| # taz.de -- Bertelsmann-Studie zu Willkommenskultur: Es geht bergauf | |
| > Migration war in den vergangenen Jahren ein Reizthema. Eine neue Studie | |
| > zeigt nun, dass immer mehr Menschen Zuwanderung als Chance sehen. | |
| Bild: Teilnehmer eines Einbürgerungstests in Berlin | |
| Berlin taz | Die Ampel-Koalition will neue Töne anschlagen. Doch manch | |
| markige Aussage klingt, als säße noch immer die Union vor den Mikrofonen. | |
| „Es muss klar sein, dass Menschen, die unsere Werte nicht teilen und die | |
| straffällig werden, nicht bei uns bleiben können“, sagte Anfang der Woche | |
| der designierte FDP-Generalsekretär Biahn Djir-Sarai. Es ist das ewige | |
| Mantra des [1][Geflüchteten], der sich der Integration verweigere, wenn | |
| nicht Schlimmeres. Gesamtgesellschaftlich aber nimmt der Fokus auf die | |
| Chancen von Migration zu. Das zeigt [2][eine aktuelle Studie] der | |
| Bertelsmann-Stiftung. | |
| Der repräsentativen Studie mit dem Titel „Willkommenskultur zwischen | |
| Stabilität und Aufbruch“ zufolge nehmen optimistische Einstellungen zur | |
| Migration in der Bundesrepublik zu. Ablehnende oder skeptische | |
| Einstellungen seien weiterhin deutlich spürbar, gingen aber langsam und | |
| ebenfalls kontinuierlich zurück. So stehe etwa die Aufnahmebereitschaft | |
| Geflüchteten gegenüber in der aktuellen Befragung „erstmals wieder an einem | |
| ähnlichen Punkt wie vor 2015“, so die Bertelsmann-Stiftung, die seit 2012 | |
| regelmäßig Menschen in Deutschland zu ihrer Einstellung gegenüber Migration | |
| befragt. | |
| Sehr deutlich differenzieren die Befragten zwischen den verschiedenen | |
| Formen der Migration. So geben 71 Prozent an, Menschen, die zum Arbeiten | |
| oder Studieren ins Land kämen, würden in der Bevölkerung willkommen | |
| geheißen. Über Geflüchtete sagen das mit 59 Prozent deutlich weniger. | |
| Doch auch hier ist ein Aufwärtstrend zu verzeichnen: Während 2017 mehr als | |
| die Hälfte der Befragten angab, Deutschland sei an seiner Belastungsgrenze | |
| und könne keine Geflüchteten mehr aufnehmen, sagen dies inzwischen nur noch | |
| 36 Prozent. Fast die Hälfte findet, Deutschland solle sogar mehr aufnehmen, | |
| weil das humanitär geboten sei. Solche Ansichten, so die | |
| Studienautor*innen, stünden wohl auch unter dem Eindruck der katastrophalen | |
| Lagen [3][in Afghanistan] oder [4][an der polnisch-belarussischen Grenze.] | |
| ## „Reinwachsen“ in die Einwanderungsgesellschaft | |
| Die Studie schlüsselt auf, wie ambivalent die Einstellungen der Menschen in | |
| Deutschland gegenüber Zuwanderung ist – und wie sehr das auch von den | |
| eigenen Lebensrealitäten abhängt. So fokussieren junge Menschen stärker als | |
| Ältere auf die Chancen von Zuwanderung. Und während in Westdeutschland 62 | |
| Prozent der Bevölkerung eine offene Haltung gegenüber Geflüchteten | |
| bescheinigen, sehen das in Ostdeutschland nur 42 Prozent der Befragten so – | |
| was trotzdem eine enorme Verbesserung darstellt. 2017 lag der Wert dort nur | |
| bei 33 Prozent. | |
| Menschen mit Migrationshintergrund gewichten laut Studie strukturelle | |
| Chancenungleichheit und Diskriminierung deutlich stärker als | |
| Integrationshemmnis als Menschen ohne Migrationsbiografie. Auch Frauen sind | |
| sensibler für Diskriminierung als Männer und befürworten deutlich häufiger | |
| neue Antidiskriminierungsgesetze. Menschen mit niedrigem Bildungsstand | |
| hingegen äußern häufiger die Sorge, Zuwanderung führe zu Wohnungsnot in | |
| Ballungsräumen. | |
| Die Gründe für diese Diskrepanzen werden in der Studie nicht abgefragt, | |
| dennoch hat Studienautorin Ulrike Wieland eine Einschätzung dazu: „Auch im | |
| Bereich der Gleichstellung von Frauen hat sich ja lange Zeit nichts getan, | |
| bis entsprechende Maßnahmen eingeführt wurden“, sagte sie der taz. Der | |
| Bildungsgrad wiederum hänge stark mit dem Einkommen zusammen, und es liege | |
| nahe, dass bei Menschen mit niedrigem Einkommen „eher die Sorge aufkommt, | |
| Migration bedeute auch mehr Konkurrenz um Wohnraum als bei Menschen, die | |
| aufgrund ihres höheren Einkommens ohnehin weniger Probleme in diesem | |
| Bereich haben.“ | |
| Insgesamt stellen die Autor*innen fest, dass eine Mehrheit der Befragten | |
| Chancen in der Zuwanderung von Migrant*innen sieht. So sehen 68 Prozent | |
| Vorteile für die Ansiedlung internationaler Firmen und 65 Prozent meinen, | |
| sie helfe gegen die Überalterung der Gesellschaft. Zwar befürchten | |
| gleichzeitig 67 Prozent zusätzliche Belastungen für den Sozialstaat und 66 | |
| Prozent Konflikte zwischen Zugewanderten und Einheimischen – diese Werte | |
| lagen 2017 allerdings noch bei 79 beziehungsweise 72 Prozent. | |
| Eine positive Entwicklung der Willkommenskultur habe sich bereits 2012 | |
| abgezeichnet, sagte Wieland der taz, sei dann aber von der „Fluchtkrise“ | |
| unterbrochen worden. Sollte es nicht erneut zu einem negativ | |
| einschneidenden Ereignis kommen, werde sich der vorsichtige Trend zu mehr | |
| Offenheit wohl fortsetzen. „Wir sehen das als ein Reinwachsen in eine | |
| Einwanderungsgesellschaft, die ein positives Selbstverständnis entwickelt | |
| und Vielfalt als Normalität begreift.“ | |
| 16 Feb 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Schwerpunkt-Flucht/!t5201005 | |
| [2] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2022/febru… | |
| [3] /Evakuierung-aus-Afghanistan/!5832994 | |
| [4] /Migration-ueber-Belarus-in-die-EU/!5821658 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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