# taz.de -- Sanierung der Frankfurter Paulskirche: Könnte frischer aussehen | |
> Seit ihrem Wiederaufbau 1945 gilt sie als gute Stube der Republik. Einige | |
> wollen ihren Urzustand. Besser wäre ein „Her mit der Demokratie“-Haus. | |
Bild: Gilt als Wiege der Demokratie in Deutschland: die Frankfurter Paulskirche | |
FRANKFURT/M./BERLIN taz | Warum, fragt man Paul Nolte, ist denn | |
ausgerechnet das Brandenburger Tor Symbol demokratischer Freiheit? „Weil es | |
für die [1][Wiedervereinigung] steht“, sagt der Historiker von der Freien | |
Universität in seinem Büro in Berlin-Dahlem, für „nationale Freiheit“. | |
Unser „aktuelles Gedächtnis“ verbinde dieses Bauwerk mit den Ideen von | |
Freiheit und Demokratie. | |
Nolte ist ein Spezialist für die Geschichte der Demokratie in Deutschland. | |
1993 promovierte er mit einer Arbeit über den Liberalismus in Baden im 19. | |
Jahrhundert, er kennt sich mit den bürgerlichen Unruhen wider die Monarchie | |
sehr gut aus. Neulich, erzählt er nun, war er auf der Feier zum 3. Oktober, | |
in der Staatsoper Unter den Linden. „Das war schön“, sagt er, „das war | |
angemessen.“ | |
Aber warum immer Berlin? Und warum dieses [2][preußische Bauwerk, das | |
Brandenburger Tor]? Gäbe es nicht ein ausgewiesenes Gebäude, das in | |
Deutschland viel eher die Geburtsstunde von demokratischer Teilhabe, von | |
Meinungsstreit und Debatte markiert? Das obendrein nicht mehr Teil der | |
sakralen Gebäudelandschaft ist; ist zwar nicht entweiht, aber keineswegs | |
mehr religiös aufgeladen: die Paulskirche in Frankfurt am Main. | |
Professor Nolte stutzt ein wenig. Und sagt so versiert wie buchhalterisch | |
korrekt: „Es gibt ja in Rastatt eine Erinnerungsstätte für die | |
Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte.“ Aber der Barockort im | |
Badischen ist eben nicht der Platz des ersten gesamtdeutschen Parlaments, | |
das ist die Paulskirche in Frankfurt am Main. | |
## Die Paulskirche verschließt sich nicht | |
An diesem Sonntag wird in ihr der [3][Friedenspreis des Deutschen | |
Buchhandels verliehen], die höchste Auszeichnung des deutschen | |
Bildungsbürgertums. Dieses Jahr – und wie sehr das passt – geht er an | |
Aleida und Jan Assmann, sie eine sehr berühmte Kulturwissenschaftlerin, er | |
Ägyptologe, beide zusammen mit die prominentesten Denker*innen und | |
Forschende in Sachen Erinnerungskultur. | |
Die Paulskirche wird dann fein geschmückt sein, über 1.000 Stühle besetzt, | |
die Redepulte leicht erhoben auf dem marmornen Sockel, der nach dem Zweiten | |
Weltkrieg in der Hoffnung erbaut wurde, dass von ihm aus in Bälde das | |
Parlamentspräsidium werde arbeiten können. Man setzte darauf, die | |
Hauptstadt der Bundesrepublik zu werden, und war übel gekränkt, dass es am | |
Ende Bonn wurde. | |
Dennoch darbt das Haus nicht, es existiert, es hat seine Tür das ganze Jahr | |
über geöffnet. Die Paulskirche ist ein Haus, das sich nicht verschließt. | |
Sie zählt zu den Objekten der Stadt, die von der Protokollabteilung des | |
Bürgermeisters beaufsichtigt werden. Dennoch hat die Paulskirche keine | |
eigene Hausmeisterei, Frauen und Männer, die dort aufpassen, werden von den | |
jeweiligen Mietern gestellt und bezahlt. | |
Anmieten können das Haus, so der Komment, nicht Parteien, sondern nur | |
Träger, die eine gewisse Würde verkörpern – so sagt es der Mann vom | |
