# taz.de -- Der Fall Altun: Zerrieben im Streit um Asyl | |
> Vor 40 Jahren starb Cemal Kemal Altun, weil die BRD ihn an das Regime | |
> ausliefern wollte, das ihn verfolgte. Sein Schicksal politisierte damals | |
> viele. | |
Bild: 30. August 1983: Gerade hat sich hier Cemal Kemal Altun in den Tod gestü… | |
Der Umgang mit Geflüchteten treibt die deutsche Gesellschaft schon länger | |
um. In den letzten zehn Jahren kam es dabei zu einem Rechtsruck, der sich | |
im Erfolg rassistischer Organisationen wie [1][Pegida] sowie im | |
[2][Aufstieg der AfD] manifestierte; andererseits fanden gleichzeitig | |
bundesweite Gegenmobilisierungen und solidarische Aktionen mit | |
Geflüchteten statt. | |
In der öffentlichen Debatte wird diese breite gesellschaftliche | |
Unterstützung vor allem für [3][Geflüchtete aus Syrien 2015 und aus der | |
Ukraine ab 2022] häufig als neuartiges Phänomen betrachtet. Das ist in | |
Bezug auf das Ausmaß der Solidaritätsarbeit sicherlich richtig, vergisst | |
jedoch deren Vorgeschichte. Denn die Mobilisierungen der letzten Jahre | |
waren auch deshalb möglich, weil Geflüchteten- und (post)migrantische | |
Selbstorganisationen, linke Gruppen, Kirchen- und | |
Menschenrechtsorganisationen schon lange an der Etablierung solidarischer | |
Netzwerke gearbeitet hatten. | |
Angesichts zahlreicher Verschärfungen der westdeutschen Asyl- und | |
Migrationspolitik kam es bereits in den 1980er Jahren zu wichtigen | |
Versuchen, Geflüchtete zu unterstützen und vor Abschiebung zu schützen. Im | |
Zentrum dieser Entwicklung steht das Schicksal von Cemal Kemal Altun, der | |
1983 im Westberliner Verwaltungsgericht Suizid beging. Wie kein anderes | |
Ereignis motivierte sein Tod, der sich diesen Monat zum 4o. Mal jährt, die | |
junge Geflüchtetensolidaritätsbewegung in der Bundesrepublik. | |
## Eine Gesellschaft im Umbruch | |
Die deutsche Gesellschaft war zu dieser Zeit im Umbruch. 1978 hatte sich in | |
Berlin die Alternative Liste gegründet, 1980 kamen die Grünen, die in den | |
Folgejahren in die Parlamente einzogen. 1980 war das Jahr, in dem die | |
Anti-Atomkraft-Bewegung die „Republik Freies Wendland“ errichtete, ein | |
improvisierte Hüttendorf auf dem Gelände bei Gorleben, das für ein atomares | |
Endlager vorgesehen war. | |
Gleichzeitig war 1980 auch das Jahr, in dem in Westdeutschland erstmals | |
[4][mehr als 100.000 Asylgesuche gezählt wurden]. Die Zahl gingen danach | |
zurück, bis sie infolge des Bosnienkriegs mit [5][über 400.000 Geflüchteten | |
1992] einen neuen vorläufigen Höhepunkt erreichte. | |
1980 kamen die meisten Asylanträge von Menschen, die aus der Türkei | |
geflohen waren, wo sich das Militär an die Macht geputscht hatte. So auch | |
Cemal Kemal Altun. Er war als Schüler und Student in linken Gruppen in der | |
Türkei aktiv gewesen und kam 1981 nach Westberlin. Konkreter Anlass für | |
sein Asylgesuch waren Vorwürfe in der türkischen Presse, er sei an der | |
Ermordung des rechtsextremen Politikers Gün Sazak beteiligt gewesen. Die | |
deutschen Behörden informierten die türkische Militärregierung über Altuns | |
Asylantrag, woraufhin Letztere einen Haftbefehl gegen ihn erließ und seine | |
Auslieferung forderte. Trotz des laufenden Asylverfahrens wurde er im Juli | |
1982 in Berlin-Moabit in Auslieferungshaft genommen. Statt Altun Schutz zu | |
bieten, bot die BRD ihn, ohne zu zögern, dem Staat an, vor dem er geflohen | |
war. Damit war Altun gleich zwei zermürbenden juristisch-politischen | |
Prozeduren ausgesetzt: einem Asylverfahren auf der einen und einem | |
Auslieferungsverfahren auf der anderen Seite. | |
Im März 1983 war es dann so weit: Altun sollte nach Frankfurt am Main | |
gebracht werden, um an die Türkei ausgeliefert zu werden. [6][Altuns | |
Rechtsanwalt Wolfgang Wieland], ein Mitgründer der Alternativen Liste, der | |
