| # taz.de -- Neues Konzept für Frankfurter Paulskirche: Macht einen Volxtempel … | |
| > Die Frankfurter Paulskirche bedarf einer dringenden Sanierung. Es sollte | |
| > aber nicht nur der Bau renoviert werden, sondern vor allem sein | |
| > Innerstes. | |
| Bild: Die Paulskirche in Frankfurt am Main | |
| Bis zum März vorigen Jahres war diese Immobilie kaum mehr als ein Ort nur | |
| gelegentlicher Aufmerksamkeit über die Stadt hinaus, in der sie zu finden | |
| ist. Einmal im Jahr wird dort der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels | |
| verliehen, eine Art Hochamt bildungsbürgerlicher Selbstvergewisserung, das | |
| ist das berühmteste Event dort. Irgendwann war dieses Gebäude einmal eine | |
| Kirche, sie ist indes längst frei von religiöser Direktheit, abgesehen | |
| davon, dass sie wie eine Kirche aussieht: die Paulskirche in Frankfurt am | |
| Main. | |
| Vor knapp zwei Jahren griff Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das | |
| politische Gemurmel in der Stadt auf, man müsste doch mit diesem Gebäude | |
| etwas Besseres anfangen. Zumal es der Renovierung bedürfe, unter anderem | |
| beträfe dies das Dach, sonst drohten witterungsbedingte Schäden. | |
| [1][„Könnte frischer aussehen“, hieß es hier in der taz], den Gedanken | |
| aufgreifend, dass die Paulskirche als, wie es überall heißt, „Wiege der | |
| deutschen Demokratie“ es nicht verdient, nur eine kommunale Angelegenheit | |
| zu bleiben. | |
| So schrieb Steinmeier also in der Zeit vom 14. März 2019: „Auch in | |
| Deutschland fließt viel Steuergeld an historische Orte. Das Residenzschloss | |
| in Dresden wird für 380 Millionen Euro saniert, für die Gruft der | |
| Hohenzollern im Berliner Dom werden fast 16 Millionen Euro aufgewendet, und | |
| für das Bismarck-Denkmal in Hamburg will der Bund 6,5 Millionen Euro | |
| ausgeben. Dafür gibt es gute Argumente, und der Aufwand ist gerechtfertigt. | |
| Aber was investieren wir in die Orte unserer Demokratiegeschichte? Das | |
| Hambacher Schloss ist uns jedes Jahr ganze 100.000 Euro wert, und für die | |
| Frankfurter Paulskirche, vielleicht Deutschlands bekanntester Ort | |
| demokratischen Ringens zur Mitte des 19. Jahrhunderts, wenden wir aus | |
| Bundesmitteln bislang keinen Cent auf.“ | |
| Mit diesen Worten war alle Zwiespältigkeit in Frankfurt am Main selbst | |
| hinweggefegt: Bürgermeister Peter Feldmann erahnte klug viel Geld für die | |
| Aufhübschung eines historisch kostbaren Stadtmöbels – wenngleich | |
| Kulturdezernentin Ina Hartwig noch betonte, dass die Paulskirchensanierung | |
| keine Priorität habe … Aber wenn der Bundespräsident schon sagt, was er zu | |
| sagen hat – wer dürfte solch einen Wink aus dem Schloss Bellevue | |
| missverstehen? | |
| Jedenfalls entwickelt sich seither ein, hauptsächlich vermittelt über FAZ | |
| und Zeit, gewogener Diskurs zur Zukunft eines der wichtigsten Stätten der | |
| deutschen Demokratiegeschichte. | |
| Zur Erläuterung: 1848 fand in der Paulskirche eine wochenlange | |
| Beratungssession zur Begründung einer bürgerlichen Verfassung statt – ein | |
| Akt gegen den in den deutschen Ländern noch dominierenden, politisch | |
| bestimmenden und gesellschaftlich ja schon damals nutzarmen Adel. | |
| Eine Fülle von Impulsen, die aus den Paulskirchenkonventen hervorgingen, | |
| fanden sich später erst in der Weimarer, nach der nationalsozialistischen | |
| Zeit wiederum im Grundgesetz der Bundesrepublik wieder – die | |
| Paulskirchenberatungen selbst mündeten in einer Ablehnung durch die | |
| Monarchen, Deutschland blieb bis 1918 (erkämpft letztlich durch die | |
| Arbeiterbewegungen) ein demokratisch halbherziges Land, bestimmt von | |
| fürstlichen und kaiserlichen Vetorechten. | |
| ## Stets ein Symbol demokratischer Aufbrüche | |
| Die Paulskirche, im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, war stets ein | |
| Symbol demokratischer Aufbrüche. Der Wiederaufbau im nüchternen, geradezu | |
| antifestlichem Stil war nur, wie man heute sagen würde, per Crowdfunding | |
| der Menschen, Remigranten wie Leuten ohne bürgerlichen Rang und Titel, | |
| möglich – Spenden kamen selbst aus der damaligen Sowjetischen | |
| Besatzungszone durch Basissgruppen der später machthabenden | |
| SED-Realsozialisten. | |
| Die Paulskirche in Form zu bringen: Das war das Anliegen aller Antifa, | |
| gegen die Schrecken der Nazizeit. Eine einstige Kirche als Ort | |
| demokratischer Selbstverständigung wurde dieses Gebäude am Frankfurter | |
