# taz.de -- Kinotipp der Woche: Doppelte Bestrafung | |
> Die Reihe „Einmal die Papiere bitte! Staatsbürgerschaften und das Kino“ | |
> im DHM zeigt Filme aus Frankreich, Polen und Deutschland. | |
Bild: „Wesh, Wesh – qu’est-ce qui se passe?“, Regie: Rabah Ameur-Zaï… | |
Langsam schwenkt die Kamera über die Dächer einer Neubausiedlung am Rande | |
von Paris. Unten auf einer Wiese spielt eine Gruppe Jugendlicher Fußball. | |
Französischer Hiphop liegt über den Credits zu Beginn von Rabah | |
Ameur-Zaïmeches Debütfilm „Wesh wesh – qu’est-ce qui se passe?“. | |
Kamel (gespielt vom Regisseur selbst) ist frisch zurück aus Algerien, wohin | |
er aus Frankreich abgeschoben worden war. Haftstrafe und Abschiebung, die | |
Double peine, die doppelte Bestrafung, ist in aller Munde in der | |
Wohnsiedlung. Am Samstag läuft der Film im Rahmen der Filmreihe „Einmal die | |
Papiere bitte! Staatsbürgerschaften und das Kino“ im Berliner Zeughauskino. | |
Also versucht Kamel nach der neuerlichen Einreise in das Land, in dem er | |
geboren wurde, in dem Viertel, in dem er aufgewachsen ist, wieder Fuß zu | |
fassen. Doch eine Arbeit zu finden ist nicht leicht. Nicht zufällig hängen | |
die meisten in dem Viertel irgendwo herum: die Jugendlichen des Viertels in | |
den Hauseingängen, die Kinder auf dem Spielplatz. | |
Ohne Papiere ist es nahezu ausgeschlossen. Kamel ist schon zum Scheitern | |
verurteilt, bevor er es selbst weiß. In einer Mischung aus | |
Fiktionalisierung und dokumentarischen Szenen gibt Rabah Ameur-Zaïmeche | |
einen Einblick in das Leben in der Banlieue Anfang der 2000er Jahre. | |
Bei der Premiere auf dem Forum der Berlinale bezeichnete der Regisseur den | |
Film als eine Art Gegenfilm zu Mathieu Kassovitz’ Banlieue-Klassiker „La | |
haine“ von 1995, den er als zu stilisiert, zu romantisiert empfand. | |
Die Filmreihe „[1][Einmal die Papiere bitte!]“ begleitet die Ausstellung | |
„[2][Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789]“ im | |
Deutschen Historischen Museum und versammelt Filme aus den knapp 100 Jahren | |
von 1916 bis 2011. | |
In „Das Verschwinden der Schwelle durch das Öffnen der Tür“ von 1986 | |
befassen sich Petra Heymann, Heidi Specogna und Thomas Schulz mit dem | |
Asylsystem der BRD. Der Film zeigt die Bürokratie der | |
Einwanderungsverhinderung und die Selbstidealisierung von rassistischen | |
Strukturen. Der Dokumentarfilm ist eine präzise, vielschichtige Abrechnung | |
mit dem Asylsystem aus den Jahren bevor es Anfang der 1990er weitgehend | |
geschliffen wurde. | |
Drei Filme befassen sich mit dem polnisch-deutschen Verhältnis in der | |
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Heinz Heralds „Brennendes Land“ von | |
1921 entstand im Kontext der Volksabstimmung darüber, ob Oberschlesien nach | |
dem Ersten Weltkrieg bei Deutschland verbleiben sollte oder sich Polen | |
anschließen sollte. | |
Die Geschichte der Familie Walewski dient Herald als Grundstruktur seines | |
Filmes. Gustav Ucicky nutzte eine ähnliche Struktur 1941 für einen | |
Propagandafilm über die angeblichen Misshandlungen der deutschen Minderheit | |
in Ostpolen. Ucickys Film zielte gleichermaßen auf eine Rechtfertigung des | |
deutschen Überfalls auf Polen zwei Jahre zuvor wie des Angriffskriegs gegen | |
Russland, der im Sommer des Jahres begonnen hatte. | |
In Andrzej Jerzy Piotrowskis „Pułapka“ (Der Major im Visier) von 1971 kehrt | |
Jan Reiner, Major der polnischen Armee, in sein Heimatdorf in Schlesien | |
zurück. Nach den deutschen Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg ist die | |
Stimmung zwischen der verbliebenen deutschen Bevölkerung und den polnischen | |
Dorfbewohnern von Misstrauen geprägt. | |
Mit teils selten gezeigten Filmen aus drei Kinematografien skizziert die | |
Reihe „Einmal die Papiere bitte!“ die komplexen Verhältnisse zwischen | |
Bevölkerungsgruppen und die Machtverhältnisse, die mit der Frage der | |
Staatsbürgerschaft verbunden sind. Fabian Tietke | |
16 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihe/einmal-die-papiere-bitte/ | |
[2] https://www.dhm.de/ausstellungen/staatsbuergerschaften-frankreich-polen-deu… | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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