# taz.de -- Es gibt zu wenige öffentliche Toiletten: Ziemlich angepisst | |
> Flinta* müssen fürs Pinkeln bezahlen. Das ist ungerecht, findet das | |
> Buschfunk Bündnis. Das Thema findet in der Politik aber wenig Gehör. | |
Bild: Lena Olvedi hat ein wasserloses Hockurinal entwickelt und demonstriert hi… | |
BERLIN taz | Jede*r miktiert, und das sogar mehrere Male am Tag. Einige | |
Personen haben dadurch jedoch mehr Probleme als andere. Wem der Begriff | |
Miktion nicht geläufig ist: Keine Sorge, auch wenn es so klingt, Miktion | |
ist keine schwerwiegende Erkrankung, sondern lediglich der Fachbegriff für | |
die Entleerung der Harnblase. Dieses Bedürfnis tritt ein, wenn die maximale | |
Harnblasenkapazität erreicht ist, was bei einer männlichen Blase ab einem | |
Füllvolumen von 350 bis 750 Milliliter und bei einer weiblichen ab 250 bis | |
550 Milliliter Urin geschieht. | |
Es ist also tatsächlich kein Gerücht, dass die meisten Frauen öfter auf die | |
Toilette müssen als die Mehrzahl der Männer. Deshalb könnte man davon | |
ausgehen, dass es mehr öffentliche Toiletten für Frauen als für Männer in | |
Berlin gibt – doch das Gegenteil ist der Fall. Ein Toilettenbündnis setzt | |
sich deshalb seit 2020 dafür ein, dass sich das ändert – doch von der | |
Politik fühlt man sich zunehmend nicht ernst genommen. | |
„Wie kann es sein, dass es immer noch öffentliche Toiletten gibt, in den | |
meisten Fällen sogar kostenpflichtige, auf die man sich als Flinta* | |
(umfasst alle nicht Cis-männlichen Identitätsgruppen; Anm. d. Red.) nicht | |
hinsetzen kann, weil sie total verdreckt sind?“, fragt etwa Sophie Menzel | |
vom Buschfunk Bündnis. Der Berliner Verein setzt sich seit seiner Gründung | |
im Mai 2020 für die gerechte Verteilung und Konzipierung von Toiletten in | |
der Stadt ein. | |
Aus einer Grafik des im Jahr 2017 entstandenen Berliner Toilettenkonzepts | |
ist zu entnehmen, dass gerade einmal 29 Prozent von den 295 öffentlichen | |
Toiletten in Berlin für Frauen vorgesehen sind. Der Anteil der Toiletten | |
für Männer liegt hingegen bei 46 Prozent. Die restlichen 25 Prozent sind | |
Unisextoiletten. | |
## Ziel verfehlt | |
Von dem Überhang der Männertoiletten einmal abgesehen, sind das für eine | |
Stadt mit rund 3,7 Millionen Einwohnern plus Tourist*innen, schlichtweg zu | |
wenig. Zudem stehen viele der öffentlichen Toiletten auch eher an | |
touristischen Hotspots – was sicher sinnvoll ist, was aber ihr Fehlen an | |
anderen Orten nicht aufwiegt. | |
„Das Ziel ist es, ein attraktives Angebot an öffentlich nutzbaren | |
Toilettenanlagen für alle Anwohner*innen und Besucher*innen Berlins | |
bereitzustellen“, heißt es im Toilettenkonzept, „welches „den Bedürfnis… | |
diverser Nutzergruppen gerecht wird.“ | |
Ein Ziel, das die Stadt Berlin bisher verfehlt hat. Auch wenn sich seit | |
2017 etwas an der Anzahl der öffentlichen Toiletten getan hat, sind viele | |
Toiletten schlicht nicht nutzbar. Denn neben der fehlenden Sauberkeit | |
kostet Pinkeln in Berlin immer noch Geld, und zwar vor allem für Flinta*. | |
Den Großteil der öffentlichen Toiletten in Berlin betreibt die Wall GmbH. | |
Bei diesen „City Toiletten“ befindet sich hinter der mit 50 Cent | |
kostenpflichtigen Sitztoilette oft noch frei zugängliches und damit | |
kostenfreies Pissoir für die Männer. Die 50 Cent sind Teil des | |
Geschäftsmodells, erläutert ein Sprecher der Wall AG: „Das Nutzungsentgeld | |
von 50 Cent und die Ausstattung von Toilettenanlagen mit Pissoirs ist | |
vertraglich durch das Land Berlin festgelegt.“ Die Einnahmen fließen dem | |
Land Berlin als Eigentümerin zu. | |
## „Phänomen des Wildpinkelns“ | |
Auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Katalin Gennburg zum | |
Thema „Umsonst pinkeln für alle!“ nimmt die Senatsverwaltung für Umwelt, | |
Verkehr und Klimaschutz im Februar 2021 dazu Stellung: Kostenlose Pissoirs | |
wurden „als effektive Maßnahme identifiziert, um gegen das Problem des | |
sogenannten Wildpinkelns vorzugehen“. Und mit der Erhebung einer Gebühr | |
würden „Fehlnutzung und Missbrauch entgegengewirkt“. | |
Dass die Nutzung der Pissoirs hingegen entgeltfrei ist, begründet die | |
Senatsverwaltung damit, dass das „Phänomen des Wildpinkelns“ nur von | |
Männern ausginge. Eine Begründung, die hinkt, denn was die Stadt Berlin | |
anscheinend nicht weiß: Auch Frauen pinkeln wild und werden auch nicht | |
grundsätzlich reich geboren: Wird man in Deutschland beim Wildpinkeln | |
erwischt, begeht man eine Straftat, die mit einem Bußgeld von 35 bis 5.000 | |
Euro geahndet oder in „besonders schweren Fällen“ sogar mit einer | |
Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden kann. | |
Dabei gibt es bereits geschlechtergerechte Toilettenmodelle, und diese | |
wurden auch schon in Berlin getestet. Wie das von Lena Olvedi entwickelte | |
[1][Missoir], ein wasserloses Hockurinal für Flinta*. Bereits auf mehreren | |
Festivals erprobt, stand das Missoir von Juli 2021 bis zum Januar dieses | |
Jahres in der [2][Hasenheide]. Doch nach Auslaufen des Mietvertrags musste | |
es abgebaut werden, „da im aktuellen Haushaltsjahr keine Mittel zur | |
Verfügung stehen“, so das Bezirksamt [3][Neukölln] auf Nachfrage der taz. | |
Dabei kam das Hockurinal bei den Nutzer*innen gut an, „es gab einen | |
QR-Code, wo man eine Bewertung da lassen konnte, und die waren alle | |
durchweg positiv“, sagt Olvedi der taz. | |
Eine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung mit den Problemen und den | |
bereits dagegen vorgehenden Akteur*innen findet nicht statt, beklagt | |
denn auch das Buschfunk Bündnis. Die Frage, ob sie sich von der Politik | |
ernst genommen fühlen, beantworten sowohl das Bündnis als auch Lena Olvedi | |
mit einem klaren Nein. Sie kritisieren, dass es keinen festen | |
Ansprechpartner beim Senat gebe, was eine Zusammenarbeit erschwert. | |
16 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.missoir.de/ | |
[2] /MieterInnenprotest-in-Neukoelln/!5784421 | |
[3] /Berliner-Bezirk-als-Konfliktzone/!5837019 | |
## AUTOREN | |
Julian Csép | |
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