später für die Grünen Justizsenator in Berlin wurde, versuchte gegen die | |
drohende Auslieferung das Bundesverfassungsgericht anzurufen, welches | |
aufgrund des Sonderstatus von Westberlin jedoch nicht entscheiden wollte. | |
Die Europäische Kommission für Menschenrechte in Straßburg nahm seine | |
Beschwerde an, kam aber zu dem Schluss, dass die Auslieferung rechtens sei, | |
solange die Türkei garantiere, dass Altun nach Abbüßung seiner Haftstrafe | |
wieder in die BRD zurückkehren dürfe. | |
Erst in letzter Minute wurde die Auslieferung ausgesetzt. Nachdem es zu | |
zahlreichen Protesten und Erklärungen bundesweiter Initiativen, | |
Abgeordneter verschiedener europäischer Länder, des UNHCR und | |
Menschenrechtsorganisationen gekommen war, hatte das Europäische Parlament | |
beim Bundesaußenministerium interveniert. | |
Nach langem Verfahren entschied das damalige Bundesamt für die Anerkennung | |
ausländischer Flüchtlinge im Juni 1983 schließlich positiv über Altuns | |
Asylantrag. An dem parallel laufenden Auslieferungsverfahren änderte dies | |
jedoch wenig. Ein Versuch von Wieland, gegen Altuns drohende Auslieferung | |
vor dem Berliner Kammergericht zu klagen, scheiterte. Das Gericht | |
ignorierte dabei Altuns Anerkennung als politischer Flüchtling durch das | |
Bundesamt. Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU), der sich ähnlich zur | |
heutigen AfD-Linie grundsätzlich gegen eine angebliche Gefährdung deutscher | |
Homogenität durch Immigration einsetzte, unterstrich derweil die Intention | |
der Bundesregierung, Altun an die Türkei auszuliefern. | |
Um die Auslieferung rechtlich zu unterstützen, klagte der damalige | |
Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten – eine heute nicht mehr | |
existierende Stelle, die durch das Bundesministerium des Innern besetzt | |
wurde – gegen die positive Entscheidung des Bundesamts. Altun befand sich | |
somit in einer verzweifelten Situation: Trotz offizieller Anerkennung als | |
politischer Flüchtling musste er darum bangen, diesen Status zu behalten, | |
und fürchten, an das türkische Militärregime ausgeliefert zu werden. | |
Wieland fasste 20 Jahre später beim Gedenken an Altun die Absurdität der | |
Lage so zusammen: „Du wirst in der Türkei politisch verfolgt und erhältst | |
deswegen Schutz bei uns. Dies gilt allerdings erst, nachdem wir dich deinen | |
Verfolgern wieder zwangsweise zugeführt haben.“ Nicht weniger als die | |
Frage, wie viel das deutsche Asylrecht tatsächlich wert ist, stand somit im | |
Fall Altun auf dem Spiel. | |
Mitten in diesem Hin und Her begann dann der Prozess am Berliner | |
Verwaltungsgericht, der über die Klage gegen Altuns Flüchtlingsstatus | |
entscheiden sollte. Altun hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 13 | |
Monate in Einzelhaft auf seine Auslieferung gewartet. Eine Zusicherung, | |
dass eine Auslieferung im Zeitraum des Gerichtsverfahrens ausgesetzt würde, | |
wurde von der Bundesregierung verweigert. Zu Beginn des zweiten | |
Verhandlungstags, am 30. August 1983, beendete Altun sein Leben, indem er | |
aus einem Fenster im sechsten Stock des Verwaltungsgerichts sprang. Er | |
starb im Alter von 23 Jahren. | |
Der Fall Altun katapultierte wie kein anderes Ereignis das Thema Asyl ins | |
öffentliche Bewusstsein. Das politisch-rechtliche Ringen um Altuns | |
Schicksal war 1983 dauerhaft von öffentlichem Protest begleitet. | |
Bemerkenswert war dabei die Bandbreite an Akteur*innen, die sich an den | |
Mobilisierungen beteiligten. An vorderster Stelle standen dabei Geflüchtete | |
selbst, vor allem türkische und kurdische Linke, die über Aktionen wie | |
Protestmärsche, Besetzungen und Hungerstreiks gegen die Auslieferungs- und | |
Abschiebepraxis der BRD protestierten. Unterstützt wurden diese von | |
