# taz.de -- Doku über die Arbeiterkammer Wien: Wie betriebsame Räume sich lee… | |
> Der Dokumentarfilm „Für die Vielen“ von Constantin Wulff porträtiert die | |
> Arbeiterkammer Wien – unfreiwillig auch während der Pandemie. | |
Bild: Wer in Österreich arbeitet, ist meist Pflichtmitglied in der Arbeiterkam… | |
Unauffällig und doch deutlich sichtbar hat Architekt Franz Mörth das Kürzel | |
AK in die Fassade des 60er-Jahre-Baus im Wiener vierten Bezirk | |
eingearbeitet. Im Foyer des Hauptgebäudes der Wiener Arbeiterkammer | |
herrscht reger Betrieb, Mitarbeiter_innen verteilen die Menschen mit ihren | |
Anliegen auf die unterschiedlichen Wartebereiche. In den Stockwerken | |
darüber werden Menschen in allen Konflikten der Arbeitswelt beraten. | |
Mit wenigen Ausnahmen ist, wer in Österreich arbeitet, Pflichtmitglied in | |
der Arbeiterkammer des jeweiligen Bundeslandes. Die österreichischen | |
Arbeiterkammern übernehmen in Konfliktfällen die juristische Vertretung | |
ihrer Mitglieder. Der Dokumentarfilm „Für die Vielen“ porträtiert die | |
Arbeit der Wiener Arbeiterkammer, einer der zentralen Errungenschaften der | |
österreichischen Arbeiter_innenbewegung, die am Ende der K.-u.-k.-Monarchie | |
realisiert wurde. | |
Der neueste Film des österreichischen Dokumentarfilmregisseurs Constantin | |
Wulff beginnt mit dem Nebeneinander von alltäglicher Arbeit und den | |
Vorbereitungen für das 100. Jubiläum der Arbeiterkammer Wien im Winter | |
2019/20. Ein futuristischer Clip zeigt die bedrängte Gerechtigkeit in der | |
österreichischen Gesellschaft, prägende Figuren der Geschichte werden für | |
Kurzporträts ausgewählt, thematische Linien durch die Geschichte der | |
Institution geschlagen. | |
Gleichzeitig läuft die Kerntätigkeit der Arbeiterkammer weiter. In allen | |
Sprachen der österreichischen Einwanderungsgesellschaft werden | |
Beratungsgespräche zu gesundheitlichen Folgen der Arbeit geführt, | |
Arbeitsverträge und Kündigungen auf ihre Rechtmäßigkeit abgeklopft und | |
immer wieder Lohnforderungen eingetrieben. | |
Am Ende des Jahres verweist Renate Anderl, die Präsidentin der | |
Arbeiterkammer, stolz auf 5 Millionen Euro, die außergerichtlich | |
eingetrieben wurden. Stück für Stück bringt Wulff dem Publikum die | |
verschiedenen Facetten der Institution Arbeiterkammer näher, bekommt man | |
eine Vorstellung von den Tätigkeiten der gezeigten Personen und ihrer Rolle | |
in der Institution. | |
## Direct Cinema | |
Etwa zur Hälfte des Films bricht die Pandemie über die Welt, die | |
Arbeiterkammer und den Film herein. Wie überall stellen sich Fragen, mit | |
denen kurz zuvor niemand gerechnet hatte. Die Pandemie verdrängt die | |
Jubiläumskampagne von der Website. Jedes Wochenende werden die | |
Mitarbeiter_innen daran erinnert, Laptops samt Ladekabel mitzunehmen für | |
den Fall, dass die folgende Woche mit einem Lockdown beginnt. Die ehemals | |
betriebsamen Räume leeren sich. | |
Im Interview mit Austrian Films erklärt der Regisseur „da das allmähliche | |
Hereinbrechen der Pandemie schon Teil des Films geworden war, war klar, | |
dass der Film der Wirklichkeit weiterhin folgen musste. [1][Das ist ja der | |
Kern des Direct Cinema.] Dadurch hat sich das Konzept natürlich verändert: | |
Aus dem geplanten Institutionen-Porträt mit einigen Wochen Drehzeit ist | |
dann eine etwas längere Beobachtung geworden.“ | |
Wulff macht aus dem Unglück eine Tugend und dokumentiert, wie die | |
Arbeiterkammer Wien und das Netzwerk der Arbeiterkammern auf die | |
Herausforderungen der Pandemie reagieren, den Beratungsbetrieb schrittweise | |
umstellen, auf der Grundlage ihrer Erfahrungen mit Konfliktpotenzialen der | |
Arbeitswelt politische Forderungen entwickeln und Mindeststandards auch in | |
Zeiten der Pandemie formulieren. | |
Dennoch hätte man – heute, kurz nach Ende der mehr als drei Jahre währenden | |
Pandemie – gern den Film gesehen, der „Für die Vielen“ eigentlich hätte | |
werden sollen. | |
## Sichtbarkeit durch Pandemie | |
Dass Wulffs Film trotz des Einflusses der Pandemie sehenswert geblieben | |
ist, verdankt er einerseits seinem beobachtenden Ansatz, durch den der | |
Übergang vom Alltag vor und während der Pandemie in formaler Hinsicht | |
bruchlos bleibt; andererseits verändert die Pandemie zwar die Arbeitsweisen | |
der Arbeiterkammer, macht ihre Funktion als institutionalisierte | |
Interessenvertretung von Arbeitnehmer_innen aber zugleich sichtbarer, als | |
es ihre Arbeit in normalen Zeiten täte. | |
„Für die Vielen“ gibt Einblicke in die komplexe Arbeit einer außerhalb | |
Österreichs weitgehend unbekannten Institution. Die Arbeit der | |
Arbeiterkammer in den ersten Monaten der Pandemie erinnert an all die | |
Entscheidungen, die damals in kürzester Zeit getroffen wurden und an all | |
die arbeitsrechtlichen Fragen und Ausnahmeregelungen, die entwickelt | |
wurden. | |
29 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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