Malis Armee öffentlichkeitswirksam aus – nur um sie am 2. Juli
stillschweigend wiederaufzunehmen, nachdem in Mali Kritik lautgeworden war,
nun sei die Barkhane-Truppe eine reine Besatzungsarmee.
Die politischen Spannungen zwischen Frankreich und Mali bleiben. Im April
hatten Verhandlungen zwischen traditionellen Dogon-Jägermilizen im Zentrum
Malis und islamistischen Al-Qaida-Gruppen ein Stillhalteabkommen
hervorgebracht, das nach französischer Ansicht ein „kleines Kalifat“ im
Zentrum Malis gründet, in dem islamistische Gruppen ungestört bleiben.
Umgekehrt soll aber auch die Zivilbevölkerung dort von weiteren Angriffen
verschont werden.
Eingefädelt hat den Deal Imam Mahmoud Dicko, der wichtigste religiöse
Führer in Malis Hauptstadt Bamako, der dort mehrfach antifranzösische
Massenproteste organisiert hat – im Sommer 2020 führten sie dort [7][zum
ersten Militärputsch] gegen den damaligen – von Frankreich unterstützten –
Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta. Die Militärs sollen Mali nun bis zu
Wahlen spätestens Februar 2022 führen, aber genau im gleichen Zeitraum will
Frankreich seine Truppen aus der nördlichen Landeshälfte zurückziehen.
Nach Erkenntnissen des französischen Militärgeheimdienstes befinden sich
jetzt schon über die Hälfte des Staatsgebietes von Mali und rund ein
Drittel von Burkina Faso nicht unter Regierungskontrolle.
Nigers Präsident Mohamed Bazoum sagte der taz [8][im Interview vor wenigen
Wochen], Frankreichs Einsatzdoktrin sei nicht effizient: „Der Feind bewegt
sich auf Motorrädern, in kleinen Gruppen. Wenn Frankreich seine großen
militärischen Mittel einsetzt, merken die das sofort und verstecken sich,
verschmelzen mit der Natur. Die Franzosen können tagelang im Einsatz sein
und auf keinen einzigen Feind treffen. Das bringt nichts.“ Von Senegal über
die Elfenbeinküste und Togo bis Benin fürchten Nachbarländer derweil eine
Infiltration des Terrors.
## 2.500 Soldaten bleiben
Die Unsicherheit in der Sahelzone sei nach acht Jahren französischer
militärischer Terrorbekämpfung größer denn je, kritisiert die Organisation
Survie, die seit Jahrzehnten Frankreichs Afrikapolitik kritisch begleitet.
Sie sagt auch, Macrons Abzugsankündigungen seien Augenwischerei:
Frankreichs Armee werde bleiben, nur etwas unauffälliger. Es gehe vor allem
darum, die ökonomischen und die politischen Kosten des Einsatzes zu
verringern.
Der „Krieg gegen den Terror“ soll jedenfalls auch nach Barkhanes
Teilrückzug weitergehen – aber anders. Von 5.100 Barkhane-Soldaten sollen
am Ende 2.500 übrigbleiben, konzentriert auf Nigers Hauptstadt Niamey, wo
der europäische Spezialkräfteeinsatz „Takuba“ stationiert sein wird, und
Tschads Hauptstadt N’Djamena, wo das Barkhane-Hauptquartier stationiert
ist, und in Mali selbst noch die Städte Gao und Menaka, also im Nordosten
des Landes entlang der Grenze zu Niger.
Die Soldaten sollen ihren klassischen Krieg weiterführen – also die
Eliminierung möglichst vieler Kommandanten und Kader der JNIM (Gruppe für
die Unterstützung des Islams und der Muslime) und des ISGS (Islamischer
Staat in der Großen Sahara). Das sollen in erster Linie die etwa 400
französischen Spezialkräfte der Task Force Sabre (Säbel) leisten.
Ansonsten geht es um den weiteren Aufbau der gemeinsamen Eingreiftruppe
G5-Sahel der Sahel-Staaten, die bisher die in sie gesetzten Erwartungen
nicht erfüllt hat. Das soll die europäische Spezialkräftemission Takuba
leisten. Drittens geht es um bilaterale oder europäische Militärausbildung
wie die EU-Mali-Mission [9][EUTM Mali] oder auch die Ausbildungen durch
Belgier und Deutsche in Niger.
## Macrons Angst vor dem Versagen
Aber all das funktioniert nur, wenn der alte Wunsch Frankreichs nach einer
„Internationalisierung“ seiner Sahel-Einsätze in Erfüllung geht. Andere
europäische Länder bleiben sehr zurückhaltend, gerade wegen der
französischen Erfahrungen und auch, weil andere europäische Länder bei
Frankreichs Afrikapolitik nach wie vor nicht mitreden können.
Die gemeinsame europäische Außen- und Verteidigungspolitik bleibe daher
eine „Utopie“, sagt Marine Le Pen, Chefin der rechtsextremen Partei RN
(Rassemblement National) und meint: „Frankreich bleibt seit Jahren allein,
trotz der Versuche Emmanuel Macrons, die EU-Länder miteinzubeziehen.“
So hätten Belgien und Dänemark eine Truppenverstärkung abgelehnt, und
Deutschland wolle sich nicht an der Spezialkräftemission Takuba beteiligen.
Die umfasst nach wie vor nur 600 Soldaten und nicht 2.000, wie bei der
Gründung durch Macron im Jahr 2018 angekündigt. Frankreich hat sich in Mali
verkämpft – und die Angst vor dem Versagen bestimmt seine nächsten
Schritte.
28 Jul 2021
## LINKS
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## AUTOREN
François Misser
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