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# taz.de -- Greenwashing auf der IAA: PS-Porno grün inszeniert
> Die Internationale Automobil-Ausstellung öffnet, die Stimmung ist
> gereizt. Denn verkehrspolitisch hat sich der Wind gedreht.
Bild: Klimaaktivist*innen haben Proteste gegen die IAA angekündigt
Berlin taz | High Heels und Schmollmündchen, eine Hand in der Hüfte, Becken
leicht nach vorn, Brust raus und dabei anzüglich lächeln – Sexismus aus der
Steinzeit ist ab Dienstag wieder gefragt. Die von Frankfurt nach München
geflüchtete Internationale Automobilausstellung IAA öffnet ihre Tore und
lässt wie eh und je die neuesten Karossen von sogenannten Hostessen als
Eyecatcher umherschwirren.
Die Hostessen mögen noch so sexy blinzeln, der Autoschau der
Automobilindustrie droht dieses Jahr dennoch Tristesse. Einige Firmen
hatten auf eine coronabedingte Absage gehofft, andere haben die Teilnahme
ohnehin verweigert. Die großen deutschen Autobauer werden in München zwar
vertreten sein. Aber schon Opel wird der IAA fern bleiben, ebenso die
meisten internationalen Autobauer. Die Stimmung der Branche könnte
schlechter kaum sein.
Schon vor der Pandemie war das Interesse an der IAA deutlich
zurückgegangen. Die Branche fühlt sich im Zuge der Digitalisierung und der
Elektromobilität auf Technikmessen wie der CES in Las Vegas besser
aufgehoben als auf den klassischen Automessen. Mit dem Umzug der IAA von
Frankfurt am Main nach München wagen die Veranstalter denn auch eine
Neuausrichtung.Nicht mehr nur über Autos wollen die Veranstalter auf der
Messe reden, sondern über Mobilität im Allgemeinen. Ausgestellt werden
sollen auch elektrifizierte Zweiräder, Fluggeräte und öffentliche
Verkehrsmittel. Ziel sei es, „verschiedene Mobilitätsformen“ eng
zusammenzubringen, betonte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der
Automobilindustrie (VDA), dem Veranstalter der IAA. „Das Bekenntnis zur
klimaneutralen Mobilität steht“, sagt Müller.
Die großen deutschen Autobauer wie Volkswagen und Daimler schieben ihre
Elektroautos nach vorne, um sich so grün wie möglich zu inszenieren. Das
gelingt ihnen aber nur bedingt. Zehntausende Demonstrierende haben sich
angekündigt und wollen unter anderem mit einem eigenen Kongress gegen die
IAA und die Autoindustrie protestieren.
## Branche ist geschüttelt
Dazu die heißgelaufene Klimadebatte und der politische Druck auf die
Verkehrspolitik lassen zwei Wochen vor der Bundestagswahl keine Freude an
four-wheel-drive und next level mobility aufkommen. Da mag der Fahrgastraum
des neuen Daimler Elektrogefährts EQS noch so viel Raumschiff-Feeling
vermitteln.
Trotz hoher Gewinne im ersten Halbjahr 2021 ist die Branche geschüttelt.
Wegen Engpässen bei den Mikrochips muss aktuell die Produktion gedrosselt
werden. Weit gravierender sind die gewaltigen Umwälzungen aber durch den
Wechsel vom Verbrenner zum Elektroantrieb. VW und Daimler haben zwar mit
neuen E-Modellen aufgeholt, andere wie BMW fahren hinterher und versuchen
verzweifelt mit E-Fuels (Synthetische Treibstoffe) eine
Verbrenneralternative künstlich am Leben zu halten.
## Verkehrspolitisch hat sich der Wind gedreht
Den schwersten Schlag hat die Branche teilweise noch gar nicht realisiert.
Verkehrspolitisch hat sich der Wind gedreht. Die jahrzehntelange Symbiose –
man könnte es auch Gefangenschaft nennen – zwischen Politik und
Automobilindustrie ist zumindest angeschlagen. Kein anderer Sektor hat beim
Ausstoß von Klimakillern so versagt wie der Verkehr, das wird nicht länger
hingenommen. Unübersehbar wird der Straßenraum in den Metropolen
gegenwärtig neu verteilt. Die aktive Mobilität, also Fuß- und Radverkehr,
fordert immer selbstbewusster ein größeres Kuchenstück und bekommt
tatsächlich mehr Platz zu Lasten des Stehzeugs Auto. Paris exekutiert
bereits Tempo 30 wie auch die spanischen Städte. London verbietet den Bau
weiterer Tiefgaragen, Singapur erklärt wenigerAutos zum Ziel amtlicher
Verkehrspolitik.