verschiedenen bewegungslinken Gruppen, der Alternativen Liste | |
beziehungsweise den Grünen, kirchlichen Gruppen sowie Bürger- und | |
Menschenrechtsorganisationen. | |
## Mobilisierung weit über Westberlin hinaus | |
Von Beginn an mobilisierte der Fall Altun weit über Westberlin hinaus. | |
„Kemal ist überall, denn Abschiebeknäste sind überall“, sagt der Hamburg… | |
Journalist Adil Yiğit, ein damaliger Freund und Genosse von Altun. In | |
verschiedenen westdeutschen Städten gründeten sich Initiativen für die | |
Unterstützung Altuns wie etwa die „Initiative für die Freiheit von C. K. | |
Altun in Lübeck“ oder das „Komitee für die Freilassung von Cemal Kemal | |
Altun“ in Hamburg und Westberlin. | |
Sie versuchten gegenüber Politik und Behörden Druck aufzubauen. Im März | |
1983 protestierten Abgeordnete der Alternativen Liste und der Grünen in | |
Frankfurt am Main unter der Aufschrift „Diese Abschiebung ist Mord“ gegen | |
die anstehende Auslieferung Altuns. Mitte August 1983 erstattete die | |
deutsche Sektion von Amnesty International zusammen mit der | |
Humanistischen Union sowie der Liga für Menschenrechte eine – letztlich | |
erfolglose – Strafanzeige gegen Bundesjustizminister Hans Engelhard (FDP) | |
wegen „Vorbereitung der Verschleppung“. | |
Die wohl aufsehenerregendste Aktion fand allerdings in Bonn statt, wo sich | |
verschiedene Grünen-Politiker*innen wie Petra Kelly zusammen mit dem | |
Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann, einem Mitglied des „Komitees“ und | |
anderen in einen Metallkäfig sperrten, der am Zaun des Bundeskanzleramts | |
befestigt war. Die Aktion war nicht zuletzt aufgrund der prominenten | |
Teilnahme öffentlichkeitswirksam und schaffte es sogar in die „Tagesschau“. | |
Einen Höhepunkt erreichten die Protestaktivitäten [7][nach Altuns Suizid]. | |
„Solibewegungen sprangen wie Pilze aus dem Boden“, erinnert sich Yiğit. In | |
Hamburg demonstrierten über 3.000 Personen und auch in Frankfurt am Main, | |
Hannover und Dortmund kamen Hunderte für spontane Demonstrationen zusammen. | |
Wenig überraschend fand die größte Mobilisierung in Westberlin statt, wo am | |
31. August 1983, am Tag nach Altuns Tod, etwa 10.000 Menschen auf die | |
Straße gingen. Auch beim Trauermarsch anlässlich seiner Beerdigung in | |
Berlin-Mariendorf wenige Tage später nahmen etwa 6.000 Menschen teil. | |
Die Titelseite der taz war am Tag nach seinem Tod ganz in Schwarz gehalten. | |
Zu sehen war nur ein schwarz-weißes Porträt von Altun, das wenige Minuten | |
vor seinem Sprung in den Tod aufgenommen worden war, mitsamt der schlichten | |
Überschrift „Cemal Kemal Altun ist tot“. Darunter wurde ein Gedicht von | |
Bertolt Brecht abgedruckt, dass in den darauffolgenden Wochen und Monaten | |
noch unzählige Male zitiert werden sollte: | |
„Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch | |
stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, | |
einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode | |
schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur | |
weniges davon ist in unserem Staat verboten.“ | |
Diese Demonstrationen und Interventionen rückten die Problematik der | |
Auslieferung – vor allem an die Türkei – in den Mittelpunkt der | |
öffentlichen Kritik. Altuns Schicksal wurde als Sinnbild der potenziell | |
tödlichen Folgen des deutschen Asyl- und Abschiebesystems verstanden. An | |
der Praxis änderte sich jedoch wenig. Allein in den zwei Monaten nach | |
Altuns Tod wurden circa 60 Personen an das türkische Militärregime | |
ausgeliefert. | |
Über die unmittelbare Mobilisierung hinaus stellte der Fall Altun einen | |
zentralen Meilenstein in der Geschichte der | |
Geflüchtetensolidaritätsbewegung in der BRD dar. Zwar waren schon in den | |
