# taz.de -- Ausstellung in Frankfurt/Main: Klassenbewusst und humoristisch | |
> Eine Schau der norwegisch-schwedischen Künstlerin Hannah Ryggen in der | |
> Schirn Kunsthalle zeugt von der Wirkmacht von Wandteppichen. | |
Bild: Bildteppich von Hannah Ryggen „6. october 1942“ von 1943 | |
Wütend und eilig webt die schwedisch-norwegische Künstlerin Hannah Ryggen | |
(1894–1970) im Herbst 1935 innerhalb eines Monats einen monumentalen | |
Wandteppich mit dem Titel „Etiopia“. In ihrer reduzierten figürlichen | |
Klarheit zeugt die Arbeit von politischer Dringlichkeit: Unter dem | |
faschistischen Diktator Benito Mussolini besetzten italienische Truppen | |
kurz zuvor das heutige Äthiopien. | |
Ryggen bezieht in der bühnenartigen Inszenierung der Figuren des | |
Ereignisses eindeutig Position. Im Sinne einer Solidaritätsbekundung lässt | |
sie einen äthiopischen Kämpfer einen Speer durch den Kopf des Faschisten | |
Mussolini stoßen. | |
In unmittelbarer Nähe zu [1][Picassos berühmtem Antikriegsbild „Guernica“] | |
konnte die ausgebildete Malerin diese Arbeit auf der Weltausstellung in | |
Paris 1937 nur zensiert präsentieren: Der entsprechende Bildteil wurde aus | |
„diplomatischer Rücksicht“ umgeklappt. Mit seiner radikalen Bildgeste steht | |
„Etiopia“ für den politischen Anspruch der autodidaktischen Weberin. Dieser | |
bildet den Ausgangspunkt ihrer Ausstellung in der Schirn Frankfurt. | |
Flankierend zu Norwegens Gastauftritt auf der diesjährigen Frankfurter | |
Buchmesse ist die Einzelausstellung mit 25 gezeigten Tapisserien der erste | |
umfassende Einblick in Hannah Ryggens Œuvre in Deutschland. Anhand von | |
räumlich strukturierten Schwerpunkten wird ein thematischer Bogen gespannt, | |
der eine fruchtbare intertextuelle und mediale Ambivalenz offenbart. | |
Die Präsentation beginnt mit Ryggens „gewebten Manifesten“, bildlichen | |
Statements zu soziopolitischen Ereignissen wie der Hinrichtung der | |
antifaschistischen Widerstandskämpferin Liselotte Herrmann oder der | |
Verurteilung des Friedensaktivisten Carl von Ossietzky durch die Nazis. | |
Darüber hinaus umfasst sie gewobene Geschichten zur norwegischen Kunstszene | |
oder Anliegen des alltäglichen Lebens. Neben einer großflächigen | |
Verbildlichung des autarken familiären Lebens in „Vi og våre dyr“ (Wir und | |
unsere Tiere, 1934), zeugt auch die Arbeit „Fiske ved gjeldens hav“ | |
(Fischen im Schuldenmeer, 1933) von Ryggens ausgeprägtem | |
Klassenbewusstsein: In zwei Bildebenen stellt sie mithilfe einer | |
expressiven Farb- und Flächenkomposition das ums Überleben kämpfende | |
Proletariat sowie gierige Schuldeneintreiber und Bankangestellte dar. | |
## Die Präsentation untergräbt die Brisanz | |
Mit dem Triptychon der „unverheirateten Mutter“ (Ugift mor, 1937) und dem | |
collagenartigen Motiv einer problematischen Mutter-Kind-Beziehung greift | |
sie in ihren Bildteppichen aus Wolle und Leinen zudem feministische Themen | |
auf. So wird Hannah Ryggens Verständnis des Mediums als öffentlicher | |
Kommentar deutlich. | |
Sicherlich kann die Ausstellung an aktuelle Thematiken anknüpfen: Die | |
größte Arbeit „Vi lever på en stjerne“ (Wir leben auf einem Stern, 1958) | |
entstand für das Osloer Regierungsgebäude. Bis heute trägt der Wandteppich | |
die Narben, die das Bombenattentat des rechtsradikalen Anders Breivik im | |
Juli 2011 hinterließ. Damit erinnert das Werk auch an die 69 von Breivik | |
getöteten Teilnehmenden eines Jugendsommerlagers der Arbeiderpartiet. | |
Leider schafft es die Ausstellung an dieser Stelle nicht, die Aktualität | |
der Werke auch in ihrer Präsentation zu visualisieren: Nüchterne | |
Wandfarben, eine klassische Hängung und fehlende visuelle Intermedialität | |
exponieren Hannah Ryggens Werke wie archaische Handwerkskunst. Das | |
untergräbt die Brisanz und Wirkmacht der bisweilen humoristischen | |
Wandteppiche, die als agitierende Manifeste beispielhaft von einem | |
politischen Leben in ständiger Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen | |
Themen erzählen. | |
24 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Mira Nass | |
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