# taz.de -- Doku zum Klimawandel in Indien: Dichter Dunst | |
> Der Dokumentarfilm „Invisible Demons“ zeigt die Folgen des Klimawandels | |
> in Delhi. Regisseur Rahul Jain findet starke Bilder für das Leben im | |
> Extremen. | |
Bild: Kein Schnee, sondern Schaum: rituelle Waschung bei Umweltverschmutzung in… | |
Keuchend zieht ein Ochse einen Karren durch Delhi, das Atmen bereitet ihm | |
hörbar Schwierigkeiten. Der Eisklotz auf der Schulter eines Lieferanten | |
schmilzt tropfend auf die Straße. In den Bussen dämmern die Fahrgäste vor | |
sich hin oder versuchen bei Außentemperaturen von knapp 50 Grad Celsius | |
eine kühle Brise des Fahrtwinds zu erhaschen. | |
Auf den Straßen stauen sich Autos bis zum Horizont. Unterdessen rattert | |
Journalistin Divya Wadhwa unermüdlich die [1][aktuellen | |
Luftverschmutzungswerte] herunter, gibt die offiziellen Warnungen vor | |
längeren Aufenthalten im Freien an die Öffentlichkeit weiter. | |
Sozial teilt sich die Welt der Stadt in jene, die mit Klimaanlagen leben, | |
und jene ohne. „Auf den Anstieg der Temperatur haben Sie oder ich keinen | |
Einfluss. Wie kann ein Rikscha-Fahrer sagen, warum die Temperatur steigt?“, | |
fragt ein Mann an einem Eisstand lachend. In Rahul Jains Krisenbild Delhis | |
im Dokumentarfilm „Invisible Demons“ greifen eskalierende | |
Umweltverschmutzung und sommerliche Hitzewellen ineinander, um | |
infernalische Lebensbedingungen in der indischen Hauptstadt zu erzeugen. | |
Am Abend nach einem Tag mit besonders hoher Luftverschmutzung fängt der | |
Filmemacher die Partikel mit der Kamera auf. Weiße Blitze zucken durch das | |
Bild: „Ich sehe sie als Giftpfeile, die unsere Lungen durchbohren.“ Die | |
Folgen der weißen Blitze sind einfacher sichtbar. In einer Lungenklinik | |
pusten Menschen kraftlos in eine Röhre, Röntgenbilder zeigen die Schäden an | |
ihren Lungen. Mikroendoskopische Aufnahmen zeigen die Ablagerungen von | |
Rußpartikeln überall in den Atemwegen. Inhalationsapparate sollen Linderung | |
verschaffen. Ansonsten herrscht Ratlosigkeit. | |
Auf die Hitze folgt Regen, so viel Regen, dass das Wasser in den Straßen | |
steht. In den Pfützen und Lachen brüten Moskitos. Um die wiederum in den | |
Griff zu bekommen, werden Chemikalien versprüht, die jede Form von Leben | |
vernichten. | |
„Den Pflanzen geht es wie uns. So wie der Mensch an Krankheiten leidet, | |
sind auch die Pflanzen krank geworden“, so ein Reisbauer. Wie der | |
Rikscha-Fahrer am Eisstand ist auch er ratlos, wie der Krise beizukommen | |
ist. „Wie soll sich die Verschmutzung reduzieren? Ich kann nichts dazu | |
sagen.“ Wenn er keinen Reis anbauen kann, fährt er Lastwagen. Drei | |
Taxifahrer berichten, dass sie hinter Lastwagen und anderen großen | |
Fahrzeugen herfahren, wenn der Smog besonders dicht ist, weil man kleinere | |
Autos nicht mehr sieht. | |
Noch während seines Studiums am California Institute of the Arts | |
realisierte Rahul Jain seinen Debütfilm „Machine“ über eine gigantische | |
Textilfabrik, die dem Regisseur über das konkrete Beispiel hinaus als | |
Sinnbild globaler Arbeitsteilung stand. „Invisible Demons“ entfaltet nun | |
den ganzen Umfang der Zerstörung von Umwelt und Lebenswelten rund um die | |
indische Hauptstadt. | |
Der Film entstand als finnisch-deutsch-indische Koproduktion. Auf | |
finnischer Seite wurde der Film von Iikka Vehkalahti betreut, der schon an | |
Jains erstem Film beteiligt war und als Produzent geholfen hat, Filme wie | |
[2][Joshua Oppenheimers „The Look of Silence“ (2014)] zu realisieren. | |
Jains Film zeigt den Preis, den Indien für den wirtschaftlichen Aufstieg an | |
Umweltschäden und Krankheiten zahlt. Nur in wenigen Bildern ist die Luft | |
über der Stadt halbwegs klar, meist verhängt dichter Dunst den Himmel. Die | |
lokalen Probleme verbinden sich mit den globalen Klimaschäden zu einem | |
katastrophalen Kreislauf. Dazu zwei Männer im Büro einer Stahlfabrik: „Es | |
geht darum, dass alles besser und günstiger wird. Statt die Technologie zu | |
nutzen, betreiben wir damit Raubbau. Das führt zu Umweltproblemen.“ | |
Die Kraft von „Invisible Demons“ besteht in den Bildern, die Jain findet. | |
Von den weiß blitzenden unsichtbaren Dämonen der Luftverschmutzung, die | |
sich in den Lungen der Menschen ablagern, bis in die Weite der | |
Landschaften. Als der Film per Kameradrohne dem Fluss Yamuna aus Delhi | |
heraus folgt, wird das Wasser immer trüber. Etwas weiter flussabwärts | |
treibt weißer Schaum auf dem Wasser. | |
Gegen Ende des Films trägt eine Prozession die Statue einer Gottheit zum | |
Fluss, badet sie zwischen Schaumschollen, eine Gruppe Frauen steht im Fluss | |
und wäscht sich rituell das Gesicht mit dem Wasser. Längst schon hat das | |
Wasser die Kraft zur Reinigung verloren. | |
8 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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