# taz.de -- Automesse in Zeiten von Klimaschutz: IAA gibt sich geläutert | |
> Auf der Messe IAA zeigen Firmen ihre E-Autos, Firmenbosse drängen auf | |
> Klimaschutz. Und die Kanzlerin preist Veränderungen, die sie einst | |
> blockierte. | |
Bild: Ein E-Auto. Aber alltagstauglich? Exponat auf der IAA | |
MÜNCHEN taz | Elektroautos, wohin man auch blickt. Zwei komplette Hallen | |
voller Elektro- und Lastenräder und ein großes Außengelände, wo diese | |
probegefahren werden können. Und Konzernchefs, die auf schnelleren | |
Klimaschutz drängen: Die Internationale Automobilausstellung ist nach | |
einjähriger Coronapause und dem Umzug von Frankfurt nach München kaum | |
wiederzuerkennen. | |
Zwar gibt es in einer Halle wie in alten Zeiten Oldtimer und aufgemotzte | |
Rennwagen zu bewundern. Doch der Schwerpunkt hat sich nicht nur in den | |
Ankündigungen verschoben, sondern auch auf dem Messegelände selbst. | |
Waren in der Vergangenheit Elektrofahrzeuge die Exoten auf den | |
Messeständen, [1][sind es in diesem Jahr die fossilen Modelle]: Bei | |
Volkswagen etwa sind mit Ausnahme eines einzigen Hybrid-Busses | |
ausschließlich reine E-Autos ausgestellt. Bei BMW finden sich die | |
klassischen Benzin-Limousinen am Rande des Stands – im Mittelpunkt stehen | |
auch hier die neuen E-Modelle und die futuristische Studie eines Autos, das | |
zum Großteil aus recycelten Materialien besteht. Einzig Daimler traut sich | |
noch, ein paar große Diesel-Fahrzeuge wie die bullige G-Klasse prominent | |
auszustellen. | |
Und noch etwas hat sicher verändert: Die IAA ist [2][wesentlich kleiner als | |
in der Vergangenheit.] Gerade mal die Hälfte der Hallen auf dem | |
Messegelände wird genutzt. Konzerne, die früher komplette Hallen buchten, | |
begnügen sich mit relativ bescheidenen Ständen. Große Hersteller wie | |
Toyota, Mazda, Honda, Peugeot, Fiat oder Tesla fehlen komplett. Vertreten | |
sind dagegen diverse E-Auto-Hersteller aus China, deren Namen viele | |
Autokund*innen in Deutschland noch nie gehört haben dürften, etwa | |
Polestar, Wey oder Ora. | |
## „Die Klimakrise startet hier“. | |
[3][Die Kritiker*innen der IAA] überzeugt diese Veränderung allerdings | |
keineswegs. Im Messe-See direkt vor dem Eingang protestierten am | |
Dienstagmorgen Greenpeace-Aktivist*innen mit Plakaten der jüngsten | |
Klimakatastrophen und dem Slogan „Die Klimakrise startet hier“. | |
Die vielen auf der Messe gezeigten Elektroautos täuschten darüber hinweg, | |
dass die Branche ihr Geld weiterhin vor allem mit fossilen Fahrzeugen | |
verdiene, kritisierte Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Stephan. „Statt | |
sich in München schamlos grün zu maskieren, muss die Autobranche dringend | |
auf Klimakurs einschwenken“, forderte er. | |
Andere Klima-Aktivist*innen protestierten deutlich radikaler: Mehrere | |
autonome Kleingruppen blockierten am Dienstagmorgen fast sämtliche | |
Autobahnen nach München, indem sie sich von Brücken abseilten. „Die | |
E-Mobilität ist keine Antwort auf die Klimakrise und den Verkehrskollaps, | |
wenn sie weiterhin die Idee des automobilen Individualverkehrs trägt“, hieß | |
es in einer Erklärung. | |
Auch wenn diese Proteste bei den Veranstaltern nicht gut angekommen sein | |
dürften: Dass das, was die Branche bisher tut, noch nicht reicht, war auch | |
auf der Messe zu hören. VW-Chef Herbert Diess, der bereits bei der letzten | |
