# taz.de -- Tod von Cemal Altun: „Dieser Fall war einmalig tragisch“ | |
> Heute vor 30 Jahren nahm sich der türkische Flüchtling Cemal Kemal Altun | |
> mit einem Sprung aus dem Gerichtssaal das Leben. Wolfgang Wieland (Grüne) | |
> war Altuns Anwalt. | |
Bild: Erlebte den Tod von Cemal Altun im Gerichtssaal: Wolfgang Wieland, | |
taz: Herr Wieland, wieso gibt es nach 30 Jahren noch eine | |
Gedenkveranstaltung zum Schicksal von Cemal Altun? | |
Wolfgang Wieland: Weil dieser Fall einmalig tragisch war. Ein anerkannter | |
Flüchtling wurde denunziert, und die deutsche Justiz hat seinen Asylantrag | |
nicht etwa zügig bearbeitet, sondern dem Verfolgerstaat mitgeteilt: „Hier | |
ist jemand, der könnte für euch interessant sein.“ Die türkische Regierung | |
hat direkt einen Auslieferungsantrag gestellt. Cemal Altun kam in | |
Einzelhaft nach Moabit. Monatelang. Bis er am Ende so von den Mahlsteinen | |
der Justiz zerrieben war, dass er den Freitod wählte. | |
Hat man aus dem Fall gelernt? | |
Ein Auslieferungsverfahren mit dieser Dramatik gab es danach nicht mehr. | |
Das Schicksal von Cemal Altun hat sicher abgeschreckt. Dabei hat sich die | |
Gesetzeslage nicht geändert. Rein abstrakt wäre es auch heute noch möglich, | |
dass man einen anerkannten Asylberechtigten ausliefert. Die Sensibilität | |
ist also enorm gestiegen, aber das macht Cemal natürlich nicht wieder | |
lebendig. | |
Sie saßen im Verhandlungssaal, als Altun sich tötete. | |
Er saß zwischen den Dolmetschern und mir, die Verhandlung hatte noch nicht | |
begonnen. Ich wunderte mich, warum er aufsteht. Dann waren wir alle wie | |
erstarrt. Dieser Sprung in den Tod war ein Trauma für mich. Er war | |
unvorhergesehen – in einer Situation, in der wir faktisch schon gewonnen | |
hatten. | |
Welche Reaktionen löste der Suizid damals aus? | |
Es gab ganz viel Anteilnahme. Die hatte es aber auch schon gegeben, als er | |
noch lebte. Das war ein Wettlauf gegen das Auslieferungsbestreben. Viele | |
Institutionen wie die Internationale Liga für Menschenrechte oder Terre des | |
Hommes haben im direkten Dialog mit der Bundesregierung den Kampf um die | |
Freilassung geführt. Als sich dann die Nachricht von seinem Tod | |
verbreitete, war das ein Schock. Der Trauerzug durch Kreuzberg wurde zur | |
politischen Manifestation. | |
Im Zusammenhang damit entstanden neue Initiativen. | |
Ja, einige wie der Pfarrer Jürgen Quandt hatten sich sehr für Altun | |
engagiert. Aufgrund dieser Erfahrung wollten sie im Nachhinein noch mehr | |
leisten als individuelle Hilfe und schlossen sich zum Beispiel zu „Aysl in | |
der Kirche“ zusammen. | |
Ist Asylpolitik immer noch ein wichtiges Thema für Sie? | |
Sicher. In der Fraktion beschäftige ich mich damit nicht, ich habe | |
Kollegen, die dieses Thema abdecken. Aber mein persönliches Interesse | |
brennt immer noch – Stichwort Hellersdorf. Solange wir politische | |
Flüchtlinge in der Bundesrepublik so schlecht behandeln, muss man engagiert | |
bleiben. | |
INTERVIEW: MILENA MENZEMER | |
29 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Milena Menzemer | |
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