Schnellwege, breitere und bessere Spuren und Stellflächen für Fahrräder,
mehr Tempo-30-Zonen sind vielerorts on track. Wären die Kommunen
verkehrspolitisch durch Bundesgesetze weniger geknebelt, würde alles noch
deutlich schneller gehen. In einschlägigen Städte-Rankings wird schon
längst statt der autogerechten die fahrradgerechte Stadt hoch bewertet und
bepunktet.
## Wird die IAA grüner?
Wird nach der Bundestagswahl ein Mobilitätsgesetz auf den Weg gebracht,
könnte endlich auch der berüchtigte Bundesverkehrswegeplan aus dem Verkehr
gezogen werden, der immer noch Straßenbauprojekte aus dem vorigen
Jahrhundert mitschleppt und streng im alten Narrativ der
Windschutzscheibenperspektive verhaftet ist. Mit der neuen Bundesregierung
unter vermutlich grüner Beteiligung würde dann auch das ewig umstrittene
Tempolimit auf Autobahnen kommen. Es scheint fast so, als habe die Branche
zumindest diese Kröte schon geschluckt.
Gleichwohl reagiert die Automobilbranche schizophren auf die neuen
Herausforderungen. Sie vereint umstandslos grüne Inszenierungen und
PS-Porno in ihrem Portfolio. Verbal und mit neuen Modellen unterstützt sie
die Transformation zur Elektromobilität. Doch ihr Geld verdient sie immer
noch und auch in den nächsten Jahren hauptsächlich mit Verbrennern, bei VW
sind es mehr als 95 Prozent der Flotte. Die Autos werden nach wie vor immer
größer, schwerer und schneller. Aktuell sind wir bei den Neuzulassungen bei
verrückten 170 PS angekommen. Mehr als ein Drittel der Neufahrzeuge sind
SUVs mit 190 PS im Schnitt. Schon steht die ernsthafte Forderung im Raum,
die öffentlichen Parkplätze für Autos zu vergrößern.
## Altes Leitbild bleibt unangetastet
Von „Greenwashing“ spricht denn auch Roland Süß vom
globalisierungskritischen Netzwerk Attac, der sich in München im Bündnis
[1][#aussteigen] engagiert und die [2][große Demonstration] mit
Radsternfahrt am 11. September organisiert. Daimler, BMW und VW setzten
auch weiter auf immer große Gefährte, die mehr CO2 ausstoßen. „Das ist
einfach die Realität.“
Das alte Leitbild der Übermotorisierung und Überdimensionierung des
Automobils ist bei den Herstellern noch immer unangetastet, die soziale
Ächtung der Dickschiffe nicht in Sicht. Daimler etwa lässt den bis zu 900
PS starken Geländewagen Brabus G 900 Rocketvom Fließband laufen. Von null
auf 100 in drei Sekunden, von der gesellschaftlichen Restvernunft zum
kompletten Irrsinn in Nullkommanix. Bestellungen für das Monster kämen vor
allem aus dem Nahen Osten, heißt es, dort sei schließlich noch genug
billiges Benzin vorhanden. Wird sich Daimler trauen, das Brabus-Ungetüm in
München auszustellen?
Und was macht der in der Regel männliche Besucher der IAA? Er wird in sehr
viel kleinerer Zahl die Automesse stürmen. Die Imageprobleme der Branche
sind ihm nicht verborgen geblieben. Die Veranstalter haben aber schon
vorgesorgt. Bei der Zählung werden sicherheitshalber auch alle virtuellen
Gäste, die nur per Mausklick anwesend sind, als vollwertige Besucher
mitgerechnet. Den Hostessen wird es egal sein.
Mitarbeit: Felix Lee
5 Sep 2021
## LINKS
[1] https://www.iaa-demo.de
[2] /Proteste-vor-der-IAA-in-Muenchen/!5798606
## AUTOREN
Manfred Kriener
Felix Lee
## TAGS
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