Jahren zuvor erste Initiativen und Kampagnen entstanden, etwa der 1981 | |
gegründete erste Flüchtlingsrat in Westberlin. | |
Doch ließen sich insgesamt nur wenige Menschen für die Belange Geflüchteter | |
mobilisieren. Diese hatten seit den späten 1970er Jahren mit immer größeren | |
rechtlichen Hürden vor dem Zugang zum Asylverfahren, mit der wachsenden | |
Gefahr von Abschiebungen sowie mit zahlreichen behördlichen Schikanen von | |
der Einführung der Residenzpflicht bis zur Auszahlung von Sozialhilfe in | |
Sachleistungen und Essensgutscheinen zu kämpfen. | |
Durch die Solidaritätsarbeit für Altun entstanden erstmals Bündnisse und | |
Kampagnen, denen es gelang, auch eine breitere Öffentlichkeit anzusprechen. | |
So nahmen zahlreiche Menschen Mitte der 1980er Jahre an der „Aktion | |
Wertgutscheine“ teil, die von der Alternativen Liste, linken und | |
kirchlichen Gruppen initiiert worden war. Hier wurden die Einkaufsmarken, | |
mit denen der Alltagskonsum von Asylbewerber*innen reglementiert | |
wurde, gegen Bargeld eingetauscht. | |
## Startschuss zum Kirchenasyl | |
Darüber hinaus blieben viele Netzwerke, die sich im Rahmen der | |
Altun-Solidarität gebildet hatten, [8][weiter aktiv]. So löste Altuns | |
plötzlicher Suizid zum Beispiel unter den Gemeindemitgliedern der Berliner | |
Heilig-Kreuz-Kirche, die sich seit Monaten solidarisch gezeigt hatten, | |
Entsetzen aus und motivierte sie dazu, sich der bundesdeutschen | |
Abschiebepolitik aktiver zu widersetzen. Nachdem 1983 das Abschiebeverbot | |
in den Libanon zeitweise ausgesetzt worden war, gewährte die Gemeinde unter | |
ihrem damaligen Pfarrer Jürgen Quandt einer von Abschiebung bedrohten | |
palästinensischen Familie im Gemeindehaus Kirchenasyl. | |
Es war der Startschuss für die bald bundesweit aktive Kirchenasylbewegung, | |
die in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zu einem wichtigen | |
zivilgesellschaftlichen Korrektiv der bundesdeutschen Asylpolitik wurde. | |
Das Kirchenasyl ersetzt keinen rechtlichen Flüchtlingsschutz, kann aber | |
Abschiebungen in der Regel verzögern oder verhindern. Seit den Anfängen in | |
den 1980er Jahren konnten bereits Tausende Geflüchtete auf diese Weise | |
Schutz vor drohenden Abschiebungen finden. Seit 2014 ist die Zahl der | |
dokumentierten Kirchenasyle in Deutschland stark gestiegen, wobei | |
sogenannte Dublin-Fälle – also die jener Personen, die in andere EU-Staaten | |
„rückgeführt“ werden sollen – einen großen Anteil ausmachen. Aktuell w… | |
über 650 Personen in ganz Deutschland vor Abschiebung geschützt. | |
Neben der Kirchenasylbewegung entstanden auch weitere Versuche, | |
Geflüchteten direkten Schutz vor Abschiebung zu bieten. In Zusammenarbeit | |
mit Kirchen- und Menschenrechtsorganisationen etablierten vor allem linke | |
Gruppen „freie Flüchtlingsstädte“ und „Fluchtburgen“. Unter dem Motto… | |
Abschiebungen zu Recht werden, wird Widerstand zur Pflicht“, wurde hier in | |
Städten wie Westberlin, Bremen und Oldenburg praktische Unterstützung zum | |
Beispiel über Unterbringungsmöglichkeiten für abschiebungsgefährdete | |
Geflüchtete organisiert. Sie waren somit wichtige Vorläufer heutiger | |
Initiativen wie der „Solidarity Cities“ oder „[9][Sicheren Häfen]“, zu | |
denen sich aktuell 321 Städte in Deutschland erklärt haben. | |
Auch für die Gründung der bis heute bundesweit tätigen Organisation Pro | |
Asyl im Jahr 1986 stellte der Fall Altun einen zentralen Referenzpunkt dar. | |
Im Jahr 2002 erklärte die Organisation den 30. August – Altuns Todestag – | |
zum bundesweiten Gedenktag für die Todesopfer in Abschiebungshaft, an dem | |
seither regelmäßig gegen die deutsche und europäische Migrations- und | |
Abschiebepolitik demonstriert wird. Das Gedenken stellt Altuns Schicksal | |