Protokoll am Telefon. Die Organisation, die die Buchmesse veranstaltet, | |
zählt selbstverständlich dazu. Der Raum sieht im Fernsehen dann schön aus, | |
groß und mit hellen Wänden. Die ARD überträgt die Veranstaltung am Sonntag | |
um 10.45 Uhr. Unsichtbar bleiben wird leider, wie die Paulskirche alltags | |
wirkt: nicht sehr gastlich, randständig, irgendwie im Rücken des Rathauses, | |
des Römers, und nicht so bewundert wie die gerade wieder eröffnete | |
Altstadt. | |
## Eine Aura, die auf Abgeliebtheit deutet | |
Ein Donnerstag im September, kurz vor der Eröffnung des umstrittenen | |
Frankfurter Altstadtviertels, das nagelneuer nicht aussehen könnte. Draußen | |
ist allmählich kein Sommer mehr. Die Paulskirche – unbeachtet, nicht einmal | |
Schulklassen, die durch den Raum schlurfen. Touristen – keine. Der Eingang, | |
ein schmaler Schlauch, der nichts von der Größe des Raums ahnen lässt. | |
Innen drin, anders als im Original, das die deutschen Parlamentarier vor | |
170 Jahren betraten, eine eher düstere Ebene. | |
Den Saal betritt man über Treppen, er wurde beim Wiederaufbau nach 1945 | |
höher gelegt. Hier im Foyer an den Rändern Schaukästen mit allen wichtigen | |
historischen Daten zur deutschen Demokratie, an den Wänden auch die Liste | |
der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels. | |
Der Festraum ist viel heller gehalten, an den Wänden die Flaggen der 16 | |
Bundesländer. Irgendwie gilt für diese Textilien, was überhaupt für alles | |
Mobiliar, für die Schränke wie Stühle zutrifft: Das könnte frischer | |
aussehen, weniger verstaubt wirken. Dabei leisten die Putzleute gewiss sehr | |
gute Dienste, aber innen hat die Paulskirche eine Aura, die auf | |
Abgeliebtheit deutet. Frische Farbe wäre gut, auch ein Enthusiasmus bei der | |
Pflege: matt, das alles; irgendwie vom Mehltau historischer | |
Halbinteressiertheit bedeckt. | |
Die Paulskirche ist renovierungsbedürftig, das sagt auch die Stadt | |
Frankfurt. Das Dach, das ohnehin nicht mehr die Kuppel des originalen Baus | |
trägt, muss saniert werden. Im Wandelgang mit dem 32 Meter langen | |
Riesengemälde Johannes Grützkes und den an den Außenwänden stehenden | |
Vitrinen der Dauerausstellung zur Geschichte dieses Hauses und der | |
Versammlung von 1848 ist es dunkel und nicht gerade einladend. | |
## Wiederaufbau der Kirche war umstritten | |
Grützke hat ein Bild ins Werk gesetzt, das er „Zug der Volksvertreter“ | |
nannte, mit 160 Männern ganz in Schwarz, die ausnahmslos nicht | |
debattierfreudig gucken, sondern missmutig, schlecht gelaunt. Und das soll | |
für den Kern demokratischen Streits werben, für die Debatte? Grützke kann | |
kein Freund parlamentarischen Zwistes gewesen sein, er hätte ihn sonst | |
gefeiert. | |
Als 1987 die letzte Aufhübschung beschlossen wurde, hieß es seitens der | |
Stadt Frankfurt, das Bild möge „in angemessener Weise die Ideen und das | |
Ereignis des Vormärz und der 1848er Revolution künstlerisch erfassen“ – d… | |
Ergebnis, so ganz ohne Frauen, entspricht durchaus den historischen | |
Tatsachen. Tatsächlich zu sehen aber bekam das Publikum einen „endlosen | |
Umzug trauriger Gestalten“ – so bekundete es ein Kritiker. | |
Der Wiederaufbau der Paulskirche nach dem Krieg verdankt sich dem | |
Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb, Sozialdemokrat und | |
NS-Überlebender. Durch Bombenangriffe der Alliierten lag Frankfurts | |
