# taz.de -- Ausstellung zu Kolonialismus: Schöne Löwen statt Kontext | |
> Die Ausstellung der Schirn Kunsthalle Frankfurt hatte die Chance, sich | |
> mit deutschem Kolonialismus zu befassen. Doch daran scheitert sie. | |
Bild: Mit der kritischen Kontextualisierung des Themas ist etwas gründlich sch… | |
Unter dem Titel „König der Tiere. Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika“ | |
zeigt die Schirn Kunsthalle in Frankfurt derzeit großformatige Tier- und | |
Landschaftsdarstellungen sowie Illustrationen eines bislang von Museen | |
weitgehend ignorierten Kolonialmalers. Die Motive entstammen vor allem der | |
ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika, die Kuhnert zwischen 1891 und 1912 | |
ausgiebig bereiste. | |
Einer der möglichen Gründe, für die bisherige Nichtbetrachtung seines | |
Werkes, so heißt es im Katalog zur Ausstellung, sei das „latente Unbehagen | |
angesichts von Großwildjagd und Kolonialherrschaft“. Denn Kuhnert war nicht | |
nur ein herausragender Maler und Illustrator, sondern auch direkter | |
Profiteur kolonialer Gewalt. Die Schirn stellt diese Ambivalenz nun zur | |
Diskussion. | |
Das große Problem dabei: Sie zeigt nicht, dass das „latente Unbehagen“ | |
nicht nur Kuhnerts Werk betrifft, sondern ebenso die bis heute fortwirkende | |
Kontinuität, in der es steht. | |
Seine Bilder, die auf zahlreichen Kolonialausstellungen gezeigt wurden, | |
prägen die bis heute wirksamen Vorstellungen von Afrika als exotischem | |
Sehnsuchtsort. [1][Der deutsche Kolonialismus ist noch immer ein blinder | |
Fleck] in der deutschen Geschichte und daran ändert auch diese Ausstellung | |
wenig. Im Vergleich mit den anderen europäischen Großmächten mutet die | |
deutsche Kolonialgeschichte kurz an. Sie war aber lang genug, um nachhaltig | |
Spuren zu hinterlassen. | |
Anfang des 20. Jahrhunderts verübten deutsche Soldaten in der damaligen | |
Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, einen [2][Völkermord | |
an den Herero und Nama]. Zehntausende Menschen starben, die umfängliche | |
Aufarbeitung durch die deutsche Regierung bleibt aus. Zwar ist die aktuelle | |
Bundesregierung die erste, die in ihrem Regierungsprogramm explizit | |
festgehalten hat, dass die Erinnerung an Verbrechen in der Kolonialzeit | |
Teil der deutschen Gedenkkultur werden sollte. | |
Doch die Politik konzentriert sich vorerst auf Forschung, die | |
Eigentumsverhältnisse zu klären versucht. Druck kommt von woanders: Am | |
Humboldt Forum in Berlin wird über den angemessenen Umgang mit Raubkunst | |
gestritten, postkoloniale Initiativen kämpfen überall in Deutschland für | |
die Umbenennung von Straßen, die geschichtsrevisionistisch an die | |
vermeintlich glorreichen Zeiten des Kolonialismus erinnern. | |
## Kontextualisierung fehlt | |
Bei Kuhnerts Arbeiten handelt es sich nicht bloß um irgendwelche | |
Tierdarstellungen. Ihr künstlerischer Wert ist unbestritten, viel | |
interessanter ist aber ihre kulturelle Bedeutung, und um diese sichtbar zu | |
machen, bräuchte es eine Ausstellung, die kulturelle Kontextualisierung in | |
den Mittelpunkt stellt. | |
Kuhnerts Reisen wären ohne den kolonialen Herrschaftsapparat nicht möglich | |
gewesen: Bis zu 80 Lastenträger beförderten die von ihm benötigten | |
Materialien auf seinen Expeditionen. In Kleidung und Symbolen imitierte er | |
deutsche Autoritäten. Er beteiligte sich an Strafexpeditionen und kämpfte | |
im Maji-Maji-Krieg. Sein Tagebuch klang so: „Vorm. am Fluß. Mittag | |
Schwarzer gehängt. Nachmittags Panorama.“ Sein Verhalten gegenüber der | |
einheimischen Bevölkerung entspricht dem europäischen Verständnis seiner | |
Zeit, das Menschen in eine rassistische Hierarchie ordnete, an deren | |
Spitze der weiße Mann steht. | |
Kuhnerts Tierdarstellungen orientierten sich an zeitgenössischen | |
zoografischen Diskursen und präsentierten das Tier in seinem natürlichen | |
Habitat. Die Wirkung auf das europäische Publikum mag überwältigend gewesen | |
sein. Doch war er nicht nur stiller Beobachter. Ihren Detailreichtum | |
verdanken seine Darstellungen vor allem dem Studium der zuvor von ihm | |
erlegten toten Tiere. Betrachter*innen sehen so nicht die „Naturwahrheit“, | |
sondern stilisierten Naturalismus, der mehr über die Zeit aussagt, die ihn | |
schuf, als über Tier und Natur selbst. | |
Die Großwildjagd war im Rahmen des europäischen Kolonialismus ein zentrales | |
