# taz.de -- Duisburger Filmwoche: Weniger Ufos in der Stadt | |
> Die Duisburger Filmwoche wagt mit ihrem neuen Leiter mehr politische | |
> Akzente. Stark ist auch das parallele Festival doxs! für Kinder und | |
> Jugendliche. | |
Bild: Extravagante wie reflektierte Protagonistin: Szene aus „Vera“ von Tiz… | |
Ein neutraler Raum, graue Büromöbel, dunkelgrauer Teppich, schwarze Stühle. | |
Auf der grauen Tischplatte zwei Monitore. Eine Stimme berichtet aus dem Off | |
auf Türkisch von den Toten durch rechtsextreme, rassistische, | |
antisemitische Straftaten der letzten Jahrzehnte. Die Stimme wechselt ins | |
Deutsche und berichtet von einem konkreten Anschlag, einem Hausbrand am 27. | |
August 1984 in Duisburg. Sieben Menschen starben, 30 wurden verletzt in | |
jener Nacht. Kurz zuvor Hakenkreuze an der Hauswand. | |
„Dunkelfeld“ von Ole-Kristian Heyer, Patrick Lohse und Marian Mayland | |
basiert auf den Recherchen der Initiative Duisburg 1984, die den Anschlag, | |
der umgehend vergessen wurde, seit 2018 wieder ins Gedächtnis der Stadt | |
zurückarbeitet. Die diesjährige Duisburger Filmwoche präsentierte den Film | |
im Rahmen einer Installation, die an den Anschlag erinnerte. Ergänzend dazu | |
gab es ein Panel, in dem die Initiative eindrucksvoll ihre Arbeit | |
vorstellte. | |
Der Raum, den das Festival dem Film und der Initiative einräumte, ist Teil | |
des erfreulichen Versuchs seitens des Festivalleiters Alexander Scholz und | |
des Festivalteams, die Filmwoche stärker mit der Stadt zu verbinden. Allzu | |
oft wirken Filmfestivals, als würden Ufos für eine Zeit an einem Ort landen | |
und den Bewohner_innen der jeweiligen Stadt im Weg herumstehen. | |
## Aktualität von Antiziganismus | |
Dieser Versuch, die Filme an die Stadt zurückzukoppeln, zeigte sich auch in | |
einigen der ausführlichen Diskussionen, die sich auf der Filmwoche an jeden | |
der Filme anschließen. Im Anschluss an [1][Cem Kayas filmischer Collage zu | |
türkischer Populärkultur in der Bundesrepublik „Aşk, Mark ve Ölüm“ (�… | |
D-Mark und Tod“)], der auf der diesjährigen Berlinale den Publikumspreis | |
der Sektion Panorama gewann, ging es um türkische Filme, die in Duisburg | |
entstanden sind und die Lebensrealität von „Gastarbeiter_innen“ | |
reflektierten. | |
In seiner Einleitung zur Diskussion von [2][Peter Nestlers] „Unrecht und | |
Widerstand“ ging Scholz auf die Aktualität von Antiziganismus in Duisburg | |
heute ein. Nestlers imposanter Film entfaltet anhand der | |
[3][Familiengeschichte von Romani Rose] die Geschichte der Bewegung für die | |
Rechte von Sinti und Roma in Deutschland, die zur Etablierung des | |
Zentralrats führte. | |
Ausgehend von der Verfolgung von Roses Großvater, der als Besitzer eines | |
mobilen Kinos in Hessen früh ins Visier der Nationalsozialisten geriet, | |
macht der Film die Traditionslinien der Verfolgung von Sinti und Roma | |
sichtbar, die aus der Zeit vor 1933 in den Nationalsozialismus | |
überdauerten. | |
Am Engagement von Roses Onkel Vinzenz Rose, der nach seinem Überleben gegen | |
die fortgesetzte Diskriminierung in der Bundesrepublik und die | |
Straffreiheit der Protagonist_innen der Vernichtungspolitik in Polizei und | |
Gesundheitssystem kämpfte, zeichnet der Film die Kontinuitäten des | |
Antiziganismus in der Nachkriegszeit nach. | |
Nestler, Jahrgang 1937, Dokumentarfilmer seit Anfang der 1960er Jahre, | |
arbeitete an dem Film gemeinsam mit [4][Kameramann Rainer Komers]. Beide | |
haben zentrale Filme zum Antiziganismus in Deutschland gedreht. Nestlers | |
Film bedient sich bewusst einer zurückgenommenen Form, die seinen | |
Protagonist_innen den Raum gibt, der ihnen lange vorenthalten wurde. | |
## Vorliebe für extravagante Protagonist_innen | |
Weniger zurückgenommen kommt „Vera“ von Tizza Covi und Rainer Frimmel | |
daher. Das Regiepaar mit der Vorliebe für extravagante Protagonist_innen | |
widmet sich in seinem neusten Film Vera Gemma, der Tochter des | |
Schauspielers Giuliano Gemma. | |
Beständig mit Cowboyhut und gezeichnet von Schönheitsoperationen, offenbart | |
sich Vera Gemma als beeindruckende Frau, die in Alltagssituationen immer | |
wieder über den Drang zu gefallen reflektiert, der schon in der Familie an | |
sie herangetragen wurde. Wie die Vorgängerfilme von Covi und Frimmel | |
präsentiert „Vera“ eine überraschend komplexe Protagonistin, mit der | |
gemeinsam die Regisseur_innen ein Porträt der Gegenwart entwickeln. | |
Neben Höhepunkten wie diesen Filmen fanden sich eine ganze Reihe stählerner | |
sozialdemokratischer Filme im Programm, in denen man sich in die 1980er | |
Jahre zurückversetzt fühlte. Matilda Mesters „Nakskov 1:50“ über ein | |
dänisches Dorf zwischen Werft und Zuckerfabrik war ein Beispiel. | |
In die Reihe gehörten aber auch Constantin Wulffs „Für die Vielen“ über … | |
Arbeiterkammer Wien und Thomas Fürhapters „Zusammenleben“ über die Wiener | |
„Startcoachings“, die Zugezogenen aus aller Welt den Start in die | |
österreichische Gesellschaft erleichtern sollen. Alle diese Filme verbanden | |
eine konventionelle, unbewegliche Formensprache mit einer Annäherung an | |
politische Themen auf ausgetretenen Pfaden. | |
## Zentraler Ort für Film und Politik | |
Wie in jedem Jahr machte das parallel und in Verbindung mit der Filmwoche | |
laufende Festival doxs! für Dokumentarfilme für Kinder und Jugendliche dem | |
Festival in dieser Hinsicht Konkurrenz. Schon der Eröffnungsfilm „Lieber | |
Papa, Deine Tochter“ von Karoline Rößler zeigt sich formal deutlich | |
ambitionierter. Rößlers Film beginnt als Mail einer Tochter an ihren Vater | |
über Fragen der Alltagspolitik. Bildschirmaufnahmen von Textfragmenten, | |
Onlinevideos fügen sich zu einer Momentaufnahme der Debatten über | |
Identitätspolitik. | |
Das Doppelfestival aus Duisburger Filmwoche und doxs! blieb auch in diesem | |
Jahr einer der zentralen Orte in Deutschland, um über Film und Politik und | |
die Formen, beide miteinander zu verbinden, zu diskutieren. Im ersten Jahr | |
als fester Festivalleiter hat Alexander Scholz Mut zu politischen Akzenten | |
gezeigt. Hoffentlich tritt in kommenden Ausgaben der Mut zu mehr | |
Formexperimenten in der Filmauswahl hinzu. | |
14 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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