Zentrum mit seiner überaus pittoresken Altstadt in Trümmern, auch die | |
Paulskirche war am Ende nur noch eine Ruine. Doch am 17. März 1947 wurde | |
der Grundstein für ihre Wiedererrichtung gelegt. | |
Kolb hatte sich besonders für die Paulskirche eingesetzt, deren | |
Rekonstruktion nicht unumstritten war, erschien doch der Bedarf an | |
Wohnungen vielen dringlicher. Kolb setzte sich am Ende durch, es folgte ein | |
überaus erfolgreicher Spendenaufruf – Geld und Sachmittel kamen reichlich | |
zusammen, sogar Zimmerernägel und Holzplanken wurden gespendet. Menschen | |
aus allen Schichten und Milieus beteiligten sich, auch aus dem Teil | |
Deutschlands, der kurz darauf zur DDR werden sollte. | |
## Karg, schmucklos und Stille gebietend | |
Was nun der Architekt Rudolf Schwarz bauen ließ, war eine Paulskirche, die | |
nur noch bedingt als Herberge der ersten deutschen parlamentarischen | |
Versammlung erkennbar war. Die Empore, auf der sich 1848 auch einige der | |
damals noch nicht stimmberechtigten Frauen versammelten, um die Debatten | |
kommentierend zu begleiten, sparte man aus – es fehlte an Geld und | |
Baumaterial; vor allem aber war des Architekten Plan ein anderer: Der Raum | |
der Paulskirche sollte karg bleiben, fast leer sein, schmucklos und Stille | |
gebietend. | |
Die bauästhetische Entsprechung zeitgenössisch-christlicher Interpretation | |
des Nationalsozialismus als Verhängnis. Schwarz re-sakralisierte die | |
Paulskirche auf besonders christliche Weise: sie wurde frömmelnde, auf Buße | |
drängende Mahnung. | |
Nun gibt es Wünsche, die Paulskirche architektonisch zu „reenacten“, sie so | |
zu restaurieren, dass sie dem Originalbau aus dem 19. Jahrhundert ähnelt, | |
vor allem im Inneren. Mit der Empore, die durch die Kriegsfeuer 1944 | |
zerstört und nicht wieder installiert wurde, dem Publikumsplatz. Eine | |
kleine Bürgerinitiative in Frankfurt möchte dies, einzelne Stadtverordnete, | |
aber niemand von den tonangebenden Parteien SPD, CDU und den Grünen. Die | |
Empore möge wieder erbaut werden, eine Art Zuschauertribüne. Auch der | |
Eingang der Paulskirche möge kein, gemessen an der Größe der Kirche, | |
schmaler Gang mehr sein. | |
## Keine Geschichtsklitterung | |
Ina Hartwig ist Kulturdezernentin der Stadt, Sozialdemokratin und Teil | |
einer Ratskoalition ihrer Partei mit CDU und Grünen. Die Politikerin war | |
bis zu ihrer Berufung als Stadträtin für Kulturelles eine der | |
renommiertesten und klügsten Kulturjournalistinnen des Landes, einst | |
Feuilletonredakteurin der Frankfurter Rundschau, Autorin zuletzt eines | |
Buchs über Ingeborg Bachmann. | |
In ihrem Büro auf der anderen Mainseite, in Sachsenhausen sagt sie nun: | |
„Nein, ich bin nicht für eine Paulskirche, die alle Spuren der | |
Vergangenheit nicht mehr tragen soll.“ Keine Geschichtsklitterung also? | |
„Wir sollten nicht so tun, als habe es keine Zerstörung gegeben, keine | |
Bomben wegen des Nationalsozialismus. Eine Bereinigung in diesem Sinne kann | |
ich mir nicht vorstellen.“ | |
Zum Abschied geht Hartwig ans Fenster, weist auf die Silhouette der | |
Innenstadt, das Frankfurt von heute, und sagt: „Dort steht das Hochhaus der | |
Europäischen Zentralbank, das sieht beeindruckend aus. In der City gibt es | |
viele Hochhäuser, sie überragen das Bild dieser Stadt, sie sind markant – | |