IAA in einem taz-Streitgespräch mit einer Aktivistin erklärt hatte, für ihn | |
sei „Klimawandel das Hauptthema“, drängte auch diesmal zu mehr Tempo. | |
„Unsere Generation hat die Verantwortung zu handeln“, sagte er am Dienstag. | |
„Und bisher handeln wir nicht konsistent genug.“ So mache der Umstieg auf | |
Elektroautos nur Sinn, wenn der Strom möglichst bald komplett klimaneutral | |
erzeugt werde. | |
## Enger Draht zwischen Politik und Auto-Wirtschaft | |
Und auch die Kritik, dass ein neuer Antrieb nicht alle Probleme löst, ist | |
beim VW-Chef angekommen. Kein anderer deutscher Autoboss treibt inzwischen | |
den Umstieg zur Elektromobilität so ernsthaft voran wie Diess. Dass Autos | |
meist nur eine Stunde am Tag genutzt werden, sei eine Verschwendung von | |
Platz und Ressourcen, sagte er – und pries als Lösung autonome Fahrzeuge, | |
die als Mietwagen oder per Carsharing von vielen Menschen gemeinsam genutzt | |
werden könnten. | |
Vom neuen, modernen Image, mit dem sich die Autobranche in München | |
präsentiert, will auch die Politik profitieren. Bayerns Ministerpräsident | |
Markus Söder (CSU) begrüßte die Gäste bei der Eröffnung am Dienstag zwar | |
mit den Worten „Liebe Auto-Fans“, drängte aber zugleich erneut auf | |
schnellere Fortschritte beim Klimaschutz. Bundeskanzlerin Angela Merkel | |
(CDU) lobte, dass anders als noch bei ihrem letzten Besuch mittlerweile | |
„alle Hersteller alltagstaugliche Elektrofahrzeuge im Programm“ haben. | |
Und sie freute sich, dass das Ziel, eine Million E-Autos auf die Straße zu | |
bringen, Mitte dieses Jahres erreicht wurde – rechtzeitig zur neuen IAA und | |
nur sechs Monate später als vor vielen Jahren angekündigt. | |
Dass dabei auch Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge mitgezählt werden, die überwiegend | |
fossil angetrieben werden, fand dabei ebenso wenig Erwähnung wie die | |
Tatsache, dass die Elektrooffensive vor allem auf die EU zurückgeht. | |
Aufgrund der Grenzwerte für Pkw drohen den Herstellern hohe Strafzahlungen, | |
wenn sie den CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeugflotte nicht reduzieren. Diese | |
Grenzwerte, deren Ergebnis die Kanzlerin jetzt feiert, waren von der | |
Bundesregierung nicht unterstützt, sondern zunächst massiv bekämpft worden | |
– in enger Absprache mit der Autoindustrie. | |
Wie eng deren Draht in die Politik war, wurde auch bei der Eröffnung der | |
IAA noch einmal deutlich: Begrüßt wurde Merkel von Hildegard Müller, die | |
heute Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie ist und einst unter | |
Merkel als Staatsministerin im Kanzleramt arbeitete. | |
Wenig zu sehen war von der neuen Mobilität, die auf der Messe beschworen | |
wurde, auf den Straßen ringsum, wo die Autos ganz altmodisch im Stau | |
standen – und zwar nicht nur durch die Autobahnblockaden. Doch davon bekam | |
Merkel nicht viel mit, sie nahm den Luftweg. Elektrische Flugtaxis, die die | |
Union als verkehrspolitische Lösung der Zukunft anpreist, waren aber auf | |
der Messe nur als nicht zugelassener Prototyp zu sehen. Die Kanzlerin kam | |
im konventionellen Vorläufer aufs Messegelände – per Hubschrauber. | |
7 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Greenwashing-auf-der-IAA/!5798788 | |
[2] /Autoexperte-Dudenhoeffer-ueber-die-IAA/!5799286 | |
[3] /Protest-gegen-Automesse-IAA/!5797137 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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