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# taz.de -- Dokumentarfilmer Rainer Komers: Politisch eingreifendes Kino
> Rainer Komers porträtiert in seinen Dokumentarfilmen Arbeiter,
> Minderheiten oder Underdogs. Sein Schaffen stellt der Band „Außen Fuji
> Tag“ vor.
Bild: Szene aus dem Dokumentarfilm „480 Tonnen bis viertel vor zehn“ von Ra…
Seit 2001 zeichnet die Kurt Wolff Stiftung jährlich zwei Verlage für ihr
Gesamtwerk aus. 2023 geht der mit 35.000 Euro dotierte Hauptpreis an den
Berliner Alexander Verlag, der, so die Begründung, zeige, „dass Literatur
zu einzelnen Künsten nicht nur die Fachwelt etwas angeht, sondern
eingreifend sein kann, und zwar gesellschaftlich, kunstpolitisch und
ästhetisch“. Eine Beschreibung, die wie exemplarisch auch für eine
Monografie zutrifft, die der Verlag der Arbeit von Rainer Komers gewidmet
hat.
Der 1944 in Guben geborene und in Mülheim/Ruhr aufgewachsene Künstler hatte
mit seinen Kenntnissen als gelernter Siebdrucker ab 1964 Plakate des
„studentischen filmclub bonn“ in Agit-Prop-Manier gestaltet. Als er Ende
der 1970er Jahre an der Akademie in Düsseldorf erst Druck lehrte und dann
Film studierte, fühlte er sich eher der Arbeiterbewegung als der Kunstszene
zugeneigt und entwarf parallel zur Arbeit als Leiter der Serigrafie der
Galerie Denise René/Hans Mayer Plakate etwa zur Wiederzulassung der KPD.
Kurz darauf entstand mit [1][„Zigeuner in Duisburg“ einer der ersten Filme
in Deutschland, der die Verfolgung der Minorität der Sinti in der NS-Zeit
thematisierte] und in der damaligen Gegenwart die Vertreibung einer
Sinti-Familie von ihren Wohnplätzen zeigte. Drei Jahrzehnte später widmet
er sich in „[2][Barstow, California“ mit dem lebenslang in einem
kalifornischen Gefängnis inhaftierten afroamerikanischen Poeten „Spoon“
Jackson] einem Underdog eines anderen rassistischen Systems – und
unterstützt diesen gegen gängige Dokumentaristen-Regeln auch praktisch.
Soweit ein den„politisch eingreifenden“ Aspekt akzentuierender Gang durch
Komers’ Schaffen, das sich auch durch starken ästhetischen Eigensinn
auszeichnet. Dabei spielen als künstlerische Form neben der Druckgrafik und
der Arbeit als Kameramann und Regisseur seit vielen Jahren auch Lyrik und
grafische Typogramme in markanten rot-schwarzen Lettern eine Rolle. Auch
„Außen Fuji Tag“ huldigt in vier Kapiteln all diesen motivisch miteinander
verlinkten Künsten, während [3][Komers’ publizistische Arbeiten] aus meist
früherer Zeit keine Aufnahme fanden.
Neben vielen mit Sorgfalt ausgewählten und präsentierten Illustrationen
durch Privatfotos, Filmstills und Grafiken bietet der von dem Duisburger
Literaturwissenschaftler Andreas Erb herausgegebene und von Antje Wewerka
und Komers selbst gestaltete Band Essays des Herausgebers (zur Lyrik) und
des Filmjournalisten Daniel Kothenschulte, der mit Kompetenz und Witz das
„dialektische Verhältnis von Film- und Bildsujet“ in Komers’ Filmplakate…
etwa beim legendären „Der rote Korsar“ (Regie: Robert Siodmak) – ausdeut…
„Nichts verweist in Komers’ Darstellung auf das Genre oder gar Burt
Lancasters zirzensische Stunts in der Takelage. Statt des Stars feiert er
den Boxer und Black-Panther-Symphatisanten Muhammad Ali, dessen Porträt
hier in Warhol-Manier vierfach kopiert und unterschiedlich koloriert ist.“
## Skrupulöser Umgang mit den Menschen vor der Kamera
Hinzu kommen chronologische Erläuterungen „Zur Entstehung der Filmarbeiten“
aus Komers’ Hand und zwei ausführliche Gespräche mit Erb und dem
Filmwissenschaftler Michael Girke. Dabei entsteht beim Lesen zwischen den
verschiedenen Texten aus wiederkehrenden Fixpunkten (etwa der von Komers
geschilderten Erleuchtung durch die Konfrontation mit einem Text
Tarkowskijs zum Haiku) ein schöner Echo-Effekt, der diese fast plastisch
heraushebt.
Weitere zentrale Aspekte sind die Faszination beim Blick durch den
Kamerasucher, Komers’ skrupulöser Umgang mit den Menschen vor der Kamera
und die ähnlich „selbstbewusste“ Auseinandersetzung mit dem ästhetischen
Verhältnis von (Bewegt-)bild, Ton und Sprache.
Letztere führte den Sohn eines Stahlwerk-Direktors vom offensichtlich
politischen Dokumentarfilm über die Auseinandersetzung mit der Fotografie
zu den sogenannten „Landscape Listenings“ ab 1999: auf Filmfestivals
weltweit gezeigte und ausgezeichnete Filme mittlerer Länge ohne Dialog und
Kommentar, die zu sequentiell geschnittenen Aufnahmen industrialisierter
Landschaften dem Originalton eigenständige Präsenz geben.
Darunter sind die Trilogie „ErdBewegungen“ und das als Tetralogie angelegte
Projekt zu zerstörten Städten, das von „Kobe“ (2006) bis zu „Ruhr Recor…
(2014) reicht. Parallel realisierte Komers auch kürzere Arbeiten, die
gezielt mit dem Dialog von Bild und Sprache spielen.
2018 entsteht das oben angesprochene lange Porträt „Barstow, California“,
das mit seiner Hinwendung zu einer einzelnen, in einen Familienkontext
eingebetteten Person (die im Film nie zu sehen ist) und der präzisen
Montage von durch Jackson gesprochenen Texten mit dem Kreischen der durch
die weite Landschaft schleichenden Frachtzüge als integrierender Abschluss
der letzten Jahrzehnte stehen kann. „Barstow, California“ beendet mit
Würdigungen aus Festivalkatalogen und einem Grußwort von Jackson auch die
ausführliche Filmografie des Bandes.
Komers selbst hat längst seinen nächsten Film (wieder ein Porträt mit
Landschaft) gedreht, dem hoffentlich bald Weitere folgen: „Eine gesunde
Natur ist ihm gegeben, der er – auch als zäher Sportler – vieles
abverlangt“, heißt es in der als Vorspann abgedruckten „Abiturbewertung“
von 1963 durch den Klassenlehrer.
4 Feb 2023
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## AUTOREN
Silvia Hallensleben
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