und sie sind die Sehenswürdigkeiten von heute, die Frankfurt bekannt und | |
unverwechselbar machen, nicht nur in Deutschland.“ | |
In eine ähnliche Richtung weisen die Gedanken, die Valentin Groebner hegt. | |
Der Mann ist Professor in Luzern, Historiker und spezialisiert auf die | |
Geschichte des Mittelalters. Er kennt sich mit dem Begehren nach | |
Urtümlichkeit ziemlich gut aus. Sein aktuelles Buch, „Retroland“, handelt | |
vom Geschichtstourismus, von der Sehnsucht, das Alte, Authentische zu | |
entdecken – eine Art Rückfahrt in die Paradiese von gestern. Der in Wien | |
geborene Wissenschaftler ist selbst nicht sehr empfänglich für Nostalgie. | |
„Jede Renovierung des Alten zeigt vor allem eines, nämlich die aktuellen | |
Wünsche von heute.“ | |
## Sehnsucht nach „Retropia“ | |
Die Paulskirche in ihren Urzustand zurückversetzen? Groebner ist mehr als | |
skeptisch, er hält das schon als Idee für irrig. „Man sieht allen Gebäuden | |
an, dass sie in einer bestimmten Zeit erbaut wurden. Architektur ist | |
zeitverhaftet, und das gilt auch für Rekonstruktion. Die Villa von Paul | |
Getty in Kalifornien wollte echte Antike sein, ist aber unübersehbar aus | |
den 1950ern, mit Tiefgarage. Und das Berliner Nikolaiviertel sollte das | |
alte Berlin wiederherstellen – und sieht heute eben nicht nach 18. | |
Jahrhundert aus, sondern vor allem nach DDR.“ | |
Die Neigung der Öffentlichkeit, sich das Alte, das Bewährte | |
zurückzuwünschen, ist freilich immer groß gewesen. Das Rathaus von Hamburg | |
oder das von Stockholm – sie sehen wie mittelalterliche Burgen aus. In | |
Wahrheit ist das Gebäude in Hamburg ein Bau aus den letzten Jahren des 19. | |
Jahrhunderts und das in der schwedischen Hauptstadt obendrein absichtsvoll | |
in einem Stil gehalten, der nicht zeitgenössisch wirken sollte. Und doch | |
genau so war – nämlich geschichtstriumphierend. | |
Auch das bald fertiggestellte Berliner Schloss wird ein hoch | |
funktionstüchtiger Bau für alle möglichen Arten der Kultur sein, und hat | |
doch wie eine historisch fragwürdige Erinnerung an die monarchische Pracht | |
Deutschlands zu wirken, wie ein re-installiertes Monsterzitat aus | |
vordemokratischen Zeiten. Der Palast der Republik, Stolz des arbeiterlichen | |
DDR-Volks, hätte es in asbestfreier Form auch getan – aber der sollte als | |
hässlich gelten, als verlebt und tot: Stolz ja, aber keiner | |
realsozialistischer Bauart, und sei er ästhetisch auch noch so ansprechend | |
und nicht falsch antikisierend. | |
Historiker Groebner sagt, in Zeiten der Krise sei Retro immer im Trend: | |
„Retropia“, der verkniffene Gegenentwurf zu jeder erfrischenden Utopie, | |
wird nach den allerjüngsten Frankfurter Erfahrungen mit der Pseudo-Altstadt | |
gern auch andernorts aufgegriffen. Aus Hamburg wie aus Berlin heißt es nun: | |
„Wie in Frankfurt … das wollen wir auch.“ Wie am Main mögen doch die | |
Altstädte wiederaufgebaut werden. Ein kleines Quartier am Römer ist über | |
viele Jahre wieder instand gesetzt worden. Die öffentliche Förderung war | |
immens, elbphilharmonisch fett fielen die Kosten an. Aber nun sieht es | |
adrett aus. | |
## Architekturhistoriker mit Herz | |
Wolfgang Voigt, bis zu seinem Ruhestand stellvertretender Leiter des | |
Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, führt an einem nieseligen | |
Nachmittag durch die wenige Hektar große Altstadt, die faktisch eine | |