| Römer eher selten – die Zeremonie zur Verleihung des Friedenspreises des | |
| deutschen Buchhandels ähnelte meist typisch deutscher Versöhnungsromantik, | |
| um nicht zu sagen: Sie war Kitsch, etwa mit dem Preis an das Ehepaar Aleida | |
| und Jan Assmann jüngst, auch der diesjährige Preisträger, der | |
| [2][Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen], musste sich seine Ehrung als | |
| Bankett der politischen Tröstung gefallen lassen. | |
| 1998, immerhin, war die Paulskirche Stätte einer giftigen Performance; das | |
| war, als der Schriftsteller Martin Walser im Hinblick auf die | |
| Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit von „Auschwitzkeule“ | |
| sprach. Aber Rabatz, Diskurs, Debatte – sonst? Nein, unsichere Kantonisten | |
| wie Walser sollten kein Forum bekommen, die Buchmessenstimmung sollte nicht | |
| getrübt sein. | |
| Jetzt also die Idee des Bundespräsidenten, der ja zutreffend beschrieb, | |
| dass es in Deutschland eine Erinnerungsdenkmallandschaft mit einigen | |
| Subventionen gibt, aber eben nichts für die Paulskirche. Steinmeier erntete | |
| viel Zustimmung. | |
| Herfried Münkler, Emeritus für Politische Theorie an der | |
| Humboldt-Universität, Hans Walter Hütter, Professor der Stiftung Haus der | |
| Geschichte der Bundesrepublik in Bonn, und Peter Cachola Schmal, Direktor | |
| des Deutschen Architekturmuseums, urteilten, der Paulskirche fehle die Aura | |
| – was auch stimmt, denn der Festsaal hat etwas Karges, fast | |
| Überprotestantisch-Lustgedimmtes, hat unterhalb dieses Raums gar einen | |
| Rundgang mit Schautafeln zu bieten. Insgesamt verströmt das Innere die | |
| Ästhetik von Behörden mit dem Anspruch einer guten Verwaltung. | |
| Dann nahm sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters in der FAZ des Falls | |
| an und gelobte, sie werde sich um eine Bündelung aller | |
| demokratieerinnerungspolitischen Projekte in Deutschland bemühen und in | |
| Frankfurt am Main besonders um die Paulskirche, der ein „Haus der | |
| Demokratie“ beigestellt werden solle. | |
| Typisch Grütters: Alle Repräsentationsprojekte aufgreifen, sie finanziell | |
| auffüttern und zugleich der Leblosigkeit überantworten, gewiss ohne | |
| persönliche Absicht. Siehe Humboldt-Forum, siehe Museumsinsel, alles | |
| städtischer Schmuck ohne Glanz. Mit ihrem Statement war, besser: ist so gut | |
| wie jeder halbwegs vitale Impact für das, was mit an der Historie der | |
| Paulskirche interessant und für das Heute wie Morgen fruchtbar sein könnte, | |
| vereitelt. | |
| Eine Idee für frisches Gebüsch – und heraus wird kommen: trockenes | |
| Gestrüpp, das, nur moderner und digital aufgerüstet, aus der Paulskirche + | |
| Demokratiehaus erneut eine Stätte feiner Repräsentationen macht. Okay, | |
| Claus Leggewie merkte neulich in der Frankfurter Rundschau noch an, es | |
| müsse bei der Paulskirchenauffrischung besonders auf Erörterungen zu | |
| Klimakrisentransformationen gesetzt werden, aber das war nur more of the | |
| same. Ein pädagogisch weitwinkelig-inklusives Gesamtensemble ohne | |
| sinnliche, lockende Aura, museal vor der Fertigstellung. | |
| Worauf es ankäme: eine gründliche Ausrümpelung der Paulskirche selbst, | |
| mentalitär vor allem. Gebäuderenovierung inklusive. Öffnungszeiten: so gut | |
| wie rund um die Uhr. Wie moderne öffentliche Bibliotheken. Ein Raum zum | |
| Chillen und Besinnen und bei Lust und Laune Klügerwerden. | |
| Ein Haus der Demokratie, in dem nicht Lehrer:innen den Ton angeben, sondern | |
| die Jugendlichen selbst. Alle Schüler:innen mögen Lust haben, dort Debatten | |
| zu führen. Es muss dort alles bestritten werden – nur Nazi ist verboten. | |
| Kontroversen, ausgetragen von allen Schüler:innen, eingeborene und | |
| migrierte Heranwachsende, die abituriell orientierten wie die | |
| Berufsschüler:innen. Nicht nur jene, die mal zur Buchmesse gehen werden. Es | |
| sollte ein Volxtempel sein, in dem gequatscht und diskursiviert wird, was | |
| das Zeug hält. Noch oder wieder so ein Ort mit schmucker Aura für die | |
| ohnehin Eingeweihten wäre nur dies: Bullshit. | |
| Was herauskommen könnte? Der Geist der Paulskirche, und zwar ohne dessen | |
| Geist leichter Feigheit Fürsten und Thronen gegenüber. Und: Dass die Rede | |
| von der Gefährdung unserer Demokratie, etwa durch „Querdenker:innen“, | |
| nichts ist als wohlstandsverwahrloster Blödsinn. | |
| 16 Dec 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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