Herrschaftsritual. Die Tiere, die Kuhnert schoss und malte, waren | |
Verkörperung einer Vorstellung von vitaler Urwildnis, die sich der Jäger | |
aneignete. Seine Tierdarstellungen sind die visuelle Vermittlung des | |
kolonialen Raumes als zu erobernde Wildnis, sie sind Symbole des | |
Kolonialismus. | |
Im Oktober dieses Jahres erklärte der Afrika-Beauftragte der | |
Bundesregierung Günter Nooke in einem Interview gegenüber der | |
Boulevardzeitung B.Z., dass die Kolonialzeit dazu beigetragen habe, den | |
Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen. Dass diese Archaik bereits | |
damals reine Konstruktion war, die bis heute fortwirkt, entging seinem | |
eurozentrischen Blick. | |
Kuhnert war ein Akteur seiner Zeit und muss auch als solcher betrachtet | |
werden. Seine Bilder können heute die Funktionsweise des Kolonialismus | |
näherbringen. Das funktioniert allerdings nur, wenn deren Geschichte auch | |
entsprechend erzählt wird. Die Schirn tut das unzureichend und verschenkt | |
damit wertvolle Chancen. Katalog wie Ausstellung bleiben vor allem | |
Präsentationen eines herausragenden Tiermalers, die grundsätzliche | |
Einbettung in den Kontext des deutschen Kolonialismus bleibt aus. | |
Damit markiert die Ausstellung den aktuellen Stand der Debatte, der | |
irgendwo zwischen [3][zaghafter Einsicht und merkwürdigem | |
Geschichtsrevisionismus] angesiedelt ist. Der Historiker und | |
Politikwissenschaftler Achille Mbembe fordert im Interview mit dem | |
Deutschlandfunk im Oktober dieses Jahres „Wahrheit und Aufrichtigkeit im | |
Umgang Europas mit dem globalen Süden“. | |
Was das genau bedeutet, denkt kaum jemand zu Ende, nämlich, dass es eine | |
direkte Verbindung zwischen der kolonialen Ausbeutung des afrikanischen | |
Kontinents und jedem aktuellen gesellschaftlichen Thema von Migration über | |
Entwicklungshilfe und Klimaschutz bis hin zum Kunstverständnis gibt. Nur | |
der Respekt vor der historischen Wahrheit könne das Fundament einer neuen | |
Beziehung zwischen Europa und Afrika sein, was das Leben in Europa | |
maßgeblich verändern würde. | |
## Unterschiedliche Bilder Afrikas | |
Ein Anfang wäre, dem noch immer vorherrschenden kolonialistischen Blick | |
künstlerisch etwas entgegenzusetzen. Denn anders als es der Titel der | |
Ausstellung, „Das Bild von Afrika“, glauben lassen will, gibt es sehr viele | |
unterschiedliche Bilder des zweitgrößten Kontinents, in deren Bandbreite | |
die Schirn Einblicke hätte gewähren können. Bilder, die fast zeitgleich zu | |
Kuhnert, allerdings aus afrikanischer Perspektive entstanden. | |
Wie etwa das des Ostafrikaners Mdachi bin Sharifu, der 1919, kurz nach dem | |
Aus der deutschen Kolonien, in mehreren Städten Deutschlands Reden über | |
„unsere koloniale Vergangenheit“ hielt, in denen er mit dem deutschen | |
Kolonialregime und dem Kolonialrassismus abrechnete. | |
Ab dieser Woche widmet ihm der Verein Berlin Postkolonial eine Ausstellung. | |
Vielstimmigkeit auch in der zeitgenössischen Kunst: Kreative Szenen in den | |
Metropolen des afrikanischen Kontinents florieren, das internationale | |
Interesse ist groß. Die Berlin Biennale hinterfragte dieses Jahr mit einem | |
Team Schwarzer Kurator*innen das Konzept des Helden in postkolonialen | |
Zeiten. | |
Die nötige, in der Schirn fehlende, kritische Reflexion erfolgt jetzt nach | |
Eröffnung der Ausstellung kostenlos durch „Betroffene“ aus | |
unterschiedlichen Communitys. Wäre es für eine Bildungseinrichtung wie die | |
Schirn nicht möglich gewesen, diese Stimmen bereits in den | |
Erarbeitungsprozess der Ausstellung einzuschließen? Wer problematische | |
Bilder zeigt, wer erwartet, dass hingeschaut, verstanden und kreativ | |
nachgespürt wird, sollte zeitgemäße, kontextualisierte und nicht | |
verletzende Antworten parat haben. | |
Wenn eine Ausstellung den deutschen Kolonialismus thematisiert und ein Teil | |
der Besucher*innen danach wütend protestiert, während der andere schöne | |
Löwenbilder teilt, dann sollte klar sein, dass irgendetwas mit der | |
kritischen Kontextualisierung des Themas gründlich schiefgelaufen ist. | |
18 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Gastkommentar-Afrika-Beauftragter/!5538566 | |
[2] /Deutsche-Kolonialverbrechen-in-Namibia/!5532220 | |
[3] /Strassenumbenennungen-im-Wedding/!5497695 | |
## AUTOREN | |
Mahret Ifeoma Kupka | |
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