Neustadt ist – Rothenburg-ob-der-Tauber-Flair mit Bodenheizung in den | |
Wohnungen, alles mit Garagen unterkellert, rutschfester Asphalt, dazwischen | |
die Schirn Kunsthalle, die man nicht abgerissen hat, weil sie für noch | |
ausreichend schön befunden wurde. | |
„Eigentlich war nach dem Krieg hier nichts als Freifläche. Fast alles war | |
zerbombt, die Flächen waren später Parkplätze, dann stand gegenüber dem | |
Römer das Technische Rathaus“, aber das war ein architektonisches Zeugnis | |
der sechziger Jahre, das, als es fertig und funktionsfähig war „plötzlich | |
nicht mehr geliebt war“. Der Zeitgeist hatte sich geändert, gläserne und in | |
Beton gehaltene Moderne war nicht mehr, dafür, die alternative Bewegung hat | |
es so formuliert, hieß es: „Schade, dass Beton nicht brennt“, man sprach | |
von der „Unwirtlichkeit der Städte“. | |
Voigt ist ein Architekturhistoriker mit Herz, er weiß mit Freude zu | |
erzählen. Die Altstadt, eben eröffnet, ein Mix aus rekonstruierten und | |
modernen Häusern, schätzt er wegen der Intimität des Stadtraums. Er ist | |
nicht gegen jegliches „Reenactment“ von im Krieg zerstörten Bauten im | |
Herzen der Städte, doch dieses Mittel soll die absolute Ausnahme sein. | |
Vor allem die Paulskirche muss verschont bleiben: „Sie soll, ein bisschen | |
renoviert, so bleiben, wie sie ist. Eine historisch korrekte | |
Wiederherstellung des Innenraums wäre mehr Verlust als Gewinn. Die betont | |
schlichte Fassung, in der sie nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut | |
wurde, steht für eine gelungene Demokratie, nicht wie die Versammlung 1848, | |
die nicht gelungene.“ | |
## „Ein Diadem aus Dreck und Letten der Revolution“ | |
Vielleicht geht es ohnehin nicht um eine weitere Sehenswürdigkeit, vielmehr | |
um die Gestaltung politischer Symbolik, wie sie die Grünen auf ihrer | |
Sommertournee „Des Glückes Unterpfand“ formulierten: nicht die Symbole der | |
deutschen Erinnerung den Rechten zu überlassen, nicht Schwarz-Rot-Gold, | |
nicht das Hambacher Schloss und womöglich auch nicht die Paulskirche. | |
Robert Habeck schrieb in seinem Tagebuch zur Sommerreise anlässlich eines | |
Halts an der Paulskirche über die damals erste deutsche Verfassung, deren | |
wesentliche Züge auch das Grundgesetz prägen: „In Kraft freilich trat sie | |
nicht, weil der König von Preußen keine Krone vom Volk verliehen bekommen | |
wollte, nicht, solch ein Diadem aus Dreck und Letten der Revolution, des | |
Treubruchs und des Hochverrats geschmiedet', wie er es nannte. Sie | |
verströme den ‚Ludergeruch der Revolution von 1848‘ und sei ein | |
‚Hundehalsband‘.“ | |
Frankfurts Bürgermeister Peter Feldmann, ein Sozialdemokrat, hat sich nun | |
in die Debatte über die Renovierung der Paulskirche eingeschaltet: Sie | |
„stellt ihr Licht derzeit unter den Scheffel“, ein neues Nutzungskonzept | |
müsse her, die Paulskirche sei kein geschlossener Ort. Feldmann kann sich | |
vorstellen, dass dort Sitzungen von Studierendenparlamenten, | |
Schülervertretungen oder Betriebsräten stattfinden. Der Bund müsse sich | |
allerdings an den Renovierungskosten beteiligen. | |
Die Paulskirche als Haus, das nicht irgendeine Sehenswürdigkeit ist, | |
sondern ein Ort der Demokratieförderung, des historischen Bewusstseins für | |
die Kämpfe um Meinungsfreiheit, um Teilhabe und um echten Streit? Was sagt | |
