| # taz.de -- Neue Schilder am C. Kemal-Altun-Platz: Schritt für Schritt zum Ged… | |
| > In Hamburg-Ottensen erinnert ein Platz an Cemal Kemal Altun, der zum | |
| > Opfer der deutschen Asylpolitik wurde. Offiziell umbenannt wurde der | |
| > Platz nie. | |
| Bild: Parkanlage in Hamburg-Ottensen: Hier soll bald vollständig an Cemal Kema… | |
| HAMBURG taz | Es ist ein sonniger Nachmittag im Februar in Ottensen, dem | |
| Hamburger Stadtteil, der einmal Arbeiterkiez war und heute | |
| Gentrifizierungsparadebeispiel ist. Adil Yiğit läuft über einen Platz, der | |
| Kemal-Altun-Platz heißt und zugleich nicht so. Wenn am Montag die | |
| Ergänzungstafeln aufgehängt werden, die erklären, wer Altun war und warum | |
| er starb, wird Yiğit seinem Ziel einen großen Schritt näher sein. Yiğit hat | |
| 40 Jahre dafür gekämpft. | |
| Auf den neuen Schildern wird „C. Kemal-Altun-Platz“ stehen. Das „C“ ste… | |
| für „Cemal“, den ersten Vornamen Altuns, an den zu Beginn oft nur als | |
| „Kemal Altun“ erinnert wurde. Altun wurde 1960 in der Türkei geboren. Schon | |
| als Schüler war er politisch aktiv und organisierte sich in einer linken | |
| Gruppe. Weil er Reden hielt und Flugblätter verteilte, wurde er immer | |
| wieder von nationalistischen Kräften angegriffen. Nach dem Militärputsch | |
| 1980 wurden Regimekritiker*innen aus seinem Umfeld verhaftet, | |
| gefoltert oder ermordet. | |
| Altun floh als Student nach West-Berlin zu seiner dort lebenden Schwester. | |
| Als er erfuhr, dass die türkischen Behörden ihm einen Mord unterstellten, | |
| beantragte er politisches Asyl. Die deutsche Justiz erfuhr von seinem | |
| Asylantrag und fragte – statt diesen schnell zu bearbeiten – in der Türkei | |
| an, ob diese Interesse an einer Auslieferung habe. Sie hatte. Am 21. | |
| Februar 1983 bewilligte die Bundesregierung die Auslieferung Altuns an die | |
| Türkei. | |
| Es folgten europaweite Solidaritätsbekundungen; die Abschiebung wurde | |
| zwischenzeitlich gestoppt. Im August 1983 wurde Altuns Auslieferung in | |
| Berlin erneut verhandelt, [1][obwohl laut seinem Anwalt] sein Asylantrag | |
| anerkannt worden war. Durch das Verfahren in die Enge getrieben, tötete | |
| sich Altun am zweiten Verhandlungstag, dem 30. August 1983 selbst. | |
| ## Solidarität aus Hamburg | |
| Altuns Tod sorgte bundesweit für Aufsehen und führte unter anderem [2][zur | |
| Gründung von „Pro Asyl“ und zum Aufkommen des Kirchenasyls]. Kurz nach | |
| Altuns Tod sprühte jemand „Kemal-Altun-Platz“ auf eine Plakatwand, die den | |
| Platz damals eingrenzte. „Wer das gemacht hat, ist unwichtig. Wichtig ist, | |
| dass es geschehen ist“, sagt Wolfgang Ziegert, der seit den 1970ern in | |
| Ottensen lebt und an den Kämpfen um den Platz beteiligt war. | |
| Anwohner*innen hatten das brachliegende Werksgelände der | |
| Maschinenfabrik Menck & Hambrock als Freiraum für sich beansprucht. Eine | |
| Bürgerinitiative sorgte schließlich dafür, dass es als Park erhalten wurde. | |
| Warum wird hier in Hamburg, einer Stadt, zu der Cemal Kemal Altun keinen | |
| Bezug hatte, an ihn erinnert? „Hamburg war eine Hochburg für Solidarität“, | |
| sagt der Journalist Yiğit, der ein Freund Altuns war und wie er aus | |
| politischen Gründen aus der Türkei flüchten musste. „Ich habe die Türkei | |
| mit den gleichen Schmerzen und Sorgen verlassen müssen wie er.“ | |
| Das „Abschiebetheater“, so nennt Yiğit es, habe „Altuns Leben und das | |
| seiner Familie kaputt gemacht“. Schon während der Gerichtsverfahren hat | |
| Yiğit gemeinsam mit anderen auf dem späteren Altun-Platz | |
| Solidaritätsaktionen für den Freund organisiert, aber auch andere | |
