| # taz.de -- Deutscher Buchpreis an Kim de l'Horizon: Die Woge soll fließen | |
| > Kim de l'Horizons Autofiktion „Blutbuch“ bekommt den Deutschen Buchpreis. | |
| > Der Roman ist eine Erforschung der Identitäten und des Schreibens | |
| > darüber. | |
| Bild: Kim de l'Horizon erforscht in „Blutbuch“ den mütterlichen Stammbaum … | |
| Wow. Wenn schon Familienroman, Autofiktion und all das, dann gleich an den | |
| radikalsten Roman, wird sich die Jury des Deutschen Buchpreises gedacht | |
| haben. Ausgezeichnet [1][wird nun also „Blutbuch“ von Kim de l'Horizon]. | |
| Kim de l’Horizon geht, sich selbst als nonbinär verstehend, in dieser | |
| Herkunftsrecherche den mütterlichen Stammbaum über viele Generationen | |
| zurück. Dabei ist das Buch gespickt mit Verweisen auf aktuelle | |
| identitätspolitische Diskurse, Reflexionen auf zeitgemäßes Erzählen, | |
| Sexszenen und, auch das, ist zwischendurch auch lustig. Die Wendung „etwas | |
| ins Förmchen goethen“ zum Beispiel möchte man sich merken. | |
| Das Gewinnerbuch wurde aus einer sehr anspruchsvollen Shortlist ausgewählt, | |
| auf der viele sehr unterschiedliche Familienromane standen. Die | |
| taz-Kollegin Fatma Aydemir war darunter, die in „Dschinns“ die Trauerarbeit | |
| und die sozialen Rollen einer deutsch-türkischen Familie zwischen | |
| Deutschland und Istanbul beschreibt. Kristine Bilkau erzählt in „Nebenan“ | |
| von der Dünnhäutigkeit der Beziehungen in der deutschen Provinz. Daniela | |
| Dröscher zeichnet, autofiktional grundiert, das Frauenleben ihrer Mutter in | |
| der alten Bundesrepublik als ambivalente Heldinnengeschichte nach. | |
| Jan Faktor schreibt in „Trottel“ seine Biografie zwischen Prag und | |
| Ostberlin in die Umwälzungen rund um den Niedergang des Sozialismus ein | |
| (oder andersherum). | |
| In allen diesen Romanen geht es viel um soziale Nahbeziehungen: Eltern, | |
| Familien, Herkünfte, Nachbarn, eingebunden in ihre gesellschaftlichen | |
| Rahmenbedingungen. Eckart Nickel dagegen besetzt mit seiner akkurat an | |
| allen Gegenwärtigkeiten vorbeigesetzten biedermeierlichen | |
| Ästhetizismusstudie „Spitzweg“ eine Position, die sich gegen alle anderen | |
| abhebt. | |
| ## Der Roman des Jahres | |
| Aus Anlass des Preisverkündung kann man noch einmal daran erinnern, dass | |
| beim Deutschen Buchpreis keineswegs der „beste“ Roman des Jahres | |
| ausgezeichnet werden soll, wie oft behauptet wird, sondern der „Roman des | |
| Jahres“, ohne „beste“. Wer immer diese Formulierung für die Statuten des | |
| Preises fand, er oder sie hat ein gutes Werk getan. | |
| Einen „besten“ Roman kann es gar nicht geben, denn dafür gibt es einander | |
| widerstreitende Kriterien. Einen „Roman des Jahres“ kann es aber schon | |
| geben; man muss sich nur drauf einigen. Und genau diesen Einigungsprozess | |
| soll – oder vielleicht besser: könnte – der Buchpreis repräsentieren, mit | |
| allem damit verbundenen Einleuchtenden und allen Fehlurteilen. | |
| Dass sich die diesjährige Jury auf Kim de l'Horizon einigen konnte, spricht | |
| für Lust darauf und Spaß daran, sich auch auf literarische Wagnisse | |
| einzulassen. Zugleich ist es ein sehr ernsthaftes Buch. An einer Stelle | |
| heißt es, dass „das Schreiben eine einzige Wellenlinie ist, eine von | |
| weither kommende Woge, die lange vor mir begonnen hat und noch lange nach | |
| mir weiterfliessen wird“. | |
| 17 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dirk Knipphals | |
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