explizit in den Kontext einer umfangreichen Gewaltgeschichte des bis heute | |
ungebrochenen deutschen Abschiebungsregimes. | |
Die Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative Berlin listet für | |
die Jahre 1993 bis 2021 415 Fälle auf, in denen Menschen sich angesichts | |
ihrer drohenden Abschiebung das Leben nahmen oder beim Versuch starben, vor | |
ihrer Abschiebung zu fliehen. Zusätzlich starben fünf Geflüchtete während | |
ihrer Abschiebung. Die meisten von ihnen bleiben bis heute unbekannt. | |
In den letzten Jahrzehnten gab es verschiedene Versuche, das Erinnern an | |
Altun wachzuhalten. Kurz nach seinem Tod sprühte eine unbekannte Person im | |
Hamburger Stadtteil Ottensen den Namen „Kemal-Altun-Platz“ an eine | |
Plakatwand. Auch in Kassel wurde 1988 in Anwesenheit von Altuns Bruder ein | |
Platz in der Nordstadt von Aktivist*innen als „Kemal-Altun-Platz“ | |
eingeweiht. | |
Doch vergleichbar mit zahlreichen anderen Gedenkinitiativen hat sich die | |
offizielle Anerkennung in beiden Städten als zäh erwiesen. Auch wenn sich | |
der Hamburger „Kemal-Altun-Platz“ über die Jahrzehnte eingebürgert hat | |
[10][und mittlerweile entsprechend ausgeschildert wird], erkennt die | |
Stadtverwaltung die Namensgebung bis heute nicht offiziell an. In Kassel | |
trägt der Kemal-Altun-Platz seinen Namen erst seit Januar 2021 offiziell. | |
Ähnlich sieht es in Berlin aus: Auf Anregung der Internationalen Liga für | |
Menschenrechte hatte die Bezirksverordnetenversammlung in | |
Berlin-Charlottenburg bereits 1988 beschlossen, eine Gedenktafel vor dem | |
Gerichtsgebäude, wo Altun gestorben war, anzubringen. Nach zähen | |
Abstimmungen wurde erst 1996 ein vom Bildhauer Akbar Behkalam erstelltes | |
Denkmal [11][von der damaligen Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel (SPD) | |
enthüllt]. | |
Das Gedenken an Cemal Kemal Altun hat nichts von seiner Bedeutsamkeit | |
verloren. Angesichts des weltweiten Einflussgewinns autoritärer Regime ist | |
der Schutz vor Abschiebung und Auslieferung dringender denn je. | |
Gleichzeitig herrscht in Deutschland ein rassistisches Klima, in dem die | |
meisten politischen Parteien sich mit Vorschlägen zur Einschränkung | |
asylrechtlicher Mindeststandards überbieten. Allein im ersten Halbjahr 2023 | |
wurden 7.861 Personen abgeschoben. „Es ist unverschämt, dass die | |
Abschiebeknäste wieder voll sind. Es ist unverschämt für die deutsche | |
Geschichte“, sagt Yiğit. | |
Der Fall Altun mahnt an die ungebrochene Gewaltgeschichte deutscher | |
Abschiebepolitik. Gleichzeitig erinnert er daran, wie wichtig es ist, | |
dauerhafte Solidaritätsnetzwerke zu etablieren. Denn, so Yiğit, „wäre die | |
Solibewegung vor seinem Tod so groß gewesen wie danach, hätte seine | |
Abschiebung verhindert werden können“. | |
Tanita Jill Pöggel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum | |
für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin. Sie promovierte über | |
die Geflüchtetensolidaritätsbewegung in der BRD von den 1980er Jahren bis | |
zum „Asylkompromiss“ von 1992/93. | |
30 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Rechte-und-Verfassungsschutz/!5765763 | |
[2] /Wahlerfolge-der-AfD/!5948247 | |
[3] /Integration-ukrainischer-Gefluechteter/!5845074 | |
[4] https://www.frsh.de/fileadmin/schlepper/schl_54/s54_23-25.pdf | |
[5] https://www.bpb.de/themen/migration-integration/zahlen-zu-asyl/265708/asyla… | |
[6] /Tod-von-Cemal-Altun/!5060206 | |
[7] /Todestag-von-Cemal-Kemal-Altun/!5060209 | |
[8] /35-Jahre-Kirchenasyl/!5529737 | |
[9] https://www.seebruecke.org/sichere-haefen/haefen | |
[10] /Neue-Schilder-am-C-Kemal-Altun-Platz/!5915285 | |
[11] https://www.gedenktafeln-in-berlin.de/gedenktafeln/detail/cemal-kemal-altu… | |
## AUTOREN | |
Tanita Jill Pöggel | |
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