| politische Veranstaltungen und Kinderfeste. | |
| Nachdem der Name „Kemal-Altun-Platz“ zunächst eher in den | |
| links-alternativen Bevölkerungsteilen Ottensens benutzt wurde, etablierte | |
| sich der Name schon nach zwei bis drei Jahren in der breiteren Bevölkerung. | |
| Auch in den folgenden Jahren blieb die Erinnerungsarbeit im wörtlichen Sinn | |
| handgemacht. [3][2012 stellten Bürger*innen selbstgebaute blaue | |
| Straßenschilder] mit Altuns Namen auf. | |
| „Nach einer Woche waren die weg“, erinnert sich Yiğit. „Wir hatten erst | |
| Panik und haben uns gefragt, was da los ist.“ Dann habe man beim Bezirksamt | |
| angerufen, das mitteilte, dass die Schilder nicht die gleiche Optik wie die | |
| offiziellen Straßenschilder haben dürften. Der Bezirk stellte schließlich | |
| die weißen Schilder auf, die bis heute dort stehen. | |
| Inzwischen wirbt die Stadt Hamburg [4][auf ihren touristischen Infoseiten] | |
| mit der Geschichte des Platzes und Anwohner*innen treffen sich auf dem | |
| „Kemal“ im Sommer zum Bier. Aber „viele wissen nicht, wer Kemal Altun ist… | |
| sagt Yiğit. „Ich bin durch die Kneipen gegangen. Die Leute dort sagten mir, | |
| dass die Touristen fragen, wer Kemal Altun ist.“ Das sollen die Schilder, | |
| die am Montag aufgestellt werden, nun ändern. | |
| Offiziell umbenannt wurde der Platz nie, obwohl die Altonaer | |
| Bezirksversammlung das gleich zweimal beantragt hat. Beim ersten Mal, 1991, | |
| hatte das türkische Generalkonsulat „scharf protestiert“. Einen zweiten | |
| Antrag der Bezirksversammlung aus dem Jahr 2012 lehnte die Kulturbehörde | |
| ohne Begründung ab. Ein Sprecher der Behörde erklärte damals gegenüber der | |
| taz, dass der Bezug zu Hamburg fehle. Der Linken-Politiker Ziegert vermutet | |
| allerdings, [5][dass dies „aus Rücksichtnahme auf das türkische Konsulat“] | |
| geschah. | |
| Am Donnerstag teilte die Kulturbehörde auf Nachfrage der taz mit, dass | |
| aktuell „kein Beschluss auf Änderung der 2012 gefundenen Lösung“ vorliege. | |
| Jenseits von Hamburg scheint man den Ortsbezug weniger wichtig zu finden: | |
| In Kassel, zu dem Altun ebenfalls keine biografische Verbindung hatte, gibt | |
| es seit 2021 einen offiziellen „Kemal-Altun-Platz“. | |
| Adil Yiğit ist sich sicher, dass der Platz trotzdem irgendwann einmal | |
| offiziell umbenannt werden wird. „Wasser findet irgendwann seinen Weg“, | |
| sagt der 64-Jährige. Zur Enthüllung der Schilder und Tafeln am Montag | |
| sollen 15 bis 20 Menschen kommen, die „die damalige Lage kennen“. Im Sommer | |
| plant er zu Altuns 40. Todestag eine große Veranstaltung, zu der auch | |
| dessen Bruder Ahmed Altun, Altuns Anwalt und der Liedermacher Wolf Biermann | |
| eingeladen werden sollen, [6][der ein Lied über Altun] geschrieben hat. | |
| Danach will Yiğit abschließen. „Ich habe genug geschafft.“ | |
| Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie | |
| können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (☎ 0800-111 0 | |
| 111 und ☎ 0800-111 0 222) oder [7][www.telefonseelsorge.de] besuchen. | |
| 17 Feb 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Tod-von-Cemal-Altun/!5060206 | |
| [2] /Todestag-von-Cemal-Kemal-Altun/!5060209 | |
| [3] https://www.abendblatt.de/hamburg/article107799129/Gruenanlage-in-Ottensen-… | |
| [4] https://www.hamburg-tourism.de/sehen-erleben/gruenes-hamburg/parks-gruenanl… | |
| [5] /Umbenennung-oder-nicht/!5099736 | |
| [6] https://www.youtube.com/watch?v=BSTkhCWvySU | |
| [7] https://www.telefonseelsorge.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Franziska Betz | |
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