| # taz.de -- Einigung bei EU-Asylpolitik: „Der größte politische Rückschlag… | |
| > Innenministerin Faeser und Außenministerin Baerbock loben die Einigung | |
| > zur EU-Asylreform. Kritik kommt aus Grünen-Fraktion und | |
| > Zivilgesellschaft. | |
| Bild: Bundespolizei kontrolliert Einreiseverkehr am Grenzübergang Frankfurt/Od… | |
| Berlin taz | Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Innenministerin Nancy Faeser | |
| (SPD) und Außenministerin Annalena-Baerbock (Grüne) haben die Einigung der | |
| EU-Staaten bei [1][der Reform der gemeinsamen Asylpolitik] begrüßt. Aus | |
| Baerbocks Fraktion, der Linken und von Menschenrechtler*innen kam | |
| dagegen scharfe Kritik an der Verschärfung des EU-Asylrechts, auf die sich | |
| Parlament, Kommission und Rat am Mittwochmorgen geeinigt haben. | |
| Faeser sagte am Mittwochmorgen, sie freue sich über das Ergebnis: „Jeder | |
| muss künftig an den EU-Außengrenzen strikt kontrolliert und registriert | |
| werden.“ Die Einigung sei nötig, denn: „Wenn wir das Europa der offenen | |
| Grenzen im Inneren bewahren wollen, müssen wir die Außengrenzen schützen | |
| und funktionierende Verfahren erreichen.“ Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb | |
| auf X, vormals Twitter, von einem „ganz wichtigen Beschluss“. Und weiter: | |
| „Damit [2][begrenzen wir die irreguläre Migration] und entlasten die | |
| Staaten, die besonders stark betroffen sind – auch Deutschland.“ | |
| Außenministerin Baerbock nannte die Einigung „dringend notwendig und längst | |
| überfällig.“ Der Bundesregierung sei es gelungen, in Verhandlungen | |
| Verbesserungen zu erreichen, etwa bei den Regelungen, die an den | |
| Außengrenzen künftig in sogenannten Krisenfällen möglich sein sollen. | |
| Baerbock verschwieg, dass die Einigung vielen migrationspolitischen | |
| [3][Grundüberzeugungen der Grünen] eigentlich entschieden zuwider läuft. So | |
| ist etwa geplant, dass viele Geflüchtete künftig sogenannte | |
| Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen durchlaufen sollen. Dafür sollen | |
| die Geflüchteten wohl in großen Lagern unter haftähnlichen Bedingungen | |
| festgehalten werden. Wer abgelehnt wird, soll direkt von dort | |
| zurückgezwungen werden. Und wer aus einem sogenannten sicheren Drittstaat | |
| einreist, soll ohne Asylverfahren zurückgebracht werden. | |
| ## Pro Asyl: „Schlimmer als befürchtet“ | |
| Die Außenministerin erwähnte ebenfalls nicht die zahlreichen Punkte, [4][in | |
| denen sich die Grünen in den Verhandlungen auf nationaler und EU-Ebene | |
| nicht einmal mit Minimal-Forderungen durchsetzen konnten]. So hatten die | |
| Grünen etwa Ausnahmen für minderjährige Geflüchtete gefordert, die | |
| Bundesregierung hatte sich dafür in den Verhandlungen starkgemacht. Ohne | |
| Erfolg. Baerbock sagte nun lediglich, die Einigung sei ein „Kompromiss“, | |
| der nötig sei, „denn die unmenschlichen Zustände an der EU-Außengrenze | |
| dürfen nicht das Gesicht bleiben, das Europa der Welt zeigt.“ | |
| Teile der Grünen-Bundestagsfraktion sehen das ganz anders. Der Abgeordnete | |
| Julian Pahlke sagte: Die geplante Reform ändere am „brutalen Alltag“ an den | |
| Grenzen nichts und schaffe nur weitere Probleme: „Weitere Entrechtungen | |
| führen nicht zu weniger ankommenden Geflüchteten, sondern zu mehr Leid.“ | |
| Für ihn sei die Zustimmung einer Bundesregierung unter Grünen-Beteiligung | |
| „der größte politische und persönliche Rückschlag.“ | |
| Die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger sagte, die Beschlüsse seien | |
| „der massivste Angriff auf das individuelle Recht auf Asyl, den es in der | |
| EU je gegeben hat.“ Und weiter: „Wenn Bundesinnenministerin Nancy Faeser | |
| behauptet, die Einigung könne dazu beitragen, humanitäre Standards zu | |
| schützen, ist das eine dreiste Verdrehung der Tatsachen.“ | |
| Auch Menschenrechtsorganisationen sind entsetzt: Die rechtspolitische | |
| Sprecherin von ProAsyl, Wiebke Judith, sagte der taz: „Diese Einigung ist | |
| fast schlimmer als befürchtet.“ Das Europaparlament habe seine | |
| menschenrechtlichen Positionen weitgehend aufgegeben. „Damit ist die | |
| Einigung ein schwerer [5][Schlag für den Flüchtlingsschutz] in Europa.“ | |
| Besonders schockierend sei, „dass selbst Kinder hinter Stacheldraht eine | |
| neue Normalität werden sollen, wenn sie mit ihren Familien für die | |
| Asylgrenzverfahren an den Außengrenzen festgesetzt werden.“ | |
| Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland: | |
| „Die heute erzielte Einigung ist ein menschenrechtlicher Dammbruch.“ Der | |
| Beschluss drohe, „die Rechtlosigkeit an den Außengrenzen zur Norm zu | |
| machen.“ Felix Braunsdorf, Experte für Flucht und Migration bei Ärzte ohne | |
| Grenzen, sprach am Mittwoch von einem „katastrophalen Tag“ und einem | |
| „Kompromiss auf Kosten der Menschenrechte.“ | |
| Kathrin Sonnenholzner, die Präsidentin der Arbeiterwohlfahrt, sagte: „Vom | |
| Flüchtlingsschutz in Europa bleibt kaum etwas übrig.“ Es handle sich um ein | |
| „Armutszeugnis“, kritisierte sie. „Menschen, die vor Krieg, Folter und | |
| Hunger fliehen und zu den Schutzbedürftigsten der Welt zählen, können jetzt | |
| monatelang in Lagern inhaftiert werden.“ | |
| Der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, | |
| sagte: „Menschenrechtsfeindliche Haftlager und der Freiheitsentzug | |
| Schutzsuchender während des Asylverfahrens drohen mit dieser Reform zur | |
| Normalität zu werden. Dass nicht einmal Kinder und ihre Familien geschützt | |
| werden, ist schockierend.“ | |
| Aktualisiert am 20.12.2023 um 13:40 Uhr. d. R. | |
| 20 Dec 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Frederik Eikmanns | |
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