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# taz.de -- Deutscher Überfall auf die Sowjetunion: „Wer kennt Maly Trostine…
> Zum Gedenken an den deutschen Vernichtungskrieg im Osten sprach
> Frank-Walter Steinmeier. Der Bundespräsident fand deutliche Worte.
Bild: Deutsche Truppen überfallen ein Dorf zwischen Minsk und Smolensk
„Der verbrecherische Angriffskrieg trug die Uniform der Wehrmacht. An
seinen Grausamkeiten hatten auch Soldaten der Wehrmacht Anteil.“ 76 Jahre
von der bedingungslosen Kapitulation bis zu diesem Freitag mussten
vergehen, bis ein deutscher Bundespräsident diese Tatsache unumwunden so
sagte.
Frank-Walter Steinmeier fand diese Sätze bei seiner zentralen Rede zum 80.
Jahrestag des Überfalls der Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941.
Darin war klipp und klar von einem Vernichtungskrieg die Rede, ausgelöst
gegen eine gesamte Bevölkerung und mit dem Ziel geführt, diese Bevölkerung
umzubringen.
Steinmeier hatte sich dazu entschieden, diese Rede genau dort zu halten, wo
sie hingehörte: im Saal des Deutsch-Russischen Museums in
Berlin-Karlshorst, also dort, wo die Wehrmachtsspitze am 9. Mai 1945
[1][die Kapitulation unterzeichnet hatte], mit den Sowjets als den
Befreiern auch Deutschlands. Dass dieser Ort angesichts von heutigen
Kriegen und Spannungen auch Probleme bereiten würde, muss dem
Bundespräsidialamt bewusst gewesen sein, man hat es in Kauf genommen.
Tatsächlich boykottierte der ukrainische Botschafter in Berlin die
Veranstaltung. Botschafter Andrij Melnyk beklagte, dass das Museum nicht
umbenannt worden sei und deshalb mit seinem Namen das „perfide“ Narrativ
vermittle, das „große russische Volk“ hätte das Naziregime auch allein
besiegen können. Er verwies auf die großen Opfer der Ukrainer und brachte
die Erdgaspipeline Nord Stream 2 ins Spiel, verlangte eine Überprüfung der
deutschen Gedenkpolitik und nannte die Wahl des Gedenkorts einen „Affront“.
Der Bundespräsident ging auf die Vorwürfe nicht direkt ein, wiewohl das
Präsidialamt im Vorfeld deutlich gemacht hatte, dass es manche der Worte
des Botschafters für unangemessen halte. Aber Steinmeier brachte doch zum
Ausdruck, worin er die Verpflichtung Deutschlands für Zukunft und Gegenwart
sah: „Wir wollen und wir müssen alles tun, um Völkerrecht und territoriale
Integrität zu schützen und für den Frieden mit und zwischen den
Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zu arbeiten“, sagte er in
Richtung Russland, ohne Putins Staat beim Namen zu nennen. Und Steinmeier
erinnerte in diesem Zusammenhang an die Entspannungsbemühungen im Kalten
Krieg und an die Schlussakte von Helsinki vor bald 50 Jahren.
## Korrektur der Erinnerung
An Populisten und Nationalisten aller Couleur gerichtet, fand Steinmeier
deutliche Worte. „Wenn der Blick zurück auf eine einzige, nationale
Perspektive verengt wird, wenn Austausch über unterschiedliche Perspektiven
der Erinnerung zum Erliegen kommt oder verweigert wird, dann wird
Geschichtsschreibung zum Instrument neuer Konflikte, zum Gegenstand neuer
Ressentiments. Geschichte darf nicht zur Waffe werden!“
Steinmeier warb für eine Korrektur der Erinnerung im Bezug auf den Krieg
der Deutschen im Osten mit seinen 27 Millionen toten sowjetischen Menschen,
davon über die Hälfte Zivilisten. „Wer in Deutschland kennt [2][Maly
Trostinez] bei Minsk, wo mindestens 60.000 Menschen ermordet wurden? Oder
das Dörfchen Chatyn, das im Sommer 1943 dem Erdboden gleichgemacht wurde,
und sämtliche Einwohner getötet wurden – die Hälfte von ihnen Kinder?“
Besonders ging der Bundespräsident auf die über drei Millionen sowjetischen
Kriegsgefangenen ein, die in deutscher Lagerhaft ums Leben kamen. Diese
seien nicht als Gefangene angesehen worden, nicht als „Kameraden“. Und er
zitierte dabei den Generalquartiermeister des deutschen Heeres, der im
November 1941 angeordnet hatte: „Nichtarbeitende Kriegsgefangene haben zu
verhungern.“
18 Jun 2021
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## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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