der Bund dazu? Monika Grütters, „Beauftragte der Bundesregierung für | |
Kultur und Medien“, erklärt sich lediglich schriftlich bereit, darauf zu | |
antworten. | |
## Eine Idee von Partizipation | |
Wie findet Grütters den Plan von Frankfurts Bürgermeister, die Paulskirche | |
in ein „Her mit der Demokratie“-Haus umzuwidmen? Die Antwort ihrer | |
Pressestelle liest sich so: „Ob und wie die Paulskirche zu einem Gedenk- | |
und/oder Lernort entwickelt werden kann, muss zunächst von den | |
verantwortlichen Stellen vor Ort geprüft und in einem konsolidierten | |
Konzept beschrieben werden, das sich auch mit der Frage der Finanzierung | |
auseinandersetzt. Die Entscheidung über die Beteiligung des Bundes an der | |
Umsetzung eines solchen Konzeptes obliegt dann dem Haushaltsgesetzgeber.“ | |
Vagere Resonanz auf die Idee lässt sich kaum vorstellen. Als ob es nicht | |
auf einen Ort ankäme, der das neue Deutschland mit seinen eingewanderten | |
Bürger*innen zeigt – und mit Leben füllt, was ihre neue Heimat ist: ein | |
Forum des Streits, der Beratung, – und niemand darf immer gewinnen. | |
Was spräche also dagegen, die Paulskirche als einen Ort besonders von und | |
für Schüler*innen zu konzipieren? Was, wenn diese sich sogar um die | |
Paulskirche kümmerten, als Paten und Patinnen? Könnte das nicht eine Idee | |
von Partizipation sein – gerade für jene Kinder und Jugendlichen, die neu | |
in Deutschland sind? Wer je Schulklassen auf den Tribünen des Bundestags | |
gesehen hat, wenn sie nur wenige Minuten Debatten ausgesetzt sind, die ja | |
fast nie so spannend sind, wie sie das Fernsehen zeigt, könnte ahnen, | |
worauf das hinausliefe: auf Leben in der Bude. | |
Die Paulskirche – an die man nur ein modernes, gläsernes Zentrum bauen | |
müsste. In die Frankfurter Erde hinein, vier weitgehend unterkellerte | |
Etagen mit allem, was einen Lern- und Erlebnisort attraktiv macht. Die | |
Paulskirche an der Seite stützend, nicht überragend. Wäre das nicht eine | |
gute Idee? Wolfgang Voigt überlegt lange, ehe er antwortet: „Platz wäre ja. | |
Es wäre nur sehr teuer. Und würde jahrelange Bauarbeiten bedeuten. Aber es | |
wäre möglich. Eine U-Bahn in der Tiefe stünde nicht im Weg.“ Teurer als die | |
gerade frisch erbaute Altstadt wäre das auch nicht. | |
Anmerkung des Autors, 16.10.2018: Leserin Katharina Eleonore Meyer vom | |
Merlin-Verlag weist zurecht daraufhin, dass der Maler Johannes Grützke | |
nicht, wie in der Printausgabe und Online zunächst zu lesen war, aus der | |
DDR stammte, sondern in Westberlin aufwuchs, in Moabit. Dem berühmten | |
Maler, so sagt die Leserin außerdem, die berichtet, Grützke sei im Haus | |
ihres Verlags in den siebziger Jahren ein- und ausgegangen, sei es | |
keineswegs darum gegangen, eine Riege missmutiger Parlamentarier zu malen. | |
Er habe sich intensiv mit der deutschen Demokratiegeschichte | |
auseinandergesetzt. Wir danken für die Korrektur, erstens, weil der Fehler | |
misslich ist. Aber, zweitens, die unterschiedliche Wahrnehmung bleibt: Für | |
den Autor Jan Feddersen zeigt das Grützke-Werk keinesweg lustvoll das | |
demokratische Rede- und Beratungswerk der Männer von 1848 – vielmehr drückt | |
sich in diesen Figuren die typisch deutsche Skepsis demokratischen | |
Verfahren gegenüber aus. | |
14 Oct 2018 | |
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