# taz.de -- Audiowalk in der Hasenheide: „Ein Gegenentwurf des Bewegens“ | |
> Nora Tormann sucht mit einer Performance in der Hasenheide, dem Park von | |
> Turnvater Jahn, nach Spuren der Verbindung von Choreografie und | |
> Ideologie. | |
Bild: Turnvater Friedrich Ludwig Jahn in der Hasenheide | |
taz: Nora Tormann, am Donnerstag ist die Premiere Ihrer Performance „TURN – | |
Kartographie einer Bewegung“ in der Hasenheide in Neukölln. Was erwartet | |
das Publikum? | |
Nora Tormann: Die Performance ist ein choreografischer Audiowalk, das | |
heißt, den Besucher_innen wird über Funkkopfhörer eine Geschichte erzählt. | |
Es sind die Gedanken einer Flaneuse, die durch den Park streift und beim | |
Herumstromern Vergangenheit und Gegenwart der Hasenheide zusammenbringt. | |
Dazu gibt es grafische Interventionen in Form von kleineren Gruppen von | |
Performer_innen, die an verschiedenen Punkten tänzerisch mit dem Ort | |
interagieren. | |
Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Projekt gekommen und wie haben sich die | |
Akteur_innen zusammengefunden? | |
Ich habe 2017 in einem Workshop mit zwei weiteren Personen ein | |
choreografisches Konzept erarbeitet, in dem wir uns damit beschäftigt | |
haben, inwieweit die Inszenierung des Turnens prädestiniert dafür ist, | |
ideologisch aufgeladen zu werden. Seitdem hat mich das Turnen nicht mehr | |
losgelassen. Und weil diese Verschränkung von Choreografie und Ideologie | |
mit der Gründung der Turnbewegung 1811 in der Hasenheide seinen Anfang | |
genommen hat, habe ich im Rahmen zweier Stipendien Forschung zur Geschichte | |
der Hasenheide gemacht. Auf dieser Grundlage habe ich dann ein sehr buntes | |
Team eingeladen, das hauptsächlich aus FLINTA (Frauen, Lesben, inter, | |
nonbinary, trans, d. Red.) besteht, um diesen Audiowalk zu entwickeln. | |
Wer gehört dazu? | |
Da gibt es Performer_innen, Dramaturginnen, Sound-Designerinnen, | |
Techniker_innen, und alle haben großen Einfluss darauf, was passiert. Ich | |
mache die Regie, bin verantwortlich für die Choreografie und leite die | |
Proben. Für mich bedeutet Choreografie nicht, exakte Schrittfolgen | |
vorzugeben, sondern einen Rahmen zu schaffen, der das gemeinsame Bewegen | |
strukturiert. | |
Die Vergangenheit der Hasenheide ist geprägt von Turnvater Friedrich Ludwig | |
Jahn (1778–1852), der dort erstmals öffentlich Gymnastikübungen | |
durchführte. 1936 haben die Nationalsozialisten den Park für die | |
Olympischen Spiele umgebaut. Wie kann an so einem Ort eine Betrachtung aus | |
queerer und antifaschistischer Perspektive gelingen? | |
Das Antifaschistische und das Queere der Performance steckt in unserer | |
Grundhaltung, aber auch in den künstlerischen Methoden. Wir haben | |
choreografisch nach Wegen gesucht, wie wir unsere Körper im öffentlichen | |
Raum ausrichten können. Das gemeinsame Bewegen hinterlässt schnell einen | |
militaristischen und faschistoiden Geschmack. Mich interessiert, welche | |
Formen ein kritischer, solidarischer und fürsorglicher Gegenentwurf des | |
gemeinsamen Bewegens finden kann – im tänzerischen und im politischen | |
Sinne. | |
Während dieser Performance hört das Publikum über Kopfhörer die Gedanken | |
einer Flaneuse. Wer ist sie? | |
Das Flanieren zeichnet sich dadurch aus, unbestimmt durch den Raum zu | |
streifen und mit dem Gehen zu denken, was in Literatur und Philosophie | |
traditionell cis-männlichen (Personen, denen das männliche Geschlecht | |
zugeschrieben wird und die sich mit diesem auch identifizieren, d. Red.) | |
Denkern vorbehalten war. Diese Praxis eignen sich zunehmend auch FLINTA an, | |
um die eigene Präsenz im öffentlichen Raum zu verankern. | |
Wie sieht die Hasenheide heute aus? Wie ist sie beeinflusst von ihrer | |
Geschichte? | |
Ich würde sagen, dass die Geschichte des Parks parallel zur heutigen | |
Nutzung existiert. Die Verbindung zur Hasenheide als Gründungsort der | |
Turnbewegung ist durchaus noch da. Andererseits bietet sie heute Raum für | |
sehr verschiedene Nutzungsweisen; da sind die sportlichen Selbstoptimierer, | |
es gibt queeres Cruising, Plätze zum Verweilen … In dieser Vielfalt ist die | |
Hasenheide weit weg von dem, wie sie mal genutzt wurde. | |
Ist der Bezug auf Jahn überhaupt noch zeitgemäß? Kann das Denkmal weg? | |
Ich denke nicht, dass wir Turnvater Jahn noch brauchen, weil er eine Figur | |
ist, die in erster Linie patriarchal-nationalistischen Grundsätzen gefolgt | |
ist. Aus bewegungsgeschichtlicher Perspektive ist es aber schon spannend, | |
was er gemacht hat. Jahn war die erste Person, die Bewegung in Gestalt der | |
Turner in den öffentlichen Raum gebracht hat. Mit Turnern sind hier | |
explizit Jungen und Männer gemeint. Das gab es vorher nicht. | |
21 Apr 2022 | |
## AUTOREN | |
Bo Wehrheim | |
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