| # taz.de -- Nachruf auf Akbar Behkalam: Erzähler der Ungerechtigkeit | |
| > Der aserbaidschanisch-persische Künstler Akbar Behkalam ist tot. Er besaß | |
| > ein tiefes Bewusstsein für sich verschränkende Formen von | |
| > Diskriminierung. | |
| Bild: Akbar Behkalam in seinem Berliner Atelier in Tiergarten, 2004 | |
| Eine Skulptur in der Hardenbergstraße unweit des ehemaligen Berliner | |
| Verwaltungsgerichts [1][erinnert an Cemal Kemal Altun], einen politischen | |
| Flüchtling aus der Türkei. Das Kunstwerk aus dem Jahr 1996 stammt von Akbar | |
| Behkalam. Ein etwa vier Meter hoher Granitblock scheint aufzubrechen. Es | |
| sind die Bruchspuren eines kopfüber gestürzten Menschen, dessen Arme und | |
| Hände noch zu erkennen sind. 1983 nahm sich Altun während seines | |
| Abschiebeverfahrens das Leben, indem er aus dem Fenster des sechsten Stocks | |
| des Oberverwaltungsgerichts sprang. | |
| „Politisch Verfolgte müssen Asyl erhalten“, mahnt die Inschrift auf der | |
| Skulptur. Die schmerzliche Erinnerung an diesen Sprung wird Behkalam auch | |
| Jahrzehnte später nicht losgelassen haben. | |
| Akbar Behkalam war zeitlebens ein politisch engagierter Künstler mit einem | |
| tiefen Bewusstsein für die sich verschränkenden Formen von | |
| Diskriminierungen. Seine Familie gehörte zur aserbaidschanischen Minderheit | |
| im damaligen Persien. In der Schule darf er kein Aserbaidschanisch mehr | |
| sprechen. Dies ist der Moment, wo er für sich nach einem Ausdruck sucht, | |
| die von vielen Menschen gleichermaßen verstanden wird. Er findet sie sehr | |
| früh in der Kunst. | |
| Als „Gastarbeiter“ nach Deutschland | |
| 1967 zieht er von Täbris nach Istanbul, um dort an der Hochschule der | |
| Schönen Künste in Istanbul bei dem renommierten Maler Bedri Rahmi Eyüboğlu | |
| zu studieren. In den Semesterferien reist er nach Deutschland, um als | |
| „Gastarbeiter“ Geld zu verdienen und sich mit den Werken seiner | |
| Kolleg*innen vertraut zu machen. | |
| Als er sich nach dem Studium in Teheran professionalisieren will und eine | |
| Stelle als Dozent an der Kunstakademie antritt, erlebt er wie das | |
| Schah-Regime Intellektuelle und Künstler*innen durch willkürliche | |
| Inhaftierungen einschüchtert. | |
| In der Hoffnung, sich der Kontrolle des Regimes ein wenig entziehen zu | |
| können, kehrt er nach Täbris zurück, um dort Kunst zu unterrichten. Der | |
| iranische Geheimdienst Savak verhindert, dass er seinem Beruf nachgehen | |
| kann. Er verlässt das Land und startet ein neues Leben in Berlin. | |
| Hier entsteht eine beeindruckende Reihe an Gemälden aber auch Wandbilder im | |
| öffentlichen Raum, die er „Bewegungsbilder“ nennt. Es sind Menschen, die | |
| sich auf den Straßen zu Gruppen formieren. Protestierende, die die Straßen | |
| besetzen wollen, während sie gleichzeitig versuchen, der Staatsgewalt zu | |
| entkommen. | |
| Protestbilder in Kreuzberg | |
| Erst zeigen seine Werke Szenen des Widerstands in Iran und allmählich | |
| verlagern sich die Motive zu Protestbildern in Kreuzberg. Behkalam hat sein | |
| Atelier im [2][Künstlerhaus Bethanien]. „Auf meinen täglichen Fahrten durch | |
| die Stadt sehe ich Ungerechtigkeit und Armut, die mich an meine Jugend | |
| erinnern“, schreibt er 1981 im Katalog zu seiner Einzelausstellung im | |
| Kunstamt Kreuzberg. | |
| Er malt Bilder von Hausbesetzer*innen, die sich gegen die Polizei | |
| behaupten. Dabei fragt er sich, wie es sein kann, dass in Berlin trotz der | |
| Wohnungsnot so viele Wohnungen leer stehen. | |
| Es sind nicht nur die Motive, die zwei Kulturen miteinander verbinden, | |
| sondern auch die Maltechnik. Dabei lässt er sich von der Ästhetik der | |
| persischen Miniatur inspirieren. Besonders fasziniert ihn, wie diese | |
| Buchillustrationen ganze Geschichten auf nur einem Blatt erzählen können. | |
| „Wenn jemand mein Bild sieht, muss er sehen, worum es geht“, schreibt er | |
| über diese Arbeiten. | |
| Seine Werke sind heute in bedeutenden Sammlungen vertreten, darunter in der | |
| Berlinischen Galerie und in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans. | |
| Doppelte demokratische Kämpfe | |
| Künstler*innen wie Akbar Behkalam, die Deutschland als | |
| [3][„Gastarbeiter“] kennengelernt hatten und später Werke produzierten, die | |
| sich für ihre Anliegen einsetzten, war kein Narrativ, das ich aus meinem | |
| Kunstgeschichtsstudium kannte, geschweige denn die engagierten Allianzen | |
| zwischen Künstler*innen mit ähnlichen Migrationsbiografien. | |
| Ich hatte das große Glück, mit ihm als Kurator für eine Gruppenausstellung | |
| in Frankfurt am Main zusammenzuarbeiten. Er erzählte von den doppelten | |
| demokratischen Kämpfen, einmal in seinem Herkunftsland und zum anderen in | |
| der BRD. Akbar Behkalam ist ein Künstler, der meiner Generation eine | |
| Geschichte der Migration und ihrer vielfältigen Allianzen eröffnet hat, die | |
| weit über die individuellen Familiengeschichten hinausgeht. | |
| Gürsoy Doğtaş ist Kunsthistoriker, Kurator und zur Zeit QuiS Visiting | |
| Research Fellow an Städelschule und Goethe Universität in Frankfurt. | |
| 12 Feb 2025 | |
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